Plötzlich doch kein Distanzunterricht: Auch aus Fürth kommt Kritik

16.12.2020, 06:00 Uhr
Plötzlich doch kein Distanzunterricht: Auch aus Fürth kommt Kritik

© Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Viele Schülerinnen und Schüler im Freistaat werden ab heute also allein vor ihren Arbeitsblättern sitzen. Nur für die Abschlussklassen und an den beruflichen Schulen gibt es tatsächlich verpflichtenden Distanzunterricht. Allen anderen sollen Angebote zum "Distanzlernen" gemacht werden. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied in der Wortwahl des Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler).


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In einem Brief des Ministers an die Eltern heißt es dazu: "Die Lehrkräfte stellen für die unterrichtsfreien Tage Materialien zum Üben, Vertiefen und Wiederholen zur Verfügung." Dabei haben sich die Schulen in den letzten Wochen intensiv auf Unterricht per Video eingestellt, falls es – wie nun – zu einem umfangreichen Lockdown kommt.

"Als das Schreiben aus dem Ministerium kam, waren wir erst einmal fassungslos", sagt der Leiter der Hans-Böckler-Schule, Thomas Bedall. "Es gibt viele engagierte Lehrer, die stolz darauf sind, gerade jetzt in der Krisensituation helfen zu können", betont er. Da es an der HBS keine personellen Einschränkungen gebe, könne man den Distanzunterricht schulorganisatorisch leisten. Sonst lasse man ohne Grund viele Eltern, Schülerinnen und Schüler alleine.

Absprache in aller Frühe

Er hat deshalb gestern noch vor 8 Uhr in Absprache mit Elternbeirat und Personalrat beschlossen, dass die Hans-Böckler-Schule bis zum Wochenende digitalen Unterricht für alle Jahrgangsstufen anbietet und nicht nur Online-Lernen. Angesichts der landesweiten Aufregung stellte das Kultusministerium am Vormittag klar: Distanzunterricht sei grundsätzlich möglich.

Schulreferent Markus Braun steht voll hinter der Entscheidung der HBS, in die auch er eingebunden war. Dass Grundschulen es anders handhaben müssen, weil sie eine Notbetreuung sicherstellen müssen, sei natürlich klar. Wichtig ist ihm, in diesem Zusammenhang, dass alle Eltern von kleineren Kindern, die eine solche Notbetreuung brauchen, diese auch bekommen. Er verspricht: "Betroffene sollen vor Ort Bescheid geben. Wir werden eine unbürokratische Lösung finden."

Mit Blick auf das Kultusministerium spricht Braun von einem teils "katastrophalen Krisenmanagement". Mit dem Schritt, den erst angestrebten Distanzunterricht zu kippen, "hat man den Vogel abgeschossen", sagt er. Die Schulen hätten ihn mit viel Engagement vorbereitet und das Konzept etabliert. "Und dann soll es nur Online-Lernen geben. Das versteht wirklich niemand mehr."


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Seiner Meinung nach sollte man die Möglichkeiten für digitale Schulstunden lieber umfangreich nutzen, um noch routinierter zu werden. Denn das sei die Chance, in Corona-Zeiten einen geregelten Unterricht zu organisieren und gleichzeitig die Kontakte zu reduzieren.

Eltern sind gefragt

Beim bloßen Distanzlernen bekommen die Jugendlichen Arbeitsblätter für Zuhause. Wie gewissenhaft die Aufgaben erledigt werden, hänge von Selbstdisziplin und vom Elternhaus ab, stellt dazu Claus Binder fest, Kreisvorsitzender des BLLV in Fürth. "Bei manchen Familien wird Wert darauf gelegt, bei anderen weniger. Das schlägt sich später in den Noten nieder."

Er hält die Entscheidung des Ministeriums für ein Eingeständnis, dass der digitale Unterricht längst nicht überall reibungslos funktioniert. "Die Schulen bemühen sich, aber vielen Jugendlichen fehlen Kompetenzen und technische Ausstattung." Manche seien nicht einmal in der Lage, Arbeitsblätter online zurückzuschicken. "Es reicht nicht, das einmal zu erklären. Das muss man über Jahre einüben."

Von mangelnder Ausstattung kann auch Bedall ein Lied singen. Nur durch sein monatelanges Engagement ist es ihm gelungen, 100 Notebooks zu organisieren, nachdem die staatliche Versorgung schleppend anlief. Dadurch ist die Schule nun in der Lage, auf Distanzunterricht zu setzen. "Rückmeldungen von Eltern zeigen: Sie sind sehr froh, dass ihre Kinder bis zum Wochenende eine feste Struktur haben." Die Schüler haben in diesem Corona-Jahr ohnehin schon jede Menge aufzuholen.

HBS als Beispiel?

Laut Braun rumort es nach der sehr kurzfristigen Direktive aus München auch an anderen Fürther Schulen, weitere Einrichtungen könnten ab heute dem Beispiel der Hans-Böckler-Schule folgen. Im Kultusministerium zeigt man sich überrascht von der Kritik. Ein Sprecher sagte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, man habe versucht, den Druck aus den Schulen nehmen. Außerdem gehe es ja nur um drei Tage.