Greta Thunberg und die Bahn: Ein Lehrstück in Social Media

16.12.2019, 14:35 Uhr
Ein Tweet, viele Diskussionen: Klima-Aktivistin Greta Thunberg.

© NICHOLAS KAMM Ein Tweet, viele Diskussionen: Klima-Aktivistin Greta Thunberg.

Eigentlich war es nur ein Tweet. Einer von vielen, einer, wie ihn schon sehr viele Menschen gepostet haben. Schaut her, meine Freunde, ich sitze in der Bahn. Auf dem Boden. Wie ungerecht die Welt doch mitunter ist. Zwinkersmiley. Mancher würde einem für diesen ehrlichen, ungeschönten Einblick ins Privatleben ein Herzchen schenken, andere würden einfach weiterwischen. Zur nächsten Nachricht, zum nächsten Foto, zum nächsten Tweet.

Doch wenn Menschen wie Greta Thunberg ihre Follower an ihrem Leben teilhaben lassen, ist vieles anders. Knapp 3,7 Millionen Menschen bekommen täglich in ihre Timeline gespült, was die Ikone der Klimaschützer so macht, wie sie für eine bessere Welt kämpft. Sie fährt zum Beispiel mit der Bahn. In einem überfüllten Zug, quer durch Deutschland. So, wie es viele Menschen täglich tun.

Wer einen Tag später noch einmal durch Thunbergs Profil scrollt, kann live mitverfolgen, wie unter dem Tweet diskutiert wird, wie sehr er auch viele Stunden später noch gelikt und geteilt wird. Auch bei den Social-Media-Verantwortlichen der Deutschen Bahn tauchte irgendwann am Sonntagnachmittag dieses Foto auf. Es wäre eine Steilvorlage gewesen.

In einer Zeit, in der sich die Bahn als umweltfreundliche Alternative geriert, in der immer mehr Menschen überlegen, vielleicht doch lieber den Zug statt des Autos zu nehmen. In dieser Zeit sitzt Greta Thunberg in einem Zug des Unternehmens. Doch statt diese Vorlage anzunehmen, sich locker, ungezwungen und für eine neue Zielgruppe attraktiv zu präsentieren, antwortete die PR-Abteilung mit deutscher Gründlichkeit:

Hart arbeiten. Jeden Tag. Bis zur Rente. Es sind die Tugenden, die den Alltag in diesem Land bestimmen. Es hätte der letzte Tweet zu diesem Thema bleiben können. Das wäre zwar nicht unbedingt innovativ gewesen – aber nicht annähernd so schlimm wie das, was danach passierte. Denn scheinbar kam im Büro plötzlich eine Frage auf. Wie bitte? Dieses Mädchen kritisiert uns dafür, dass sie angeblich auf dem Boden sitzen muss? Die hatte doch Tickets für die Erste Klasse. Und damit einen Sitzplatz. Drei Ausrufezeichen!

Es ist ein Einfaches, Greta Thunberg zu kritisieren. Viele Menschen auf der Welt arbeiten sich mit erstaunlicher Vehemenz an einer 17 Jahre jungen Frau ab, die einfach nur für ein besseres Klima kämpft. Weil sie auch in zehn oder 20 Jahren noch auf einer Welt leben will, auf der es sich gut leben lässt. Doch mit ihrer Arbeit, mit ihren Reden, ihren Tweets triggert sie dermaßen viele Menschen, dass mancher Physiotherapeut stolz wäre, dass da eine so viele Schmerzpunkte im Körper findet.

Auch hier wäre es einfach auf den „alten, weißen Mann“ zu schimpfen, der sich von einem vermeintlich frechen Mädchen um seine Prinzipien betrogen fühlt. Menschen wie den Bild-Kolumnisten Franz-Josef Wagner, der beinahe Schnappatmung bekam und reflexartig gleich wieder die Frage nach der Echtheit, der Realness von Greta Thunberg aufwarf. Doch es sind eben nicht nur alte, weiße Männer, die sich an „der Greta“ stören. Kaum ein Gespräch auf Partys oder Familienfeiern, das ohne ein bisschen Kritik auskommt. Mal inhaltlich, mal wegen der „Inszenierung“, der „PR-Maschine“, die hinter ihr stehe.

Doch mit ihren Tweets nahm die Bahn eine perfekte Vorlage nicht an – sondern sie schoss sich ein Eigentor. Ja, Greta Thunberg hatte einen Sitzplatz, genauso wie ihr Vater, der sie stets auf ihren Reisen begleitet und wahrscheinlich auch für das Foto und den Tweet verantwortlich ist. Sie hatte aber nicht gelogen, wie es mancher ebenso reflexartig behauptete, wie es auch die Bahn zumindest zwischen den Zeilen mitschwingen ließ.

Die Richtigstellung aber musste Thunberg selbst verfassen, als sie mitbekam, wie ihr vermeintlich harmloser Tweet zerrissen wurde – auch von der Bahn. Auf dem Heimweg von der Klimakonferenz musste sie schlichtweg im schweizerischen Basel umsteigen, weil ein ICE ausgefallen war. Erst später, an Frankfurt, saß sie dann auf ihrem reservierten Sitzplatz. Und erdreistete sich tatsächlich, die Bahn dafür nicht zu loben. Wieder: drei Ausrufezeichen. Unerhört!

Doch nicht nur, dass sich die Social-Media-Verantwortlichen mit jedem weiteren Tweet in einer nicht mehr aufzuhaltenden Spirale verhedderten. Sie gaben ungefragt, einfach so, persönliche Daten heraus. Mit welchem Zug Greta Thunberg unterwegs war, hätte sie schon selbst geschrieben, wenn sie es für notwendig erachtet hätte. Dass aber ein Konzern wie die Bahn neuerdings, in Zeiten der Datenschutzgrundverordnung, die vielen Institutionen das Leben schwerer macht, so leger mit Persönlichkeitsrechten umgeht, erstaunt dann doch.

Die vergangenen Stunden jedenfalls waren mal wieder ein Lehrstück darüber, wie soziale Medien funktionieren. Darüber, welche Rolle sie mittlerweile im Leben sehr vieler Menschen spielen. Darüber, wie man sich als Unternehmen durch zu wenig Fingerspitzengefühl ins Abseits manövrieren kann. Darüber, dass aus einem kleinen, vermeintlich harmlosen Tweet schnell etwas ganz Großes werden kann, etwas, das sogar die eigentlich notwendigen Diskussionen über die nicht vorhandenen Ergebnisse der Klimakonferenz überlagert.

Freuen wird sich darüber zum Beispiel einer, der mit seiner Politik und seinem Leugnen des Klimawandels dafür mitverantwortlich ist – und dessen Tweets ebenfalls den öffentlichen Diskurs mitprägen: Donald Trump.

Verwandte Themen


8 Kommentare