Auf Klassenfahrt: Gunzenhäuser SMG-Schüler in der DDR

3.10.2020, 08:16 Uhr
Auf Klassenfahrt: Gunzenhäuser SMG-Schüler in der DDR

© Foto: Marianne Natalis

Auf Initiative des damaligen Lehrers Heiner Krauss fuhren die Mitglieder der Leistungskurse Geschichte/Sozialkunde und Wirtschaft/Sozialkunde ins "andere" Deutschland. Unter ihnen war auch der damals 17-jährige Arno Dernerth. Diese ungewöhnlichen vier Tage sind dem heutigen CSU-Stadtrat gut im Gedächtnis geblieben.

Dass man nicht einfach in ein anderes Land fährt, sondern vielmehr den "eisernen Vorhang" (im Osten hieß das "antifaschistischer Schutzwall") passiert, das wurde Dernerths Mitschülern erst an der Grenze so richtig klar. Einfach nur schnell den Pass zeigen, damit war es hier nicht getan. Rund zwei Stunden lang wurde ihr Bus "gefilzt", erzählt Dernerth im Gespräch mit dem Altmühl-Boten, bevor die Gruppe endlich einreisen durfte. Zu den 27 Schülern und drei Betreuern hatte sich an die Grenze noch eine weitere Person gesellt: die DDR hatte ihnen einen "Reisebegleiter" zur Seite gestellt, der sich schnell als Aufpasser entpuppte. Seine Aufgabe war es nicht, auf besondere Sehenswürdigkeiten hinzuweisen, vielmehr achtete er auf die Einhaltung der Regeln.

Kneipenbesuche waren nicht erwünscht

Und die waren durchaus streng und für die westdeutschen Jugendlichen gewöhnungsbedürftig. So durfte auf der Autobahn nicht jeder Parkplatz angefahren werden und an den Raststätten musste die Gruppe zusammenbleiben. Abends konnten die Jugendlichen auch nicht einfach auf eigene Faust losziehen. Wer Lust zu einem abendlichen Spaziergang hatte, musste sich offiziell abmelden und durfte das Hotel nur in Begleitung verlassen. Ein Kneipenbesuch und dortige Tresengespräche mit DDR-Bürgern waren ebenso undenkbar wie ein nächtliches Besäufnis im Hotel – es gab ja keine Minibars, so Dernerth, und "den Edeka um die Ecke" suchte man auch vergebens.

Eine einschneidende Erfahrung für die Jugendlichen, die die westlichen Freiheiten gewöhnt waren. Wie bunt ihre Welt eigentlich ist, auch das wurde ihnen nun klar. In Ostberlin fiel das noch nicht so sehr ins Auge, wichtige Plätze wie der Alex oder große Prachtstraßen waren auch dort herausgeputzt. Doch schon in den Nebenstraßen bekamen die Kollegiaten einen Eindruck vom tatsächlichen Zustand der DDR-Städte, der sich dann in Magdeburg verfestigte: Grau in Grau präsentierte sich die Industriestadt an der Elbe. Es gab dort "nichts, was irgendwie hergerichtet war", erinnert sich Dernerth.

Sein Erstaunen über das Aussehen der Ortschaften hielt sich jedoch in Grenzen, war es für ihn doch nicht die erste Reise "nach drüben", wie man damals sagte. Seine Mutter Marianne Dernerth stammte aus der Mark Brandenburg und war vor dem Bau der Mauer in den Westen geflohen. Als deren Mutter 1984 verstarb, galt es einiges zur regeln. Der 14-Jährige begleitete seine Mutter auf die dreitägige Reise. Eine erste Zwangspause mussten sie an der Grenze einlegen, denn wegen eines Mickey Mouse–Hefts zerlegten die Grenzbeamten auf der Suche nach Schmuggelware den Wagen der Mutter förmlich.

Gäste unter die Lupe genommen

Die beiden kamen damals bei Verwandtschaft unter, die erhielt prompt Besuch von einer Art "Blockwart", der die Westgäste unter die Lupe nahm, berichtet Dernerth. Und sie mussten Gesprächsprotokolle erstellen. Vielleicht war auch das ein Grund, warum ihre alten Schulkameraden mit Marianne Dernerth keinen Kontakt haben wollten.

Drei Jahre später gab es für die Schülergruppe durchaus Begegnungen mit DDR-Bürgern, etwa beim Besuch der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Buchenwald oder bei einer abendlichen Zusammenkunft im Jugendtreff. Die waren allerdings nie spontan, sondern nur mit ausgewählten Personen, und es wurde auch nur über ausgewählte Themen gesprochen. So war beispielsweise der Millionenkredit, den Franz-Josef Strauß kurz vorher eingefädelt hatte, oder die deutsche Einheit absolut tabu, schildert es Dernerth.

Bei der Rückfahrt erlebte die Gruppe dann an der Grenze das schon bekannte Prozedere: Der Bus wurde akribisch durchsucht, es hätte ja sein können, dass sich mögliche Flüchtlinge darin verstecken.

Wie schon beim ersten Mal war Dernerth froh, zurück in der Bundesrepublik zu sein. Es fiel damals "doch eine Last von einem ab", berichtet er.

Was für ein "himmelweiter" Unterschied, als er zwei Jahre später kurz nach dem Mauerfall mit Freunden nach Berlin fuhr. Das fing schon damit an, dass das Auto mit dem West-Kennzeichen an der innerdeutschen Grenze einfach durchgewunken wurde. Berlin selbst hatte sich seit seinem letzten Besuch nicht wesentlich verändert, aber gefühlt war es eine andere Stadt. Das lag nicht zuletzt an der Freiheit, hingehen zu können, wohin mal wollte.

Dank Honecker kam es sogar zu einem Gegenbesuch

Zwischen 1985 und 1987 erhielten drei Schülergruppen des Simon-Marius-Gymnasiums Anschauungsunterricht im real existierenden Sozialismus. Initiiert wurden die Fahrten in die DDR von Lehrer Heiner Krauss, der diese in jahrelanger Arbeit ermöglicht hat.

1986 kam es sogar zu einem Gegenbesuch. Schüler des Simon-Marius-Gymnasiums wandten sich in dieser Sache sogar an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, den obersten Mann in der DDR. Man wolle sich "für den höchst erfreulichen Abend revanchieren", schrieben die Jugendlichen im Februar 1986. Ein halbes Jahr später konnten sie tatsächlich 20 junge Arbeiter des VEB Wohnungsbau Meißen in der Altmühlstadt willkommen heißen. Auf dem Besuchsprogramm standen unter anderem ein Besuch in der KZ-Gedenkstätte in Dachau sowie des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg.


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Gut dokumentiert wurden die Geschehnisse im Schuljahr 1994/95 von der SMG-Klasse 8 b. Sie reichte ihre Arbeit "Besucht uns doch mal im Westen" beim Schülerwettbewerb "Deutsche Geschichte" um den Preis des deutschen Bundespräsidenten ein und landete auf dem 2. Platz. Die Ergebnisse fasste Heiner Krauss auch in einem Beitrag im Heft 51/1996 von Alt-Gunzenhausen, das vom Verein für Heimatkunde herausgegeben wird, ausführlich zusammen.

Über die drei Fahrten berichtete Krauss damals auch im Altmühl-Boten. Er tat dies überaus positiv und das ganz bewusst: Sollten die Artikel doch Grundlage für weitere Gegenbesuche von DDR-Jugendgruppen sein. Was sich dann ja erübrigte.

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