Chefarzt Dr. Nothofer verlässt das Klinikum: "Ich habe einen extrem schönen Beruf"

30.5.2021, 07:13 Uhr
Chefarzt Dr. Nothofer verlässt das Klinikum:

© Foto: Babett Guthmann

Fast genau 20 Jahre lang hat Dr. med. Wilhelm Nothofer als Chefarzt der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Patienten behandelt und zudem als geschätzter Operateur eine neue Generation von Fachärzten ausgebildet. Ende Mai endet nun die Ära Nothofer im Gunzenhäuser Klinikum Altmühlfranken. Er hat das Haus auf dem Reutberg, das eine Generalsanierung erfahren hat, entscheidend geprägt.

Zum Abschied hat die Redaktion des Altmühl-Boten ihn um ein Interview gebeten. Dabei ging es um Biographisches und um Zukunftspläne, um die Herausforderungen in der Unfallchirurgie, ums Krankenhaus-Team, ein bisschen auch um das Dauerbrenner-Thema Corona. Meistens aber – und das scheint die ärztliche Karriere des Chefarztes Nothofer noch einmal besonders auszuzeichnen – lenkte er das Gespräch auf die Patienten, um ihren Wunsch nach Heilung und auf die Frage, wie ein Arzt damit verantwortungsvoll umgehen kann.


Besuchsregeln im Klinikum Altmühlfranken gelockert


Herr Dr. Nothofer, Sie haben als Chefarzt das Klinikum Altmühlfranken über viele Jahre hinweg mit Ihrer Arbeit geprägt. Wann haben Sie denn in Gunzenhausen angefangen?

Mein erster offizieller Arbeitstag war der 1. Oktober 2001, aber ich erinnere mich noch gut: Am 11. September habe ich schon eine Sprechstunde gehalten, damit ich zum Start genügend Patienten zum Operieren hatte. Nachmittags haben wir dann gehört, dass etwas Schlimmes passiert sein muss – 9/11…

Wollte zunächst Zahnarzt werden

Damals waren Sie 46 Jahre alt. Aber steigen wir doch etwas früher in Ihre Biografie ein mit der Berufsentscheidung zum Mediziner und zum Chirurgen!

Nach dem Abitur wollte ich zuerst Zahnarzt werden, bekam aber nicht gleich einen Studienplatz. Deshalb habe ich eine Lehre zum Zahntechniker gemacht. Mit dem Gesellenbrief kam die Zusage für einen Medizin-Studienplatz. Da habe ich kurz überlegt, ob ich nicht weiter als Zahntechniker arbeiten möchte, aber ich habe mich dann doch nach der Freiheit im Studium gesehnt und mich an der LMU-München eingeschrieben. Der Entschluss, die Chirurgie zu meinem Schwerpunkt zu machen, kam relativ früh: Für meine Doktorarbeit musste ich Kaninchen an der Niere operieren und habe gemerkt: Das liegt mir.

1985 war ich dann zuerst in meinem Heimatkrankenhaus in Schwabmünchen tätig. Für die weitere Facharztausbildung wechselte ich nach Regensburg, ins "Krankenhaus Barmherzige Brüder", damals das einzige Klinikum in Ostbayern, das eine Neurochirurgie hatte und deshalb eine Anlaufstelle für Unfallpatienten war. Begonnen habe ich meine Tätigkeit dort übrigens am 3.10.1988 um 8 Uhr – das weiß ich bis heute, weil drei Stunden später im selben Krankenhaus der "Landesvater" Franz Josef Strauß verstarb.


Klinikum Altmühlfranken ist wieder "voll da"


Sie sind ja nicht nur Facharzt für Chirurgie, sondern haben einen weiteren Facharzt-Titel für Orthopädie und Unfallchirurgie.

1991 habe ich den ersten Facharzttitel erworben und dann noch drei Jahre lang eine Zusatzausbildung zum Unfallchirurgen gemacht. Mit den Schwerpunkten Endoprothetik und Wirbelsäulenchirugie habe ich mich dann in Gunzenhausen beworben. Damals haben die beiden Krankenhäuser in Weißenburg und Gunzenhausen sich ja spezialisiert. Das war übrigens eine weitsichtige Maßnahme, damals von den Krankenhausdirektoren Rudolf Frenzel und Jürgen Winter sowie Landrat Georg Rosenbauer angestoßen. Für mich war die Spezialisierung ein Grund hierherzukommen. Zwei Oberärzte aus Regensburg sind dann nachgezogen.

Aus einer viertel Stunde können drei werden

Unfallchirurg – ist das nicht ein sehr aufreibender Beruf?

Ja, die Unfallchirurgie ist schlecht berechenbar, denn jederzeit kann ein Verletzter eintreffen – nachts oder am Wochenende. Deshalb sind die Unfallchirurgen mit ihrem Zeitmanagement nicht so beliebt bei ihren Partnerinnen. (lacht) Da behauptet man schon mal, man komme in einer Viertelstunde nach Hause. Dann kommt ein Unfallpatient rein und es werden drei Stunden… Oft müssen private Termine abgesagt werden.

Heutzutage ist das umso schwieriger, denn die Work-Life-Balance hat einen hohen Stellenwert. Es haben sich aber die Arbeitsbedingungen verbessert: Früher waren wir drei Fachärzte und jeden dritten Tag hatte man Dienst. Aber heute steht bei den Oberärzten immer noch jedes vierte Wochenende Bereitschaftsdienst auf dem Plan, wobei man innerhalb von 15 Minuten in der Klinik sein muss – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dabei geht es ja darum, dass zum Beispiel eine Extremitäten- oder eine Wirbelsäulenverletzung möglichst gut rekonstruiert wird. Der Anspruch der Patienten ist ja die vollständige Wiederherstellung, aber das ist nicht bei jeder Verletzung möglich.

Den richtigen Draht zu den Menschen finden, das war wohl auch eine wichtige Aufgabe?

Nicht immer einfach: Manchmal muss man erklären, dass nach einem Unfall eine Einschränkung bleiben wird. Man muss das auch vermitteln, was man weiter optimieren kann, ohne zu voreilig Hoffnung zu machen. Im schlimmsten Fall gibt es Komplikationen, die man als Chirurg verursacht hat. Das schwelt auch nach Dienstschluss nach, das muss verarbeitet werden. Und es ist ein schwerer Gang, denn man muss das gegenüber dem Patienten aufklären und die Kommunikation suchen.


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Schön ist, dass es viele zufriedene Patienten gibt, die auch die Pflege loben und sagen: "Ich bin hier gut behandelt worden!" Manchmal gibt es aber auch Missverständnisse und da muss man als Chefarzt vermitteln, wobei auch hier die Pflegekräfte viel übernehmen.

Vom zweijährigen Kind bis hin zum Mörder

Welche Patienten sind ihnen besonders eindrücklich im Gedächtnis geblieben?

Viele! Ich habe einen extrem schönen Beruf, weil man oft sehen kann, wie man etwas bewirkt hat. Wenn die Patienten nach der Operation in der Sprechstunde sagen: "Ich kann jetzt wieder spazieren gehen, ich habe wieder mehr Lebensfreude!"

Aber zwei Patienten möchte ich hier erwähnen, die auch die Bandbreite zeigen. Da ist einmal ein knapp zwei Jahre alter Bub mit einer schweren Hirnblutung eingetroffen. Es herrschte Schneetreiben und eine Verlegung war undenkbar. Da haben wir die Schädelknochen geöffnet und den Bluterguss entfernt, um eine Schädigung des Gehirns zu vermeiden. Zu Weihnachten, vier Wochen später, haben mir die Eltern eine Karte geschrieben. Bei einem späteren Treffen hat mir der inzwischen junge Mann erzählt, dass er eine Ausbildung begonnen hat.

Aber auch den Mörder, der nach dem Auslöschen seiner Familie aus dem Fenster gesprungen war und sich das Becken gebrochen hatte, haben wir operativ versorgt.


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Gibt es Entwicklungen im Klinikwesen, die Ihnen nicht so gefallen haben?

Den Druck, die Leute nach kurzer Verweildauer zu entlassen und Patienten mit zum Teil umfangreichen Begleiterkrankungen möglichst schnell durchzuschleusen. Mit dem neuen Abrechnungssystem wurde für bestimmte Krankheitsbilder vorab festgelegt, wann die Patienten entlassen werden sollten. Genesung dauert aber gerade bei älteren Menschen auch mal ein wenig länger. Durch Corona scheint es hier ein Umdenken gegeben zu haben: Hauptsache, die Menschen wurden wieder gesund.

Durch Corona etwa zehn Prozent weniger operiert

Wie haben Sie und die Kolleginnen und Kollegen in der Chirurgie die Pandemiezeit erlebt?

In unserer Abteilung als eine gewisse Entschleunigung. Wir standen in der Chirurgie nicht so unter Zeitdruck, weil ja Betten freigehalten werden sollten. Ein Problem war, dass Patienten mit planbaren Knie- oder Hüftoperationen oft lange warten mussten. Da waren schmerzhafte Beschwerden länger zu ertragen. Schwere Fälle aber konnten wir immer behandeln und es stand dann auch ein Intensivbett zur Verfügung. Über das Jahr hinweg haben wir in etwa zehn Prozent weniger operiert.


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Was wünschen Sie sich zum Abschied für das Klinikum in Gunzenhausen?

Dass es weiterhin gut angenommen wird, dass die Patienten weiterhin gerne hierherkommen und gut behandelt werden. Es ist ja jetzt auch alles neu: 12 Jahre Umbau habe ich mitgemacht, jetzt, wo alles fertig ist, gehe ich. (lacht) Und meine Nachfolge ist gut geregelt: Es wird bald zwei Chefärzte in der Chirurgie geben. Dr. med. Bernd Krieg wird Chefarzt werden und ihm zur Seite wird bald Dr. med. Florian Faber als weiterer Chefarzt der Abteilung stehen. Sie können dann auf das nach wie vor hohe Engagement in der Pflege – sowohl auf den Stationen als auch im OP und der Ambulanz bauen.

Mag den Hahnenkamm und das Altmühltal besonders

Gibt es Pläne für den neuen Lebensabschnitt. Halten Sie der Region die Treue?

Als ich hierhergekommen bin, kannte ich die Region gar nicht. Für mich war die Entscheidung richtig: Eine unaufgeregte Region, ohne Schickimicki-Szene. Zu den schönen Seen zieht es mich, meine Frau und meine Familie gerne auch im Herbst oder im Winter, der Hahnenkamm und das Altmühltal gefallen uns ebenfalls sehr gut. Durch meine Sprechstundentätigkeit in Weißenburg und Treuchtlingen habe ich ja fast den ganzen Landkreis mit den jeweiligen Eigenheiten und den verschiedenen Dialekten kennengelernt.

Meine Frau und ich kommen beide aus großen Familien und wir haben selbst sechs Kinder, das fünfte Enkelkind ist unterwegs. Wir haben also eine Riesen-Verwandtschaft und viele Leute zu besuchen. Hinzu kommt, dass man auf den beruflichen Stationen Freundschaften geschlossen hat, die wir jetzt wieder auffrischen möchten.

Und das Skalpell hängen Sie endgültig an den Nagel?

Vorerst ja, in einer Übergangsphase werde ich mich allerdings noch um die Aus- und Weiterbildung der jungen Chirurgen bei uns am Klinikum kümmern. Ein "Angebot" aus dem Ausland hätte ich auch schon: Ein ehemaliger Assistenzarzt, der bei mir die Facharzt-Ausbildung gemacht hat, kommt aus Erbil, aus dem Nordirak. Er meinte: "Komm für vier Wochen, es gibt viel zu tun!" Also, wenn ich als Chirurg tätig werden sollte, dann im Ausland bei humanitären Einsätzen.

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