Gunzenhausen: Anita Hartmann sperrt ihre Nähwerkstatt zu

24.10.2020, 17:31 Uhr
Gunzenhausen: Anita Hartmann sperrt ihre Nähwerkstatt zu

© Foto: Reinhard Krüger

"Anitas Nähwerkstatt" in der Rathausstraße gleich beim Blasturm war eine bekannte Adresse. Hier saß die heute 68-Jährige tagein, tagaus, um Hosen zu kürzen, Kleider enger oder weiter zu nähen, mitunter Löcher stopfen, Reißverschlüsse anzunähen oder Anhänger an Jacken oder Mäntel, weil die Hersteller diese wichtige Kleinigkeit oft nicht mehr anbieten.

Gelernt hat die gebürtige Ansbacherin, die schon als kleines Kind mit ihrer Familie in die Altmühlstadt gezogen ist, bei Elkont. Schneidern war von Anfang an "ihr Ding", erzählt sie. Nach der Hauptschule begann sie ihre Lehre beim damals drittgrößten Hersteller für Damenbekleidung in der Bundesrepublik. 25 Jahre blieb sie dort, "bis zum bitteren Ende" im Jahr 1991.

Stolz auf hochwertige Ware

Anita Hartmann war stets stolz darauf, hochwertige Ware zu produzieren. Ihr Urteil über die heutigen Blazer, Kostüme, Röcke und Blusen, die die Kunden zum Ändern bringen, fällt drastisch aus: "Hundsmiserabel", sagt sie kurz und knapp im schönsten Fränkisch. Die Gründe liegen für sie auf der Hand: In Fernost, wo der überwiegende Teil der Mode heute verarbeitet wird, seien Facharbeiterinnen rar und "die Qualitätskontrolle fehlt teilweise ganz", moniert sie.

Als Elkont dicht machte, wollte die damals 29-Jährige nichts Branchenfremdes anfangen und wagte deshalb den Schritt in die Selbständigkeit. Zuerst am Marktplatz in dem Gebäude, wo heute die Metzgerei "Storchenfischer" sitzt, und von 1996 bis 2015 in der Brunnenstraße. Zusammen mit Schneidermeisterin Waltraut Beierlein kümmerte sie sich dort um die Kleider ihrer Kundinnen und Kunden und machten die bei Bedarf Waren "von der Stange" passend.

Nicht immer einfache Kunden

Auch im Änderungsbusiness ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Noch heute gerät Anita Hartmann regelrecht in Wallung, wenn sie von rechthaberischen und ständig meckernden Kunden erzählt. "Meist sind es die Frauen", sagt sie. Manche etwa hätten sich hartnäckig geweigert, eine Hose, die gekürzt werden sollte, anzuziehen, damit Anita Hartmann es fachgerecht abstecken konnte. "Danach war der Ärger erst richtig groß", erinnert sich die Fachfrau. Romane könnte sie über Menschen schreiben, die einen Festpreis aushandeln wollten und sie herablassend behandelt hätten. "Nicht einmal einen simplen Knopf annähen können die", sagt sie und vermutet, dass solche Menschen wohl überall mit ihrer Art anecken.

Trotz dieser unschönen Erfahrungen ist sie immer noch gerne und leidenschaftlich Schneiderin, weil die Not groß ist. "Es gibt einfach solche Leut‘ wie mich nicht mehr". In ihrer Berufsschulklasse waren sie noch 20 junge Frauen, die Schneiderin werden wollte, heute ergreife niemand mehr diesen Beruf.


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Und welche Voraussetzungen sollte man für dieses Handwerk mitbringen? "Geduld, Fingerfertigkeit und Talent", sagt sie. Besonder motivierend wirken Komplimente nach getaner Arbeit, weiß sie. Über ein "Das sieht ja auch wie neu" freue sie sich einfach.

Nach einem weiteren Umzug in die Rathausstraße führte sie ihr Geschäft in den vergangenen fünf Jahre allein. Insgesamt 54 Jahre hat sie nun geschneidert, genäht und gestopft. Nun ist Schluss: "Ich kann einfach nicht mehr", sagt die allein lebende Frau mit der rotblonden Kurzhaarfrisur, die früher aktiv Handball gespielt hat. Heute spielt sie in ihrer Freizeit im Freundeskreis Gitarre oder trommelt. Und natürlich hat sie eine Nähmaschine und diverse Utensilien aus dem Geschäft in ihre Dachwohnung in der Ostvorstadt gebracht. Man weiß ja nie ...

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