Heimat ist dort, wo ich mich wohl fühle

15.3.2021, 20:34 Uhr
Heimat ist dort, wo ich mich wohl fühle

© Kliesch/PR

1. Frage:

Wenn Sie sich in der Fremde aufhalten und Landsleute treffen: Befällt Sie dann Heimweh oder dann gerade nicht?

Ich liebe ja das Fränkische – aber besonders der fränkische Dialekt ist nur daheim schön. Ihn im Ausland zu hören, oder sagen wir mal nur in Hamburg, das tut weh. Also: kein Heimweh. Wobei ich dieses Gefühl ohnehin nicht kenne.

2. Frage:

Hat Heimat für Sie eine Flagge?

Undenkbar. Heimat ist für mich eher ein Gefühl, das sich einstellt, wenn ich mich irgendwo daheim fühle. Und ein Gefühl hat keine Flagge.

3. Frage:

Worauf könnten Sie eher verzichten:

a. auf Heimat

b. auf Vaterland

c. auf die Fremde

Eindeutig b, Vaterland, allein schon weil's so eine ungute Konnotation hat.

4. Frage: Was bezeichnen Sie als Heimat?

a. ein Dorf

b. eine Stadt oder ein Quartier darin

c. einen Sprachraum

d. einen Erdteil

e. eine Wohnung

Eigentlich nichts von alledem, aber wenn ich eines aussuchen muss, dann am ehesten c. Ich halte es mit Heimat eher wie Herbert Achternbusch, der sagt, Heimat kommt für ihn von Hemmad, also Hemd. Das trägt man auf der Haut, es muffelt ein wenig, ist vielleicht auch fleckig oder eingerissen, aber es wärmt, gehört (zu) einem und ist ein Teil von einem.

5. Frage:

Gesetzt den Fall, Sie wären in der Heimat verhasst: Könnten Sie deswegen bestreiten, dass es Ihre Heimat ist?

Die Frage impliziert wieder, dass Heimat an eine bestimmte Lokalität, eine Region oder gar an Kindheitserlebnisse gebunden ist. Letzteres aber fällt bei mir komplett flach, denn meine Kindheit war nicht besonders lustig. Vielleicht ist deshalb mein Verständnis von Heimat auch ein völlig anderes. Heimat ist für dort, wo ich mich wohl fühle, wo ich bei mir bin, wo meine Freunde sind etc. Und wäre ich bei denen verhasst, wären es nicht meine Freunde. So gesehen muss ich sagen: Wo ich verhasst bin, kann niemals meine Heimat sein.

6. Frage:

Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders?

a. die Landschaft

b. dass Ihnen die Leute ähnlich sind in ihren Gewohnheiten, d.h. dass Sie sich den Leuten angepasst haben und daher auf Einverständnis rechnen können?

c. das Brauchtum

d. dass Sie dort ohne Fremdsprache auskommen

e. Erinnerungen an die Kindheit

Aus Bequemlichkeit d, aber natürlich auch a, denn die Fränkischen Landschaften, sofern sie noch nicht von Logistikzentren und Industriegebieten zugebaut sind, sind oftmals so schön, dass ich mich hineinlegen könnte.

7. Frage:

Haben Sie schon Auswanderung erwogen?

Nicht ernsthaft, weil mir passt's hier in Franken, die Franken passen mir und ich passe mir hier.

8. Frage:

Welche Speisen essen Sie aus Heimweh (z.B. die deutschen Urlauber auf den Kanarischen Inseln lassen sich täglich das Sauerkraut mit dem Flugzeug nachschicken) und fühlen Sie sich dadurch in der Welt geborgener?

Wenn ich in der Fremde bin, bin ich neugierig auf die Küche dort und esse, was es dort gibt. Sonst bräuchte ich ja nicht fortfahren – was allerdings nicht ausschließt, dass ich mich nach der Heimkehr auch auf die ersten Bratwürste freue.

9. Frage:

Gesetzt den Fall, Heimat kennzeichnet sich für Sie durch waldiges Gebirge mit Wasserfällen: Rührt es Sie, wenn Sie in einem andern Erdteil dieselbe Art von waldigem Gebirge mit Wasserfällen treffen, oder enttäuscht es Sie?

Wenn mich eine Landschaft rührt, dann rührt sie mich – ich würde eher sagen: dann rührt sie mich an –, egal ob es eine heimische ist oder eine in der Fremde. Und es gibt so viele Landschaften, die mich »umfangen«, in die sich meine Seele wie von selber legt.

10. Frage:

Warum gibt es keine heimatlose Rechte?

Die Rechte, sofern sie von Blut, Boden, Herkunft etc. faselt (was sie eigentlich immer tut), muss sich dazu ja immer eine warum auch immer exklusive Heimat konstruieren, die aus irgendwelchen blödsinnigen Gründen besser und »wertvoller« als alle anderen Heimaten ist, sonst macht das Gequatsche ja keinen Sinn. Deshalb ist eine Rechte ohne Heimatgefasel nicht denkbar. Sie hätte dann keinen Grund.

11. Frage:

Wenn Sie die Zollgrenze überschreiten und sich wieder in der Heimat wissen: Kommt es vor, dass Sie sich einsamer fühlen gerade in diesem Augenblick, in dem das Heimweh sich verflüchtigt, oder bestärkt Sie beispielsweise der Anblick von vertrauten Uniformen (Eisenbahner, Polizei, Militär etc.) im Gefühl, eine Heimat zu haben?

Ich kenne das Gefühl von Heimweh nicht, also kann es sich auch nicht verflüchtigen. Und auf Uniformen reagiere ich eher allergisch.

12. Frage:

Wie viel Heimat brauchen Sie?

Ich brauche innere Ruhe, Offenheit, Kraft etc. Wenn das Heimat ist, dann brauche ich sehr viel Heimat. Wenn Heimat aber z.B. fränkische Dörfer sein sollen, muss ich sagen: Ich habe sie gerne und ich bin gern dort, aber ich brauche sie nicht.

13. Frage:

Wenn Sie als Mann und Frau zusammenleben, ohne die gleiche Heimat zu haben: Fühlen Sie sich von der Heimat des andern ausgeschlossen oder befreien Sie einander davon?

Meine Frau kommt aus der Oberpfalz und von den Menschen dort fühle ich mich durchaus angenommen und mich also auch dort heimisch.

14. Frage:

Insofern Heimat der landschaftliche und gesellschaftliche Bezirk ist, wo Sie geboren und aufgewachsen sind, ist Heimat unvertauschbar: Sind Sie dafür dankbar?

Ich glaube, ich wäre nicht minder dankbar, wenn ich am Niederrhein, in Sachsen, im Sauerland oder sonst wo aufgewachsen wäre.

15. Frage:

Wem?

Allen meinen Freunden.

16. Frage:

Gibt es Landstriche, Städte, Bräuche usw., die Sie auf den heimlichen Gedanken bringen, Sie hätten sich für eine andere Heimat besser geeignet?

Ich mag viele andere Gegenden und Landstriche, etwa – um nur ein paar zu nennen – die Alpen, das Meer, die Dordogne, das schottische Hochland und und, aber ich bin nun mal in Franken aufgewachsen und das passt so.

17. Frage:

Was macht Sie heimatlos?

a. Arbeitslosigkeit

b. Vertreibung aus politischen Gründen

c. Karriere in der Fremde

d. dass Sie in zunehmendem Grad anders denken als die Menschen, die den gleichen Bezirk als Heimat bezeichnen wie Sie und ihn beherrschen

e. ein Fahneneid, der missbraucht wird

Nichts von alledem. Heimatlos allerdings macht mich, wenn ich z. B. Willkür erfahre oder Ungerechtigkeit ausgesetzt bin, auch Dummheit oder schlicht Macht. Oder wenn ich mir selber fremd bin.

18. Frage:

Haben Sie eine zweite Heimat...?

Nein. Oder auch eine siebte, achte, neunte ...

19. Frage:

...und wenn ja: Können Sie sich eine dritte und vierte Heimat vorstellen oder bleibt es dann bei der ersten?

Wie gesagt: Wenn ich mich irgendwo wohl fühle und "bei mir bin", dann ist das für mich Heimat. Und das kann überall sein.

20. Frage:

Kann Ideologie zu einer Heimat werden?

Ideologie ist doch immer ein Gedankenkonstrukt, zudem meist ein festgefahrenes, das sich der Diskussion eher entzieht, also nicht diskutabel ist, oder? Ideologie ist, zumindest kenne ich das so aus der Soziologie, eher wie ein Bollwerk, ein Panzer, errichtet aus dem Bedürfnis heraus sich zu schützen, mit dem man sich aber gleichzeitig abschottet, also den Austausch verunmöglicht. Wer aber einen Panzer braucht, um sich und seine Einstellungen scheinbar unangreifbar zu machen, bei dem läuft irgendwas schief. Außerdem argumentiert so jemand nicht mehr, sondern verteidigt nur noch. Meine Antwort lautet also: Wem Ideologie zu einer Heimat wird, der kann nur sehr einsam sein.

21. Frage:

Gibt es Orte, wo Sie das Entsetzen packt bei der Vorstellung, dass es für Sie die Heimat wäre, z.B. Harlem, und beschäftigt es Sie, was das bedeuten würde, oder danken Sie dann Gott?

Diesen konkreten »Horror-Ort« gibt es für mich nicht. Allerdings – wenn ich die Frage weiter fasse, muss ich sagen: Ich bin ich mir des unglaublichen Glücks und Privilegs durchaus bewusst, mein bisheriges Leben gesund, ohne Kriege, Hunger, Armut und in einer Demokratie gelebt haben zu dürfen. Auch dass ich nicht ganz dumm bin und ein weißer, zudem männlicher Mitteleuropäer, gehört mit dazu. Was Gott dafür können soll, weiß ich allerdings nicht. Es ist nichts als das pure und ungerechte – aber fraglos sehr schöne – Glück, das ich, obszön genug, jeden Tag genieße.

22. Frage:

Empfinden Sie die Erde überhaupt als heimatlich?

Was denn sonst, den Mars? Nein, ernsthaft: Angesichts des Klimawandels, der Egozentrik und Borniertheit eines Großteils der Menschen sowie des Unwillens wie der Unfähigkeit des Regierungshandelns kann man die Erde schon manchmal als unheimatlich empfinden. Und sie wird in absehbarer Zukunft noch viel unheimatlicher werden.

23. Frage:

Auch Soldaten auf fremdem Territorium fallen bekanntlich für die Heimat: Wer bestimmt, was Sie der Heimat schulden?

Hier in Deutschland bestimmt das jeder einzelne Soldat für sich selbst, der Dienst in der Bundeswehr ist ja bekanntlich freiwillig, heißt: Wer sich diesem Verein anschließt, tut das sehenden Auges und muss mit allem rechnen. Aber mich stört schon dieses Verb "fallen". Denn diese Menschen fallen ja nicht hin, sondern sie werden abgeknallt, in die Luft gesprengt, massakriert. Ich finde, das sollte man dann auch so benennen, denn die da "fallen", stehen nicht mehr auf.

24. Frage:

Können Sie sich überhaupt ohne Heimat denken?

Ohne eine regionale Heimat: ja. Ohne die – meine – Heimat in mir: nein.

25. Frage:

Woraus schließen Sie, dass Tiere wie Gazellen, Nilpferde, Bären, Pinguine, Tiger, Schimpansen usw., die hinter Gittern oder in Gehegen aufwachsen, den Zoo nicht als Heimat empfinden?

Dazu nur ein Satz: Selbst wer hinter Gittern geboren wird und nichts anderes kennt, lebt eingesperrt und hinter Gittern, also unfrei.

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