Herrmann: "Der große Zuzug verändert unser Bayern"

19.1.2018, 06:00 Uhr
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Herr Herrmann, in Bayern leben mit 12,93 Millionen Einwohnern so viele Menschen wie nie zuvor. 2016 hat die Bevölkerungszahl noch einmal um 87.000 zugelegt. Verantwortlich dafür ist der Zuzug aus anderen Ländern, ohne diesen Zuzug würde die Einwohnerzahl sinken. Was macht Bayern so attraktiv für Menschen aus anderen Regionen?

Joachim Herrmann: Bayern ist ein wirtschaftlich sehr prosperierendes Land. Wir haben attraktive Arbeitsplätze – so viele wie nie zuvor. Große Unternehmen und auch Mittelständler können ihren Arbeitskräftebedarf gar nicht mehr aus dem eigenen Land decken. Sie sind schon von sich aus auf der Suche nach Mitarbeitern aus anderen Teilen Deutschlands und Europas, um die Arbeitsplätze qualifiziert zu besetzen. Darüber hinaus ist Bayern natürlich ein landschaftlich herrliches Land mit vielen kulturellen Angeboten.

Der Zuzug erfolgt vor allem von außerhalb Deutschlands. Mehr als 13.000 Menschen aus Rumänien, fast 11.000 aus Kroatien und 16.000 Syrer sind 2016 nach Bayern gekommen. Sie können nicht beeinflussen, woher genau die Menschen kommen werden. Wie wollen Sie da die Entwicklung Bayerns steuern?

Herrmann: In den vergangenen 20 Jahren hatten wir da gewaltige Schwankungen bei den Herkunftsländern. Wir hatten von der Wiedervereinigung bis etwa 2005 einen starken Zuzug von Ostdeutschen, gerade auch junge Menschen, die aufgrund der Arbeitsmarktsituation die bessere Perspektive für sich in Bayern gesehen haben. Das hat jetzt etwas nachgelassen, da ist das Reservoir jetzt nicht mehr so groß und die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland hat sich deutlich stabilisiert. Jetzt kann sich dafür jeder EU-Bürger hier frei eine Wohnung und Arbeit suchen. Da gibt es nichts zu genehmigen und zu verbieten. In den letzten Jahren kamen aber auch noch viele Flüchtlinge dazu. So viele wie vor zwei Jahren würden auf Dauer die Integrationsfähigkeit unseres Landes überfordern.

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Auch mit weniger Flüchtlingen: Der starke Zuzug verändert das Land. Wie wollen Sie einen Grundkern bayerischer Identität bewahren?

Herrmann: Dieser große Zuzug verändert natürlich das Land. Wir wollen Bayern ganz klar im Kern so bewahren, wie wir es zu schätzen wissen, wollen aber natürlich auch ein modernes Land sein. Vor 200 Jahren hatte Bayern in den Grenzen von heute 3,7 Millionen Einwohner. 2017 haben wir wahrscheinlich schon die 13-Millionen-Marke überschritten. Das ist schon eine enorme Zunahme. Wir spüren in vielen Bereichen wie Wohnen und Verkehr, dass wir in den großen Ballungsräumen an Grenzen des Wachstums stoßen. Deshalb wird die Frage, wie wir mit diesem Wachstum umgehen, eine der spannendsten überhaupt der nächsten Jahre sein. Ein völlig ungezügeltes Wachstum ist mit unserem Verständnis, Bayern als Heimat zu bewahren, nicht vereinbar.

Wie viele Einwohner verträgt Bayern denn?

Herrmann: Ich glaube, wir können da nicht abstrakt einen statistischen Wert festlegen. Es hat auch viel mit dem Gefühl der Menschen zu tun. Was erwarten sie von der weiteren Entwicklung des Heimatlandes? Da geht es um Naturschutz, kulturelle Identität und gelungene Integration. Wenn man sieht, wie stark Bayern seit 1818 gewachsen ist – da ist die Integration immer gut gelungen und Bayern hat seinen besonderen Charakter bewahrt. Es ist entscheidend, dass das auch in Zukunft gelingt. Außerdem ist die Intensität des Zuzugs in Bayern sehr unterschiedlich. In den Ballungsräumen gibt es große Probleme bei Verkehr und Wohnen, in vielen Teilen Oberfrankens steht man dagegen nicht oft im Stau, und die Bürgermeister haben sogar Sorgen wegen rückläufiger Einwohnerzahlen.

Wie kann man die wachsende Bevölkerung gleichmäßiger auf Bayern verteilen? Behördenverlagerungen sind da ein kleiner Baustein, genügen aber sicher nicht für die ganz große Wende.

Herrmann: Wir geben viel Geld aus für die Städtebauförderung und die Dorferneuerung, um die ländlichen Gebiete abseits der großen Ballungsräume zu stärken. Man kann Kommunen bei der Entwicklung von Gewerbe- und Wohnbauflächen unterstützen. Auch bei der Revitalisierung von Brachflächen. Wir müssen uns überlegen, wie wir zur Ansiedlung von Arbeitsplätzen dort noch mehr tun können – und gleichzeitig überlegen, wie ein vernünftiges Wachstum in den Ballungsräumen aussehen kann. Im Umkreis von München und teilweise auch schon von Nürnberg sagen einige Gemeinden bereits jetzt, dass sie in den nächsten Jahren keine neuen Baugebiete mehr ausweisen möchten. Sie sagen: Wir sind mit der Größe unserer Gemeinde zufrieden, noch mehr Baugebiete, noch mehr Einwohner würden unsere Gemeinde so verändern, wie wir das nicht wollen.

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