Hier postet der Bürgermeister: Wie Social Media in der Politik funktioniert

9.11.2020, 14:14 Uhr
Hier postet der Bürgermeister: Wie Social Media in der Politik funktioniert

© Igor Golovniov, imago images

Früher gab es nur eine Welt. Die analoge. Der Bürgermeister kam mit den Bürgern auf dem Marktplatz ins Gespräch oder eben beim Bäcker. Wenn Ralph Edelhäußer von den Sorgen und Nöten seiner Gemeinde erfahren möchte, schaltet er den Computer an und öffnet Facebook. Heute Abend lädt der Erste Bürgermeister der Stadt Roth wieder zur digitalen Sprechstunde ein. Das Angebot wird goutiert – vor drei Stunden hat er die Sprechstunde angekündigt, 20 Likes hat der Post schon bekommen.

Edelhäußer setzt viel auf soziale Kanäle. Seit fast zehn Jahren nutzt er Facebook, um seine und die Arbeit der Stadtverwaltung transparenter zu machen und um über Neuerungen in Roth zu informieren. Anlass gab es in den vergangenen Monaten ständig, denn die Corona-Pandemie zwingt die Kommunen zu permanenten Änderungen.

Das sei "Bürgerinfo"

In einem der jüngsten Posts informiert der CSU-Politiker, dass die Stadtbücherei trotz der verschärften Corona-Maßnahmen weiterhin offen hat. In einem anderen geht es um freie Stellen bei der Stadt. Gesucht werden ein Allgemeinarbeiter für den Stadtbauhof und ein Kinderpfleger für die Kindertagesstätte. Vor einigen Tagen hat Edelhäußer ein zehnminütiges Video veröffentlicht mit Kurzinfos aus der Stadtratssitzung. Das sei „Bürgerinfo“, hat jemand unter das Video geschrieben.

Hier postet der Bürgermeister: Wie Social Media in der Politik funktioniert

© Viola DeGeare, Stadt Roth

Soziale Medien gibt es viele – Facebook, YouTube, Twitter, Instagram, 2016 kam TikTok hinzu. Behörden und Kommunalpolitiker machen sich diese zu nutzen. Das hat einen einfachen Grund: Mit ein paar Klicks, Fotos, kurzen Videos und Texten werden tausende Menschen erreicht. Gleichzeitig. Unabhängig von Ort und Zeit. Da kann kein Marktplatz mithalten.

32 Millionen Facebook-User allein in Deutschland

Laut der Statistikdatenbank Statista nutzten im vergangenen Jahr fast 90 Prozent der 16- bis 24-Jährigen soziale Netzwerke. YouTube war hierzulande, gemessen an der durchschnittlichen Nutzungsdauer am Tag unter den 16- bis 19-Jährigen, das beliebteste soziale Netzwerk. Bei den Älteren sieht es anders aus. Die, die älter als 60 sind, nutzen am häufigsten Facebook. 32 Millionen User hat Facebook allein in Deutschland, eine Reichweite, der sich kein Politiker entziehen kann.

Der Kommunikationswissenschaftler André Haller kennt sich mit dem Typus digitaler Bürgermeister aus – und mit den Fehlern, die sie machen. Viele würden ein Profil erstellen und dann loslegen. Es werden Veranstaltungen und Besichtigungen gepostet. Alles völlig planlos. „Die typische digitale Pressemitteilung“, nennt Haller das. Nur Verlautbarungen. Die sozialen Medien seien aber keine Einbahnstraße. Es gehe um Kommunikation, um den Dialog und die Beteiligung der User mittels Umfragen oder dem Aufruf, über ein Thema doch zu diskutieren.

Diskussionen im Netz beobachten

Zu den wichtigsten Tipps, die Haller kommunalen Mandatsträgern bei der Nutzung von Facebook und Co. geben kann, zählt folgender: Sie sollten in den Netzwerken Themen aufgreifen, die die Bürger und nicht sie oder ihre Partei interessieren. Welche das sind, lässt sich herausfinden, indem andere Medien ausgewertet und Posts in lokalen Netz-Gruppen gesichtet werden.

Ein digitaler Dialog mit den Bürgern lässt sich mit einfachen Mitteln starten. So könne der Bürgermeister eine Karte anlegen und darauf etwa leerstehende Lokale einer Stadt markieren, sagt Haller, der an der Fachhochschule Kufstein Marketing, Kommunikationsmanagement und digitales Marketing unterrichtet. Die Karte versieht er anschließend mit Infos und veröffentlicht den Link in Facebook-Gruppen. In Kombination mit der richtigen Frage, etwa „Wie lässt sich die Zahl der Leerstände reduzieren?“, kann eine Debatte bei den Usern ins Rollen gebracht werden. Die Menschen, sagt der 36-Jährige, würden in die Politik „hineingezogen“.

Haller weiß, viele Bürgermeister scheuen den Aufwand, schließlich müssen Sitzungen vorbereitet und Unterlagen gelesen werden. Ralph Edelhäußer investiert in etwa zehn bis 15 Stunden pro Woche in seine Posts und um auf User-Fragen zu reagieren. Das Engagement lohnt sich offenbar. Bei Facebook hat er 1609 Abonnenten, die automatisch seine neuesten Beiträge angezeigt bekommen.

Posts planen

Der Kommunikationswissenschaftler Haller rät Bürgermeistern, sich nach Unterstützung umzusehen. Wer im näheren Umfeld kennt sich mit sozialen Medien aus und kann helfen? Vielleicht gibt es ja Freiwillige. „Das muss keine One-Man-Show sein.“ Und ganz wichtig: Planungen. Am besten eine Übersicht des Jahres erstellen, sagt Haller: Wann stehen Kirchweihen an? Wann hat der Alt-Landrat Geburtstag? „So kann ich mich schon im Vorfeld vorbereiten und Posts planen.“

Wie viele Bürgermeister und Kommunen nutzen überhaupt soziale Medien? Dazu gibt es nur wenig statistisches Material, regionale Analysen fehlen gänzlich. Einen groben Eindruck vermittelt eine Studie, an der unter anderem die Uni Kassel beteiligt war und die 2016 veröffentlicht wurde. 332 Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland waren online zu ihrer Nutzung von sozialen Medien befragt worden. Heraus kam, dass die Mehrheit der Kommunen – nämlich 64 Prozent – soziale Medien verwenden. Drei Jahre zuvor waren es nur 54 Prozent gewesen. Doch wie schon 2013 wurden die „Potenziale von Social Media zur Vernetzung, Kommunikation und Kooperation“ nicht ausgeschöpft, heißt es in der Studie. Statt sich mit den Bürgern auszutauschen, würden die Kommunen über sie Informationen zu Veranstaltungen und Pressemitteilungen verbreiten.

Nicht jeder erhält eine Antwort

Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) postet fast täglich Nachrichten und Bilder auf seinem Facebook-Konto (2766 Abonnenten). Bürgern, die unter seinen Beiträgen Fragen stellen, antwortet er. Doch nicht jedem kann er zurückschreiben, nicht auf jeden Kommentar reagieren. Unter einem Post von Ende Oktober, in dem das Stadtoberhaupt erklärt, warum Erlangen die Maskenpflicht an Grundschulen nicht aufheben wird, finden sich allein 269 Kommentare.

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) hat sich professionelle Hilfe geholt und Sven Heublein engagiert. Der ehemalige CSU-Bezirksgeschäftsführer betreut seit Mitte des Jahres Königs persönliche Kanäle in den sozialen Medien und antwortet in dessen Namen auch auf die Fragen der Bürger. König und Heublein versprechen sich von den Kanälen, dass so politische Entscheidungen und Prozesse oder Entschlüsse der Stadtverwaltung transparenter werden.

100 Tage Bürgermeister

Die Beiträge auf Königs Facebook-Seite sind ganz unterschiedlich. Mal ist ein Foto vom Büchereibus der Stadtbibliothek zu finden, Fotos vom Besuch beim Gesundheitsamt oder auch Videos. Jenes mit dem Titel „100 Tage Bürgermeister“ wurde über 5000 Mal aufgerufen.

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König hat Sven Heublein mit ins Boot geholt. Er hat ein Auge auf die sozialen Kanäle des Stadtoberhaupts. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung macht dies allein. 

Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König hat Sven Heublein mit ins Boot geholt. Er hat ein Auge auf die sozialen Kanäle des Stadtoberhaupts. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung macht dies allein. 

Es sind ganz unterschiedliche Gruppen, die König und Heublein in den sozialen Netzwerken zu erreichen versuchen. Bei Instagram mit seinen „ästhetischen Bildern“ und der „positiven Grundstimmung“ sei das Publikum sehr jung, sagt Heublein, unter den Facebook-Nutzern befänden sich dagegen auch Senioren.

Im Internet findet sich eine Fülle an Seminaren, damit aus analogen digitale Stadtoberhäupter werden. Anfang Oktober fand etwa in Tutzing an der Akademie für politische Bildung das Seminar „Der digitale Bürgermeister. Social Media für Kommunalpolitiker“ statt.

Auch Gisela Goblirsch verdient mit Schulungen in diesem Bereich ihr Geld. Bei der Bayerischen Akademie für Verwaltungs-Management ist sie die Referentin für Bürgermeisterseminare. Vielen ihrer Kursteilnehmer muss sie erst einmal vermitteln, dass sie nach der Wahl zum Bürgermeister oder Landrat die Kommunikation auf ihrem Facebook-Kanal ändern müssen. Sie seien jetzt nicht mehr allein die politische Person, sondern zusätzlich Chef einer Verwaltung – quasi eines riesigen Unternehmens – und Moderator im Gemeinde- oder Stadtrat.

"Vieles kommt nicht an"

Goblirsch empfiehlt unterschiedliche Accounts anzulegen, damit auch den Bürgern der Unterschied zwischen den Rollen bewusst wird und damit der Bürgermeister Inhalte trennen kann. Tut er dies nicht, droht nämlich Ärger. Ein Beispiel: Die Einweihung einer Umgehungsstraße kann ein grünes Stadtoberhaupt auf seinem persönlichen Account kritisieren, auf jenem als Bürgermeister sollte er dies unterlassen, denn die Bürger haben den Bau quasi in Auftrag gegeben. „Wenn ich nicht präzise bin, in welcher Funktion ich etwas darstelle, mache ich mich von allen Seiten angreifbar.“

Mit einem guten digitalen Auftritt kann ein Bürgermeister punkten und zum einen die Aufgaben und Leistungen seiner Verwaltung abbilden – vom Aufstellen von Blumenkästen über die Grundsteinlegung bis zu Eröffnungen kommunaler Bauvorhaben. „Es werden unglaublich viele Dinge für die Menschen gemacht. Doch vieles kommt nicht an.“ Zum anderen könne er zeigen, „was Kommune ausmacht“ – also über Initiativen und Ehrenämter posten.

Auch Ralph Edelhäußer hat noch wertvolle Tipps für seine Kollegen: Er empfiehlt sich ein Handy mit guter Kamera zuzulegen und öfter mal was Privates zu posten. „Das macht menschlich und kommt bei den meisten Followern gut an.“

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