Karikaturist Haitzinger im Interview: "Alles ist eine Frage der Dosis"

28.11.2019, 09:44 Uhr
Im Museum Industriekultur wurde im Juli ein Teil der 15.000 Karikaturen von Horst Haitzinger ausgestellt. Er hatte die Regierungen seit Adenauer begleitet.

© Roland Fengler Im Museum Industriekultur wurde im Juli ein Teil der 15.000 Karikaturen von Horst Haitzinger ausgestellt. Er hatte die Regierungen seit Adenauer begleitet.

Herr Haitzinger, wenn Sie am ersten Tag im Ruhestand einen wahnsinnig guten Einfall für eine Karikatur haben, was werden Sie dann denken?

Haitzinger: Das können Sie jetzt unmöglich schreiben: Scheiße! Ich habe vor dieser Situation aber wohl vor allem deshalb Angst, weil mir alle einreden, dass es so sein wird. Ganz im Ernst: Ich für mich glaube trotzdem eher nicht, dass das der Fall sein wird.

Aber dieser tägliche Prozess, Assoziationsketten zu bilden und die Gedanken schließlich in einem kleinen Theaterstück zeichnerisch darzustellen, dass wird Ihnen doch fehlen?

Haitzinger: Nein. Ich glaube, dass ich mein geistiges Bedürfnis künftig anders befriedigen kann. Ich habe zum Beispiel einen unheimlichen Nachholbedarf beim Lesen, das liegt seit Jahren brach. Und wissen Sie: Meine Art, Karikaturen zu machen, lebt ja in erster Linie von Metaphern und Bildern. Und die müssen allgemein verständlich sein, was wiederum heißt, dass ihre Anzahl irgendwo begrenzt ist. Es geht mehr oder weniger nur darum, wie intelligent man sie variiert. Ich habe da alles durchgekaut und das habe ich in den letzten Jahren auch als zunehmend anstrengend empfunden. Ich fühle mich im Moment wirklich ausgepresst wie eine Zitrone.


Ein Dank zum Abschied: Karikaturist Horst Haitzinger hört auf


Sie haben weit über 15.000 Karikaturen gezeichnet und alle Regierungen seit Adenauer begleitet. Haben Sie einzelnen Politikern hinterhergetrauert?

Haitzinger: Garantiert nie. Bei denen, die mich am längsten begleitet haben wie ein Strauß oder Kohl, bei denen war ich auch am frohesten, wenn ich sie wieder los war. Ein journalistischer Beruf lebt ja auch ein wenig von der Abwechslung.

Es wird ja gerade heutzutage immer wieder über die Farblosigkeit der Politikergeneration lamentiert.

Haitzinger:.. Das stimmt nicht und in diesen Jammerchor bin ich auch nie mit eingefallen. Die müssen nur lange genug am Drücker sein, dann ähneln sie immer mehr ihren eigenen Karikaturen und die Typen sind eigentlich genau so markant wie früher. Der Unterschied ist nur, dass die Politiker der Vergangenheit unverbrauchter waren.

Wie meinen Sie das?

Haitzinger: Achtung, jetzt redet hier gleich wirklich ein alter Knacker: Das liegt schlicht daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich alles bei Null anfing. Da war eben Adenauer der erste Bundeskanzler und unvergleichbar, weil vorher in der Kategorie nichts da war. Und wenn sich damals irgendein Politiker mit irgendeinem Zitat daneben benommen hat, konnte man das auch zehn Jahre später einbauen, variieren, anderen unterschieben, weil sich die Menschen daran erinnert haben. Mittlerweile hat sich das Tempo derart erhöht, dass jede Äußerung an Prägnanz verliert.

Gilt das in der Rückschau auch für ihre eigene Arbeit?

Haitzinger: Nein. Ich war ein Leben lang ein ziemlich ehrgeiziger Mensch, der immer bemüht war, sich zu verbessern. Das meine ich jetzt in erster Linie handwerklich, zeichnerisch. Wenn man an seinem Stil feilen will, ist man ja ziemlich gut beschäftigt. Und das Themenangebot kam und kommt ja ohnehin von außen, da brauchte man sich über irgendwelche Entwicklungen nie groß Gedanken zu machen.

Wer eignet sich eigentlich besser für eine Karikatur? Ein Politiker, der mit markantem Äußeren oder ausgeprägten Inhalten auffällt?

Haitzinger: Das spielt natürlich zusammen. Ich habe ja durchaus den Ehrgeiz, eine Physiognomie in ihrer Psychologie zu erfassen. Aber natürlich ist ein markantes Äußeres leichter darstellbar als ein fades. Ich habe zum Beispiel jahrelang mit diesem langweiligen Beamtengesicht von Erich Honecker gekämpft. Und kaum hatte ich den drauf, fiel die Mauer.

Gibt es noch andere Gesichter, die für Sie schwer zu fassen waren?

Haitzinger: Auch wenn das kaum zu glauben ist, aber Theo Waigel hatte durchaus ein ganz schwieriges Gesicht. Aber den haben natürlich seine Augenbrauen gerettet.

Die Weltpolitik wird ja inzwischen nicht zu knapp von so jemandem wie Trump, Putin oder Erdogan bevölkert. Sind die eigentlich eher ein Glücksfall oder ein Alptraum für einen Karikaturisten?

Haitzinger: Also, die geben natürlich was her, aber sie wiederholen sich auch bis zum Erbrechen. Bei Trump artete das auch zeichnerisch zum Alptraum aus. Der Satz, dass die Wirklichkeit die Satire überholt, wird ja schon seit Jahrzehnten strapaziert. Aber so berechtigt wie heutzutage war er noch nie. Wenn ein Trump behauptet, er sei ein Genie, weiß ich definitiv nicht, ob er das ironisch meint oder es sich tatsächlich selber glaubt. Wie soll man solche Äußerungen noch satirisch überhöhen?

Überhaupt dreht sich das Rad inzwischen ja sehr schnell. Wie empfinden Sie das?

Haitzinger: Die Intervalle, in denen sich politisch etwas verändert, sind tatsächlich immer kürzer geworden und man hechelt immer mehr hinterher. Da hat sich natürlich auch in Sachen Verbreitung mit den technischen Möglichkeiten grundsätzlich viel getan, was auch für meine Arbeit gilt. Ganz früher habe ich mit Eilpost gearbeitet und trotzdem war die Karikatur frühestens am übernächsten Tag im Blatt. Das hat mich gezwungen, nicht nur Eintagsfliegen zu produzieren, sondern mindestens zwei bis drei Tage vorauszudenken und zu überlegen, wie das dann auf den Leser wirkt.

Hat der Wandel der Medienlandschaft auch Auswirkungen auf die Bedeutung von Karikaturen?

Haitzinger: Natürlich. Wer früher in der Printpresse präsent war, etwa als Politiker, war auch jedem bekannt. Das hat sich geändert. Die Zeitung erreicht nicht mehr jeden, die Leserschaft wird immer älter. Das heißt, ich habe das Gefühl, ich bediene nur noch ein ganz bestimmtes Publikum. Das ist ein riesiger Unterschied zu früher, aber eben auch der Lauf der Dinge.

Welche politische Haltung haben Sie eigentlich selber?

Haitzinger: Das ist jetzt keine feige Ausrede, aber ich könnte mich nie parteipolitisch festlegen. Ich habe immer mit den Grünen sympathisiert. Aber dann haben mich Jutta Dietfurt und Konsorten vergrault. Ich war auch ein Fan der Außenpolitik Willy Brandts, ordnungspolitisch bin ich nach wie vor stockkonservativ. Am Ende ist für mich immer alles eine Frage der Dosis und so war und bin ich politisch eben meine eigene Ein-Mann-Partei.

Wie dürfen wir uns denn einen Horst Haitzinger vorstellen, der nicht mehr jeden Tag an seinem kleinen Schreibtisch sitzt und zeichnet?

Haitzinger: Ich höre damit ja nicht auf und werde weiter in meinem Landhaus an großformatigen Ölbildern malen wie in den letzten Jahren auch schon. Außerdem habe ich wirklich eine grauenhafte Wampe gekriegt und muss mich dringend mehr bewegen.

Ihr kleines Arbeitszimmer, in dem Sie gerade sitzen, ist ja wirklich voll bis unter die Decke. Was passiert mit dem Raum oder anders gefragt: Wie lange wird das Aufräumen dauern?

Haitzinger: Bis an mein Lebensende! Ich glaube, Leute, die immer alles sammeln, nennt man Messi oder so...

So schlimm ist es aber wirklich nicht.

Haitzinger:.. Naja, da habe ich schon eine Tendenz dazu. Ich kann nichts wegwerfen, was appetitlich aussieht. Egal ob es idiotische Prospekte sind oder Pappschachteln. Aber ich habe mir jetzt wirklich fest vorgenommen, endlich Ordnung in meine Bude zu bringen und da fange ich bei meinem Zeichentisch an. Schade, dass Sie ihn gerade nicht sehen können. Es würde Sie grausen. Da haben sich auch lauter Mappen mit Bruchteil-Skizzen von irgendwelchen Ideen aufgestappelt, von denen ich dachte, irgendwann kann ich die brauchen. Ideen, zu denen es keinen Anlass gibt, sind ja oft am komischten.

Und das schmeißen Sie wirklich alles weg?

Haitzinger: Ja. Und diesen grauenhaften Computer, mit dem ich nach wie vor nicht zurecht komme, brauche ich auch nicht mehr. Ich habe jetzt tagelang mit ihrem Chefredakteur korrespondiert, ohne dass ich tatsächlich weiß, ob meine Mails auch angekommen sind. Irgendwelche Updates will das Ding dauernd machen, aber ich traue mich ja gar nicht, draufzuklicken, weil ich nicht weiß, was ich damit dann wieder anrichte.

Ich sage es ihm.

Haitzinger: Das wäre nett. Soll ich Ihnen jetzt schon mal frohe Weihnachten wünschen?

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