Kommentar: "Die Gleichstellungsstrategie darf nicht zahnlos bleiben"

8.7.2020, 14:16 Uhr
In der Coronakrise waren Frauen im Vergleich deutlich stärker belastet. 

© Boris Roessler/dpa In der Coronakrise waren Frauen im Vergleich deutlich stärker belastet. 

Es gibt so Sprichwörter, die man gar nicht mehr gerne in den Mund nimmt, weil sie so altbacken sind. Dazu gehört der Satz, dass man noch aus jeder Krise etwas lernen kann. Krisen machen stark, so in der Art.

Die Coronakrise beflügelte zu Beginn tatsächlich viele von uns – jetzt werden wir endlich wirklich alle ökologischer, mitfühlender und toleranter. Dass sie in ihrem Verlauf viele gesellschaftliche Probleme unter dem ebenfalls bereits sprichwörtlichen Brennglas zeigte, kam später. Es war zum Beispiel nicht zu übersehen, dass vor allem Frauen im Shutdown die Care-Arbeit wuppten und Homeschooling und Homeoffice irgendwie auf die Reihe kriegten.

Heimchen am Herd war plötzlich wieder ein Begriff, der griff. Das hat auch die Politik wahrgenommen. Vielleicht auch, weil gut organisierte Unternehmerinnen bundesweit protestiert haben gegen den Corona-Rollback. Influenzerinnen mobilisierten unter #stattblumen Tausende, die nicht zulassen wollten, dass der Lerneffekt aus der Coronakrise in die falsche Richtung geht und Frauen wieder daheim und nicht in Entscheidungsgremien sitzen.

In Nürnberg legte eine Briefaktion an Ministerpräsident Markus Söder, die auch von der Gleichstellungsstelle im Rathaus unterstützt wurde, den Finger in die Wunde. Dass heute das Bundeskabinett wie im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbart erstmals eine Gleichstellungsstrategie zur Chancengleichheit von Frauen und Männern in Deutschland beschließt, passt also wunderbar zum Learning aus der Coronakrise. Die Ziele der Gleichstellungsstrategie – gleiche Bezahlung, gendergerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, gleiche Repräsentanz von Frauen und Männern in Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft – ploppten in der Krise als gesellschaftrelevante Themen an vielen Stellen auf.

Doch in den nächsten Wochen muss sich zeigen, was die Strategie von einem zahnlosen Papiertiger unterscheidet. Die jahrelange Debatte über mehr Diversität in Unternehmen und Parteien zeigt, dass es ohne strukturelle Veränderungen nicht geht. An ihre Strukturen geht jetzt die CDU. Die Struktur- und Satzungskommission beschloss die Einführung einer schrittweisen verbindlichen Frauenquote von 50 Prozent für Vorstandswahlen ab der Kreisebene.

Die Regelung soll aber nur für Gruppenwahlen von Vorständen etwa für stellvertretende Vorsitzende und Beisitzer gelten. Für Einzelwahlen von Vorsitzenden, Mitgliederbeauftragten oder Schatzmeistern auf Bundesebene aber nicht. Und dass die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats, Astrid Hamker, gleich Kritik übt, spricht auch nicht dafür, dass Gendergerechtigkeit tatsächlich in der CDU angekommen ist. "Bei der CDU frage ich mich, ob sie angesichts einer Bundeskanzlerin, einer EU-Kommissionspräsidentin und derzeit noch einer Parteivorsitzenden sowie drei von fünf Spitzen ihrer Bundesministerien in weiblicher Hand überhaupt diese Frauendebatte braucht", sagte Hamker der Passauer Neuen Presse.

Ob tatsächlich eine gendergerechtere Gesellschaft ein Ergebnis der Coronakrise ist, bleibt trotz aller positiven Veränderungen also abzuwarten.

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