Lungenarzt: Dieser Fehler beim Maskentragen kann Corona verbreiten

19.6.2020, 05:54 Uhr
Eine richtig getragene Maske kann vor Corona schützen - sofern sie Mund und Nase bedeckt.

© Marijan Murat, dpa Eine richtig getragene Maske kann vor Corona schützen - sofern sie Mund und Nase bedeckt.

NZ: In ganz Deutschland werden immer mehr Schutzmaßnahmen gegen Corona heruntergefahren, auch im strengen Bayern. Gehen die Lockerungen zu weit?

Joachim Ficker: Das kann ein Arzt nicht alleine entscheiden, das sind politische Abwägungen zwischen medizinischer Sicherheit einerseits und persönlicher Freiheit, wirtschaftlichen Notwendigkeiten und anderen Aspekten wie der Notwendigkeit eines Schulbetriebs andererseits. Wir haben heute ein viel besseres Sicherheitsnetz als Anfang März. Es gibt heute viel weniger Fälle in der Bevölkerung und gleichzeitig mehr Möglichkeiten, Infektionen schnell zu entdecken und weiterzuverfolgen. Auch die neue Handy-App kann dabei helfen. Statt das ganze Land in einen Shutdown zu nehmen, ist es jetzt leichter, lokal begrenzt einzugreifen, etwa in einem bestimmten Betrieb, einem Wohnblock oder in einem Freundeskreis oder Verein gezielt zu reagieren. Diese Möglichkeit ist mit einem großen Aufwand geschaffen worden und ich glaube, vor diesem Hintergrund dürfen wir jetzt auch ein bisschen mutiger werden. Wo aber viele Personen zusammen sind, so dass es eng wird und insbesondere in Innenräumen würde ich weiterhin gerne zumindest Masken sehen.

In Geschäften ist jetzt die doppelte Kundenzahl im Verhältnis zur Fläche erlaubt. Da wird es mit dem Abstandhalten schwieriger und es sind mehr Aerosole in der Raumluft.

Maske auf Halbmast bei Armin Laschet: Inzwischen ist bekannt, dass das Virus vor allem über die Nase in den Körper gelangt.

Maske auf Halbmast bei Armin Laschet: Inzwischen ist bekannt, dass das Virus vor allem über die Nase in den Körper gelangt. © Foto: Henning Kaiser, dpa

Ficker: Es ist tatsächlich so, dass diese Faktoren das Infektionsrisiko wieder erhöhen können. Auf der anderen Seite ist das Risiko stark gesunken, dass sich überhaupt eine ansteckende Person im Raum befindet. Das bayerische Vorgehen ist im Vergleich zu anderen Regionen eher noch ein vorsichtiges, was ich gut finde. Man kann die unterschiedlichen Strategien recht gut in den verschiedenen Bundesstaaten der USA vergleichen. Wo schon die Schutzmaßnahmen gelockert wurden, bevor die Zahl der Infizierten sehr stark gesunken ist, ist die Zahl der Neuinfektionen gleich wieder hochgegangen. Bei uns gibt es eine geringe Zahl einzelner Ausbrüche, und diese lassen sich inzwischen schnell aufspüren und in den Griff bekommen.

Welche Maßnahmen sind dabei entscheidend, was hat sich seit Beginn der Corona-Krise getan?

Ficker: Da ist vor allem die bessere Ausstattung der Gesundheitsämter, die wirklich schlagkräftige Teams entwickelt haben, um Infektionsketten aufzudecken. Und dann kam natürlich auch die niederschwellige Verfügbarkeit von Tests und mit schnelleren Ergebnissen, das war ja Anfang März ganz anders. Und mit Hilfe der kostenlosen Corona-Warn-App der Bundesregierung lassen sich Infektionen vermutlich bald schneller entdecken.


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In vielen Punkten gibt es neue Erkenntnisse. Eine aktuelle Untersuchung zeigt zum Beispiel, dass das Virus eher durch die Nase als durch den Mund in den Körper gelangt.

Ficker: Das ist tatsächlich so, anders als bei anderen Virusinfekten wie Influenza. Die Nase ist wohl oft der wesentliche Infektionsort, also die Stelle, an der das Virus in den Körper eindringt und von der es auch weiterverbreitet werden kann, etwa beim Niesen oder Schneuzen. Wir gehen davon aus, dass die Infektion der Lunge oftmals nicht direkt erfolgt, also durch tiefes Einatmen des Virus, sondern dass zunächst eine Infektion der Nase erfolgt. Von dort kann dann die Infektion in die Lunge absteigen, indem etwa beim tiefen Einatmen oder beim Schnarchen Sekret aus Nase und Rachen in die Bronchien gelangt. Das Nasensekret kann auf jeden Fall ansteckend sein. Ein Mundschutz muss also auf jeden Fall auch über die Nase gezogen werden, sonst macht er keinen Sinn. Die Alltags-Maske schützt vor allem die Mitmenschen und ein bisschen auch den Träger selbst. Sie ist wie die Handy-App eine solidarische Aktion, wenn alle mitmachen geht die Rechnung auf.

Manche halten die App für überflüssig, weil bei einer Quote von derzeit 0,007 Prozent Erkrankten in Bayern die Wahrscheinlichkeit gering ist, einem Infizierten zu begegnen.

Chefarzt Joachim Ficker.

Chefarzt Joachim Ficker. © Privat

Ficker: Das kann man so oder so sehen. Die allermeisten Autofahrer hatten nie einen Unfall, bei dem ihnen der Sicherheitsgurt das Leben gerettet hat, und trotzdem lege ich den Gurt an. Wir haben es gemeinsam geschafft, durch unsere Disziplin das Pandemiegeschehen so weit abzusenken. Jetzt sollten wir wirklich auch alle dabeibleiben und alles tun, was mit wenig Einschränkungen und Aufwand machbar ist, damit wir gemeinsam in diesem Land ein möglichst normales Leben führen können. Da gehört schon auch die Solidarität dazu, sich die Corona-Warn-App aufs Handy zu laden. Es spricht ja auch überhaupt nichts gegen die App, ich kenne kein einziges ernsthaftes Gegenargument.

Sind schon weitere Schritte bei der Rückkehr zur Normalität zu erwarten?

Ficker: Wenn die Entwicklung in Bayern weiterhin so günstig ist, dann werden wir weitere Lockerungen haben können. Die große Frage ist aber, was passiert nach den Sommerferien? Wenn viele schon wieder Urlaub im Ausland gemacht haben, wenn alle Schüler in ihre Schulen zurückkehren dürfen, und wenn der Herbst kommt. Ist es klug, jetzt weitere Lockerungen zuzulassen, um dann wieder anziehen zu müssen? Aber das ist auch eine politische Entscheidung, die kann ich nicht als Lungenarzt treffen.


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Viele Eltern verstehen nicht, warum ihre Kinder nur jede zweite Woche in die Schule gehen dürfen. Gerade hat eine neue Studie aus Baden-Württemberg die Vermutung gestützt, dass Kinder sich seltener anstecken und somit keine große Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen.

Ficker: Der Hintergrund ist eine große Unsicherheit. Alle Studien an Kindern sind zu einem Zeitpunkt gemacht worden, als es irgendeine Form von Shutdown gab. Die Kinder waren gar nicht mehr in den Schulen oder Kindergärten. Es gibt nur ein paar asiatische Studien, in denen auch ein kurzer Zeitraum mit regulärem Schulbetrieb erfasst war. Das heißt, es gibt keine klaren Daten darüber, was in den Schulen passiert, wenn Kinder in der normalen Anzahl und in der für Kinder typischen Art miteinander umgehen. Wir schätzen, dass das Infektionsrisiko für Kinder im Vergleich zu Erwachsenen nur bei grob geschätzt 50 Prozent liegt. Aber wenn Kinder infiziert sind, dann sind sie wahrscheinlich fast so infektiös wie Erwachsene. Dass sie in manchen Untersuchungen dennoch weniger ansteckend zu sein scheinen, ist ganz naheliegend: Wenn ein großer Mann und ein kleines Kind in einen Raum hineinsprechen, dann produziert der Mann dabei mehr Tröpfchen und eine größere Aerosolwolke, in die ein anderer leichter hineinlaufen kann als in die kleine Aerosolwolke des Kindes. Aber wie sich der Umgang von Kinder mit Kindern in der Schule auf das Infektionsrisiko auswirkt, wissen wir noch nicht genau. Und wenn das Kind auf dem Schoß der Großmutter sitzt, wird eben auch eine kleine Aerosolwolke zum Risiko.

Für Hoffnung sorgen die Fortschritte bei der Suche nach Medikamenten: Das Ebola-Mittel Remdesivir kann im Notfall helfen, und vor allem senkt das Cortison-Präparat Dexamethason die Sterblichkeit. Ein gezielt für Corona entwickeltes Mittel für den breiten Einsatz ist aber noch nicht da.

Ficker: Die in der britischen Studie gezeigte Wirkung von Dexamethason ist ein großer Erfolg, bei lebensbedrohlich erkrankten Corona-Patienten kann die Sterblichkeitsrate um ein Drittel gesenkt werden! Es werden weitere Mittel kommen, die sich gegen die Überreaktion des Immunsystems richten, und ich denke, es werden in absehbarer Zeit auch weitere Medikamente kommen, die sich gegen das Coronavirus selbst richten. Wir werden wahrscheinlich bald mit Kombinationen verschiedener Medikamente arbeiten, und die aktuellen Entwicklungen machen mich sehr zuversichtlich.

Ist angesichts der vielen positiven Nachrichten jetzt ein Wendepunkt in der Corona-Krise erreicht?

Ficker: Es ist wirklich Licht am Horizont. Durch das Dexamethason wird zwar nicht die Zahl der Infektionen sinken, aber die Todesfälle und wahrscheinlich auch die Zahl derer, die langfristige Schäden davontragen. Bis es einen Impfstoff gibt, werden wir aber weiterhin einen gewissen Aufwand wie etwa das Tragen von Masken in bestimmten Situationen betreiben müssen, um das Virus im Zaum zu halten.


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