Neue VGN-Chefin: "Werden nicht um Preiserhöhung herumkommen"

22.2.2021, 14:34 Uhr
Neue VGN-Chefin:

© Stefan Blank

Frau Steidl, wie ist es, mitten in einer Pandemie einen großen Verkehrsverbund zu übernehmen?

Anja Steidl: Es ist schwierig. Das letzte Jahr war für uns eine Achterbahnfahrt. Im ersten Lockdown gingen die Fahrgastzahlen um 70 Prozent zurück. Dann gab es eine leichte Erholung, im August und September erreichten wir sogar wieder 80 Prozent des normalen Fahrgastaufkommens. Momentan liegen wir zwischen 30 und 40 Prozent der üblichen Nachfrage. Die Menschen haben Angst mit Bus und Bahn zu fahren und sich dabei anzustecken. Nach Studien gibt es keine Hinweise darauf, dass im ÖPNV ein erhöhtes Ansteckungsrisiko herrscht.

Anja Steidl ist seit Anfang 2021 neue Geschäftsführerin beim VGN. Geschäftsführer ist auch Andreas Mäder. 

Anja Steidl ist seit Anfang 2021 neue Geschäftsführerin beim VGN. Geschäftsführer ist auch Andreas Mäder.  © Foto: VGN

Dass weniger Kunden Bus und Bahn nutzen, liegt auch am mobilen Arbeiten und am Homeoffice. Das Thema Homeoffice wird Ihnen nach der Pandemie erhalten bleiben. Wie stark verändert dies einen Verkehrsverbund und seine Planungen?

Steidl: Homeoffice war schon vor der Pandemie für uns ein Thema, weil sich die Arbeitswelten ändern. Wir überlegen, wie wir unser Tarifsortiment anpassen können. Derzeit setzen wir ein Pilotprojekt auf für einen E-Tarif. Wir wissen, dass gerade Menschen im Home-Office digital affin sind. Der neue Tarif soll sich an Gelegenheitsfahrer richten. Der Kunde entscheidet nicht mehr im Voraus, welchen Fahrschein er braucht, sondern er betritt mit einer App auf dem Smartphone ein Fahrzeug. Dort wird er entweder automatisch registriert oder er registriert sich selbst. Beim Austeigen wird er ausgebucht oder er bucht sich selbst aus. Die Fahrt wird dann automatisch berechnet. Mitte 2022 wollen wir damit auf den Markt gehen.

Wie hat sich die Pandemie auf die Entwicklung eines E-Tarifs ausgewirkt?

Steidl: Der E-Tarif war bereits Teil des existierenden Innovationspakets des VGN. Die Pandemie hat dem Thema aber einen Schub gegeben. Wir hatten für den Start zunächst das Jahr 2023 vorgesehen.

Nur gelegentlich statt wie zuvor regelmäßig in die Arbeit zu pendeln, bedeutet weniger Einnahmen.

Steidl: Das stimmt. Einige Verkehrsexperten gehen davon aus, dass es dauerhafte Rückgänge geben wird durch die veränderte Arbeitswelt und durch die veränderten Gewohnheiten. Viele Menschen haben jetzt wieder das Fahrrad für sich entdeckt. Andere Verkehrsexperten gehen davon aus, dass zwar der Pendlerverkehr zurückgeht und damit die klassischen Stoßzeiten, der ÖPNV aber mehr genutzt wird, um zum Einkaufen zu fahren oder um etwas in der Freizeit zu unternehmen.

Der E-Tarif würde eine qualitative Erweiterung des VGN bedeuten. Wie ist der Stand der Dinge hinsichtlich der Quantität? Ist eine Erweiterung Richtung Oberfranken noch der richtige Weg?

Andreas Mäder: Die Erweiterung des VGN-Gebiets ist auch dringender Wunsch des Freistaats und hier möchte er 2023 Ergebnisse sehen. Es geht unter anderem darum, in ländlichen Regionen gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und dazu gehört ein Öffentlicher Personennahverkehr, der besser ist als der gegenwärtige. Eine Erweiterung des Verbunds hat viele Vorteile. Der VGN kann sein Wissen etwa im Bereich der Digitalisierung mit den neuen Partnern teilen.

Steidl: Der Freistaat möchte keine weißen Flecken, sondern zusammenhängende Verbundgebiete, in denen es einheitliche Tarife und Information gibt und keine Insellösungen.


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Derzeit läuft eine Studie über den möglichen Beitritt der Städte Hof und Coburg sowie der Kreise Coburg, Hof, Kulmbach, Kronach, Wunsiedel und Tirschenreuth. 2021 sollten Ergebnisse vorgelegt werden.

Mäder: Durch die Pandemie gab es einige Verzögerungen, so konnten zum Beispiel die Fahrgäste nicht befragt werden, um die Fahrgastströme zu ermitteln. Der erste Teil der Studie ist jedoch abgeschlossen. So konnte nachgewiesen werden, dass eine Erweiterung aus verkehrlicher Sicht Sinn machen würde. Im zweiten Teil werden nun die wirtschaftlichen Aspekte ermittelt: Wie hoch sind die Kosten für die Verkehrsunternehmen, wenn sie dem VGN beitreten und wie werden sich ihre Einnahmen entwickeln.

Welche Entwicklungen wird es in den kommenden Jahren beim ÖPNV geben?

Steidl: Wir setzen darauf, dass die Politik am Ziel der Verkehrswende festhält. Es ist wichtig, weiteres Geld in den ÖPNV zu investieren. So können mehr Busse und Bahnen eingesetzt werden, um den Takt – auch im ländlichen Bereich - zu erhöhen. Wir arbeiten daran, eine Plattform zu errichten, über die der VGN-Kunde weitere Dienste in Anspruch nehmen kann. Nutzt er nach der Busfahrt einen E-Scooter, wird die Fahrt über die Plattform abgerechnet. Zunächst sollen alle VGN-Angebote über die Plattform abrufbar sein, langfristig auch die Angebote externer Anbieter.

Mäder: Auf dem Land müssen vielfach die Busverkehre neu gestaltet werden. Die Fahrzeiten orientieren sich oft an den Schülerzeiten. Die Fahrten dauern daher lang, weil der Bus ein Dorf nach dem anderen anfährt. Ziel sind schnelle Busfahrten. Eine Lösung kann sein, dass kleine Busse als Zubringer fungieren. Der ÖPNV ist dort erfolgreich, wo er annähernd so schnell wie das Auto ist. Die Kunden sind eher zeitsensibel- und nicht so sehr preissensibel.

Sie sprachen eingangs über den Rückgang bei den Fahrgästen. Dies bedeutet einen Rückgang bei den Einnahmen. Haben Sie schon einen Kassensturz gemacht?

Steidl: 2019 haben wir 377 Millionen Euro eingenommen, 2020 waren es 100 Millionen weniger. 90 Millionen Euro erstatten Bund und Land durch den Rettungsschirm. Den Rest tragen die Verkehrsunternehmen. Einige bringt dies an ihre Grenzen.

An Preiserhöhungen wird man also nicht vorbeikommen.

Steidl: Wir glauben, dass wir nicht um eine Preiserhöhung herumkommen werden. Im Sommer werden die verschiedenen Gremien im VGN darüber entscheiden. Die letzte Erhöhung fand zum 1. Januar 2019 statt, danach haben wir für zwei Jahre ausgesetzt. Bei den Kosten befinden wir uns jetzt auf dem Stand 2021, bei den Fahrpreisen auf dem Stand von 2019. Die Pandemie ist nicht ursächlich für die Fahrpreiserhöhung, macht sie aber nun unumgänglich.

Es scheint eine Mammutaufgabe zu sein: Der VGN plant langfristig, dabei hat die Pandemie gezeigt, dass sich in kurzer Zeit sehr viel verändern kann.

Steidl: Wie glauben daran, dass die von der Politik gesetzten Ziele wie Klima- und Umweltschutz weiter verfolgt werden. Wir arbeiten daher an Projekten wie der Digitalisierung weiter. Dazu gehört auch, den Individualverkehr so früh wie möglich auf den ÖPNV zu lenken – etwa, indem man Park &Ride-Parkplätze anbietet. Und diese Infrastruktur ist nicht von heute auf morgen zu realisieren.


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Sind Park&Ride-Parkplätze in einem ausgebauten ÖPNV nicht unnötig?

Mäder: Man darf das Auto nicht verteufeln. Man kann nicht alles mit dem ÖPNV machen. Gerade auf dem Land ist das Auto oft das effizientere Verkehrsmittel. Es lohnt sich eben nicht für wenige Fahrgäste einen Bus einzusetzen. Um das Thema Park & Ride voranzubringen, arbeiten wir an einem neuen Projekt. Dem Autofahrer soll während der Fahrt angezeigt werden, etwa wenn sich ein Stau andeutet, dass er auf einen Parkplatz ausweichen kann, um dort auf die S-Bahn umzusteigen. Solche Parkplätze müssten aber stärker finanziell gefördert werden. Denn eine Kommune baut die Parkplätze dann meist nicht nur für ihre eigenen Bewohner.

Es scheitert also, wie so oft am Geld. Wie viel Geld müsste der Freistaat zusätzlich in die Hand nehmen?

Mäder: Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Bayern hat einen Zukunftsrat ÖPNV eingerichtet, der erarbeiten soll, wie der Verkehr 2030 aussehen muss, um die Ziele der Verkehrswende zu erreichen. Der Zukunftsrat macht derzeit eine Bestandaufnahme des aktuellen ÖPNV und definiert Maßnahmen, um gesteckte Ziele zu erreichen. Es wird geschaut, wie viel Geld jetzt vorhanden ist und wie hoch die Investitionen künftig sein müssen. Es gibt bei der Infrastruktur auch einen Rückstau, der begutachtet werden muss.

Frau Steidl, ihr Vorgänger zeigte sich sehr kritisch was die Einführung des 365-Euro-Ticket betrifft. Bei einer schlechten Infrastruktur muss man sich ja quasi scheuen, neue Kunden anzusprechen.

Steidl: Das 365-Euro-Ticket gibt es bereits für Schüler und Auszubildende. Für Studenten gibt es mit dem Semesterticket ebenfalls ein gutes Angebot. Diese Kundenströme sind mit der jetzigen Infrastruktur zu bewältigen. Anders sieht es aus, wenn das 365-Euro-Ticket für jeden eingeführt wird. Die Stadt Nürnberg will es 2023 einführen. Wir werden jetzt mit Finanzierung der Stadt Nürnberg und des ZVGN ein Gutachten in Auftrag geben, inwieweit dieses Ticket für den ganzen Verbund umzusetzen ist, welche Mindereinahmen daraus resultieren und überlegen ob die Infrastruktur diese Leistung erbringen kann. Anfang kommenden Jahres sollen die Ergebnisse vorliegen. Der Freistaat hat bereits deutlich gemacht, dass er nur ein flächendeckendes 365 Euro-Ticket fördern würde, jedoch nicht, wenn es nur in einzelnen Städten angeboten wird.

Interview: Georg Körfgen und Christiane Krodel

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