Chaos in der Coronakrise: Eltern und Kinder sind am Limit

30.4.2021, 09:34 Uhr

Miriam F. ist mit ihren Kräften am Ende. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie fürchtet, das Folgende könnte ihr als Schwäche ausgelegt werden. Sie ist Mutter dreier Kinder, unterrichtet zuhause zwei Erstklässler in unterschiedlichen Klassen und versorgt nebenbei ein Kleinkind. Haushalt und Minijob verlangen ebenfalls ihre Aufmerksamkeit. Unter dem Dauerstress leidet auch die Beziehung zu den Kindern. Sie und ihr Mann fragen sich: "Wie lange soll das so noch weitergehen?"

Die Familie aus dem Landkreis Neumarkt überlegt, die Reißleine zu ziehen und aus dem Distanzunterricht auszusteigen. Wohl wissend, dass das Ignorieren der Schulpflicht Konsequenzen haben kann. Der Frust wird von Tag zu Tag größer, "die Freude am Lernen ist längst verflogen, die Lernlücke wächst", stellt die Mutter mit Bedauern fest.

Ihren Frust und ihre Hilflosigkeit hat sie in einem Brief an die Klassenlehrerin zum Ausdruck gebracht. Die reagierte umgehend und bot zumindest an, den Unterrichts-Stoff der beiden Erstklässler anzugleichen. Video-Unterricht komme aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Das Lehren bleibt also weiter Aufgabe der Mutter.

Familie F. ist mit ihren Sorgen nicht alleine. Dass in Bayern weiter der strengere Grenzwert von 100 für den Distanzunterricht gilt, treibt Eltern aus dem ganzen Landkreis auf die Barrikaden. Sie sind überzeugt: Schulen, die ihre Hygienekonzepte gut umsetzen, sind nicht die Treiber der Pandemie. Die Nachfrage bei Landratsamt bestätigt: Seit dem Ende der Ferien sind, trotz zahlreicher Schnelltests, nur drei positive Tests aus den Klassenzimmern gemeldet worden.

Als Vorsitzender der Kindertagesstätten im Landkreis mit gesamt 260 zu betreuenden Kindern hatte Alois Scherer (CSU) jüngst einige Elterngespräche zu führen. "Unisono wird die Reduzierung nur mit Unverständnis aufgenommen", berichtet er. In einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder bittet Scherer deshalb darum, die Bundesgrenze von 165 zu übernehmen. Auch Scherer geht - bei zwei Tests pro Woche für Schüler und Lehrer - von einem geringen Ansteckungsrisiko in der Schule aus. "Präsenzunterricht wäre für die Eltern und Kinder ungemein wichtig. Die psychischen Schäden und die verlorenen Lernerfolge können mit nichts ausgeglichen werden", schreibt er weiter.


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Auch Dr. Bernd Kohlmann, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Praxis in Sengenthal, kritisiert die aktuelle Corona-Politik (wir berichteten). Die große Belastung durch geschlossene Schulen könne nicht mal durch soziale Kontakte und andere Freizeiterlebnisse verringert werden: Sportvereine, Fußballtraining, Reiten, Leichtathletik und vieles mehr seien aus Kohlmanns Sicht draußen möglich - "mit einem Infektionsrisiko nahe Null", wie Aerosolforscher belegen könnten. "Mittel- und langfristig werden die Folgen jedoch verheerend sein", prognostiziert Dr. Kohlmann.

Inzidenz fällt

Am Wochenende knackte der Landkreis Neumarkt die 200-Marke, inzwischen zeigt die Tendenz der Inzidenz wieder nach unten. Stand gestern: 185.8. Im Nürnberger Land nährt sich der Wert der 100. Setzt sich dieser Trend fort und bliebe der Wert fünf Tage in Folge unter 100, dürften die bayerischen Schüler wieder in ihre Klassenzimmer. Bis dahin heißt es für Familie F. und alle anderen Eltern: durchatmen und durchhalten.

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