Auf Augenhöhe

30.10.2019, 19:19 Uhr
Auf Augenhöhe

© Foto: Eduard Weigert

Als kleines Mädchen hat Gerda Fickenscher wenig von ihrem Vater. Es herrscht Krieg. Sie sieht ihn nur, wenn er Fronturlaub hat und in die Heimat nach Nürnberg zurückkehrt. Später bleibt ihr Vater lange in Gefangenschaft. Zu Hause kümmert sich ihre Mutter um alles. "Sie hat uns versorgt, sie hat uns erzogen." Und sie hat das letzte Wort.

Doch mit der Rückkehr ihres Vaters ändert sich das, "plötzlich hatte er das Sagen", erinnert sich die heute 81-Jährige. "Ich habe das nicht verstanden." Sie empfindet das, obwohl noch ein junges Mädchen, als Ungerechtigkeit. Eine Erfahrung, die sie prägt. Seitdem setzt sich Gerda Fickenscher für Frauen ein, vor allem für Gleichberechtigung. Das tut sie bis heute. Die Bob-Frisur ist inzwischen weiß, um den Mund und das rote Brillengestell haben sich kleine Fältchen gebildet.

Der Eifer aber hat auch nach 30 Jahren Ehrenamt nicht nachgelassen. So lange ist Gerda Fickenscher jetzt Dekanatsfrauenbeauftragte in Nürnberg. Zusammen mit anderen Frauen in der Stadt ist sie 1989 in das neue Amt gewählt worden. Die Positionen hatte die Landessynode im Jahr zuvor für Bayern beschlossen. Im Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk Nürnberg sind sie Ansprechpartnerinnen für Frauen in Kirche und Gesellschaft.


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Für Gerda Fickenscher ist es mehr als ein Ehrenamt, es ist eine Mission. "Mir ist es wichtig, dass Frauen sich mehr wertschätzen, ein höheres Selbstwertgefühl entwickeln." So wie es die 81-Jährige vorlebt. Elternbeirat in Schule und Kindergarten, Kirchenvorstand, Dekanatssynode, Dekanatsausschuss – Fickenscher bringt sich ein, scheut sich nie, ihre Meinung zu sagen und zu vertreten. Nur ist sie damals eine von wenigen Frauen, "in kirchlichen Gremien waren vorwiegend Männer", erinnert sie sich. Und heute? "Ist das besser." Aber noch nicht so, wie Gerda Fickenscher es sich vorstellt.

Sie bleibt dran, an ihrem Ehrenamt, aber jahrelang genauso in ihrem Beruf. Nach der Erziehungspause, die sie für ihre drei Töchter nimmt, arbeitet sie fest bei der Kirche. Auch da schon mit Frauen. Sie macht eine Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin und Psychologischen Beraterin und leitet später den Bereich "Alleinlebende Frauen".

Keine Gewalt gegen Frauen

In diesem Arbeitsbereich werden auch Gesprächskreise angeboten. Wenn die Frauen zusammenkommen, geht es zum Beispiel um persönliche Entwicklung oder Schwierigkeiten im Beruf. "Begegnung ist ganz wichtig", sagt Fickenscher. Auch Gewalt ist manchmal Thema. Informationen zu professionellen Hilfsangeboten werden dann weitergegeben. Vor allem hören die Dekanatsfrauenbeauftragten zu. Das ist immer der erste wichtige Schritt.

Über Gewalt wird auch heute noch gesprochen. Die Ehrenamtlichen haben deshalb eine kleine Karte entwickelt, die "leicht zum Einstecken ist", sagt Gerda Fickenscher. "Keine Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Jungen", steht darauf, außerdem wichtige Telefonnummern. Die Karten liegen in Gemeindehäusern und öffentlichen Einrichtungen aus.

Flyer, Frühstück, Vortrag

Die Dekanatsfrauenbeauftragten bieten unterschiedliche Angebote. Über Flyer werden sie verbreitet und Frauen dazu eingeladen. Mal zum Frauenfrühstück mit Essen und Vortrag, mal zur Soiree wie am 30. November im "eckstein". Ab 17 Uhr geht es in der Burgstraße 1–3 um Charlotte von Kirschbaum. Die ehrenamtlichen Frauen haben auch schon zu Kinobesuchen, Tagesausflügen und auch mehrtägigen Studienreisen geladen. Eine davon führte im Rahmen der Lutherdekade nach Gotha und Weimar und dort zur Landesausstellung über die Ernestiner. Das Fürstengeschlecht fühlte sich als Beschützer des Protestantismus, "die Frauen spielten dabei eine bedeutende Rolle", sagt Fickenscher.

Sie und die anderen Dekanatsfrauenbeauftragten vermitteln auch mit solchen Ausflügen seit nun 30 Jahren immer wieder diese wichtige Botschaft: die Gleichstellung von Mann und Frau. "Gegenseitige Akzeptanz und auf Augenhöhe", das ist der 81-Jährigen immens wichtig. Die Nürnberger Dekanatsfrauenbeauftragten erreichten mit ihrer Eingabe bei der Landessynode, dass das Vetorecht für Pfarrer gegen die Zusammenarbeit mit Pfarrerinnen abgeschafft wird.

1001 Märchen von Frauen

Auf Augenhöhe

© Illustrationen: Patrizia Arrigo-Daumenlang, Genia Leyn

Seit 2015 widmen sich die engagierten Frauen im Dekanat einem für die meisten damals neuen Thema: Geflüchteten. Nur Gerda Fickenscher hat schon Erfahrung. "Während des Jugoslawienkrieges haben wir eine junge bosnische Familie bei uns aufgenommen", erzählt Fickenscher. Die Frau bekommt sogar ein Kind in der Zeit, die sie bei ihr lebt, "vor dem Zweiten sind sie dann umgezogen". Vor zwei Jahren hat sie einen Flüchtling aus Syrien zu sich genommen.

Auch hier setzen die Dekanatsfrauenbeauftragten einen Schwerpunkt: Sie wollen die Integration von Flüchtlingsfrauen und Frauen mit Migrationshintergrund fördern. Wie kreativ das funktionieren kann, zeigt ein fast 300 Seiten dickes Buch, das vor der 81-Jährigen liegt. "Märchen aus 1001 Land", steht darauf. Es ist die Idee von Gerda Fickenscher, junge Frauen aus verschiedenen Ländern Geschichten, vor allem aber auch ihre Geschichte erzählen zu lassen. Inzwischen ist die dritte Auflage gedruckt.

"Durch unsere Angebote wollen wir Frauen ermutigen", sagt Gerda Fickenscher immer wieder. Doch ist es eben auch dieser Einsatz, den die Nürnbergerin an den Tag legt, der vielen Frauen Mut macht.

Infos zu den Dekanatsfrauenbeauftragten gibt es hier.

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