Bis zu 1300 Geimpfte am Tag: So läuft es im Nürnberger Impfzentrum

23.3.2021, 09:07 Uhr
Aus dem Wartelabyrinth zur Anmeldung. Wie man am Flughafen den Pass zeigt, legt man hier die Impfberechtigung vor.  

© Michael Matejka, NNZ Aus dem Wartelabyrinth zur Anmeldung. Wie man am Flughafen den Pass zeigt, legt man hier die Impfberechtigung vor.  

Mit einem Ächzen steigt der alte Mann aus dem Taxi, wackelig tragen ihn seine Beine. "Moment, ich helfe Ihnen!" Taxifahrer Vahap Kirmizibayrak holt den Stock des Alten aus dem Kofferraum seines Autos und begleitet ihn bis zum Eingang. Der alte Herr ist zeitig dran und muss sich hinten anstellen.

50, 60, 70 Meter lang ist die Schlange vor der Messehalle C 3 am Samstag, 11 Uhr. Dutzende Nürnberger sind gekommen, um ihren Impftermin wahrzunehmen. Im strahlenden Sonnenschein warten sie darauf, nach einem ausgeklügelten System durch die einzelnen Stationen geschleust zu werden. Die meisten sind um die 80, viele stützen sich auf Stöcke oder Rollatoren. Oft kommen die älteren Leute viel zu früh zum Impfzentrum.

Überall sind Helfer

Deswegen laufen Helfer die Schlange ab und rufen die Uhrzeiten auf. Wer 11.15 Uhr bestellt ist, kommt zu dieser Uhrzeit – plus, minus eine Viertelstunde – hinein. Wer nicht, muss warten. Für viele Senioren ist das anstrengend, denn Sitzgelegenheiten gibt es vor der Halle nicht. "Wir weisen die Menschen schon bei der Terminvergabe darauf hin, nicht mit allzu großem Vorlauf zu kommen", sagt Christine Schüßler, Leiterin der Koordinierungsstelle Impfzentrum. "Aber manche sind schon zwei Stunden vor ihrem Termin da. Das ist wirklich nicht nötig."

Effektiv: Um aufzuklären, gibt es vorab einen Film zum Impfen.  

Effektiv: Um aufzuklären, gibt es vorab einen Film zum Impfen.   © Michael Matejka, NNZ

1300 – so viele Personen können im Impfzentrum an Messegelände derzeit täglich geimpft werden. Und so schnell wie die Schlange anwächst, so schnell verschwinden die Menschen durch eine Stahltür ins Innere.

Eine Woche lang war das Impfzentrum weniger ausgelastet. Der Grund: Impfungen mit Astrazeneca waren nach dem vereinzelten Auftreten von Hirnvenen-Thrombosen in Deutschland Mitte März ausgesetzt worden. Nachdem die Europäische Arzneimittelagentur den Impfstoff geprüft hatte und nun wieder empfiehlt, sind die Kapazitäten hochgefahren worden. Und auch Astrazeneca wird in Nürnberg aktuell verimpft.

Am vergangenen Samstag erhielten 646 Bürger das Serum von Biontech Pfizer und 458 Menschen Astrazeneca. Zudem waren mobile Teams in Alten- und Pflegeheimen sowie in Zweigstellen unterwegs. Sie können bis zu 1000 Menschen pro Tag mit einem Vakzin versorgen.

Termine zur Auswahl

Jeden Mittwoch oder Donnerstag erfährt die Koordinierungsstelle, wie viel Impfstoff von welchem Hersteller in der Folgewoche zur Verfügung steht. Auf Basis dieser Angaben werden Termine freigeschaltet. Wer impfberechtigt ist, kann sich im Internet-Portal "BayIMCO" einloggen. Dort werden sowohl der erste als auch der zweite Impftermin vorgeschlagen. Passt er nicht, kann man einen anderen Tag eingeben und sehen, ob an diesem ein Zeitfenster frei ist. Beim Impfstoff hat man keine Wahl. Lediglich die Daten geben einen Hinweis darauf, ob Astrazeneca, Biontech oder Moderna zugewiesen wurde. Zwischen der Erst- und Zweitimpfung von Moderna und Biontech liegen sechs Wochen. Bei Astrazeneca sind es zwölf. Erst wenn man den Termin final bestätigt, sieht man schwarz auf weiß, welchen Impfstoff man erhalten wird.

Unter den Menschen, die am Samstag dran waren, ist auch Ladislav Tunys. Der 76-Jährige lebt seit 2002 mit einem transplantierten Herz, deswegen ist er priorisiert. Begleitet wird er von seiner Frau Jarka, sie ist 75 und hat noch keine Impf-Einladung bekommen. Gerade haben sie am Eingang ihre Anmeldung vorgezeigt, jetzt warten sie in einem Labyrinth aus Absperrungen, um zu einem der knapp zehn kleinen Plexiglas-Häuschen vorgelassen zu werden. Es ist wie am Flughafen, wenn man den Pass vorzeigt, um zum Flieger zu gelangen. Schon nach wenigen Minuten sind sie im nächsten Raum.

Aufklärung per Film

Dort sehen sie sich mit zehn Wartenden einen Aufklärungsfilm an. Wie läuft die Impfung ab? Was kann es für Reaktionen geben? Was mache ich, wenn ich Fragen habe? Manch einer hört hier zum ersten Mal, dass es bei der Impfung mit Biontech in seltenen Fällen zu vorübergehenden Gesichtslähmungen kommen kann. Die Berichte über Astrazeneca führten zu einer Unwucht in der öffentlichen Wahrnehmung.


"Unter Quarantäne”: Täglich Neues aus der Welt im Stillstand


Einige Menschen, denen Astrazeneca zugewiesen wurde, versuchen noch vor Ort, einen anderen Impfstoff zu bekommen, erzählt Schüßler. Manche solange, bis schon die Spritze aufgezogen ist. Doch das ist zwecklos. Wer mit dem zugewiesenen Impfstoff nicht einverstanden ist, kann bis 24 Stunden vor dem Impftag seinen Termin stornieren und einen neuen auswählen, zu dem dann – eventuell – ein anderer Hersteller zur Verfügung steht. Derzeit sagen täglich zwischen null und fünf Menschen einen Impftermin ab, weil sie mit Astrazeneca nicht einverstanden sind, hat Schüßler festgestellt.

Nach Dänemark gab es 20 Absagen

Dänemark Astrazeneca verbot, war die Lage grotesk. Patienten lasen im Wartebereich im Handy, dass der Wirkstoff dort nicht mehr verimpft wird, die abgeschotteten Ärzte in den Impfkabinen hatten davon noch gar nichts mitbekommen und erfuhren es von den Patienten. "In den Folgetagen haben täglich etwa zehn bis 20 Leute, für die Astrazeneca vorgesehen war, abgesagt." Ladislav Tunys ist inzwischen vor einer der zehn Impfkabinen angekommen. Wären da nicht Ampeln über den Türen, könnte man glauben, man sei in einem großen Bekleidungsgeschäft.

Nach wenigen Minuten öffnet Dr. Pia Weiss die Tür. "Haben Sie Impfungen immer gut vertragen?", "Nehmen Sie Blutverdünner oder Immunsuppressiva?", "In Folge einer Biontech-Impfung kann es zu einer halbseitigen Gesichtslähmung kommen, leicht zu verwechseln mit einem Schlaganfall. Wenn das bei Ihnen auftritt, gehen Sie bitte zu Ihrem Hausarzt und informieren ihn über die Impfung!" – Weiss ist freundlich und geduldig, wie alle, die hier arbeiten. Nirgends Gehetze, kein Geschrei. Zu keiner Zeit ist zu spüren, dass hier jeder der 14 Ärzte rund 15 Personen pro Stunde versorgt.

Bei Ladislav Tunys geht alles schnell, er ist schon gut informiert. Dann reicht eine Krankenschwester das Impfserum, Tunys darf sich aussuchen, in welchen Arm er gepikst werden möchte, fertig. Jede Spritze ist – je nach Wirkstoff – farblich gekennzeichnet, alles wird mehrfach abgeglichen, bestätigt und dokumentiert. So einfach wie Tunys machen es Weiss nicht alle. Bei etwa fünf Prozent der zu Impfenden gibt es eine Diskussion, sagt sie. "Ja, natürlich ist Astrazeneca oft Thema", sagt sie. "Inzwischen kann ich das aber schnell einordnen, ob jemand nur ängstlich ist oder diskutieren will, um des Diskutierens willen." Oft seien die alten Menschen verunsichert, weil Familienmitglieder ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt hätten.

Kurze Pause nach der Impfung

Während Weiss davon erzählt, hat Ladislav Tunys schon in einer Wartezone Platz genommen. 15 bis 30 Minuten bleiben die Geimpften noch in der Halle, zudem gibt es zwei Notfallräume. Sollte jemand eine allergische Reaktion zeigen, wäre medizinisches Personal in der Nähe und könnte sofort unterstützen. Das musste seit Februar aber erst fünf Mal helfen, sagt Benjamin Monse, Schichtleiter der Administration. Er kümmert sich um alles Nicht-Medizinische im Impfzentrum. Wie oft er schon etwas anpassen musste? "Jeden Tag", sagt er lachend. Anfangs gab es zu wenig Stühle in den Wartegängen, dann merkte er, dass viele der Geimpften nach der Impfung vor Erleichterung als erstes zur Toilette wollten, also wurden diese aufgestockt.

Eigentlich studiert Monse BWL, hat gerade das fünfte Semester abgeschlossen. "Bis vergangenes Jahr habe ich nebenbei am Flughafen gearbeitet. Dann kam Corona. Danach habe ich eine Ausbildung als Rettungssanitäter begonnen, die wieder durch Corona vereitelt wurde. Ich hörte über Freunde vom geplanten Impfzentrum und bin nun von Anfang an dabei. Und ich kann sagen: Hier lerne ich mehr fürs Leben als im Studium, das derzeit eh nur digital stattfindet." Und die Arbeit wächst: "Anfang Januar saßen wir hier im fertigen Zentrum, hatten aber keinen Impfstoff. Das ist natürlich kein Vergleich zu jetzt."

Auch die Polizei nutzt die Chance

Im Wartebereich für die Geimpften steht ein großer Fernseher. "Dort laufen Filme der Polizei, die über den Enkeltrick und andere Betrugsmaschen aufklären", erklärt Koordinatorin Christine Schüßler. "Es war eine Idee der Polizei. Sie sagte: So viele alte Menschen auf einmal können wir sonst nie erreichen."

Ladislav Tunys hat sich inzwischen eine Viertelstunde erholt und macht sich nun mit seiner Frau auf den Heimweg. Noch einmal einen kleinen Zettel an einem Plexiglashäuschen vorzeigen und schon sind sie raus in die Sonne entlassen. In sechs Wochen ist er wieder hier, dann gibt es die Zweitimpfung. Aber jetzt rufen sie erst einmal die Tochter in Prag an, um ihr zu sagen, wie froh sie über die Impfung sind.

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