Einschränkungen für Lehrlinge

Corona-Effekt: Noch Tausende Jugendliche auf Lehrstellensuche

24.6.2021, 14:10 Uhr
Sie arbeiten häufig an der frischen Luft - und lassen sich nicht wegrationalisieren: Mit einem Stemmeisen bearbeitet ein Auszubildender im Spengler- und Flaschnerhandwerk das Kupferdach eines Kirchturms. 

© imago images/allOver-MEV Sie arbeiten häufig an der frischen Luft - und lassen sich nicht wegrationalisieren: Mit einem Stemmeisen bearbeitet ein Auszubildender im Spengler- und Flaschnerhandwerk das Kupferdach eines Kirchturms. 

Ein paar Tage noch, dann schwitzen die Neunt- und Zehntklässler der Mittel- und Realschulen in den Quali- und anderen Abschlussprüfungen. Auch Lina B. bereitet sich gerade darauf vor - und fürchtet nicht, schlecht abzuschneiden. Aber wie es danach weitergehen kann und soll, ist der 16-Jährigen schleierhaft. "Normalerweise hätte ich seit Oktober sicher mehrere Praktika absolviert", sagt sie, "wir werden dazu teilweise vom Unterricht freigestellt oder nutzen Ferien. Aber es gab einfach keine Plätze", erzählt sie weiter. Alle hätten dicht gemacht - zumindest in den Bereichen und Firmen, wo sie sich das vorstellen konnte.

Bewährte Hilfe

Die Praktika gelten als verlässliche Hilfe bei der Klärung von Neigungen und Interessen - für beide Seiten: Jugendliche sollen Einblick in die praktischen Abläufe erhalten, die Betreuer einen ersten Eindruck von Talent und Motivation gewinnen. Doch Lina ist kaum einen Schritt weiter gekommen: Eine einzige Chance hatte sie bisher, schon vor weit über einem Jahr, in den Betrieb einer großen Nürnberger Buchhandlung hineinzuschnuppern. "Gefallen hat es mir schon", aber Gewissheit habe es ihr nicht verschafft.


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An die 20 Bewerbungen hat sie trotz Corona-Beschränkungen auch verschickt, unter anderem auch für eine Ausbildung als Medizinische Fachangestellte. Eine einzige Klinik lud sie überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch ein, natürlich online. Prompt wurde sie gefragt, woher sie eigentlich wisse, dass es ein geeigneter Beruf für sie sei - wo sie doch keinerlei Praktikum vorweisen könne. Auf fehlende Erfahrungen dieser Art wurde sie auch von anderer Seite hingewiesen. Nun weiß sie noch weniger, woran sie ist.

Weiter zur Schule

Und den meisten ihrer Klassenkameraden und -kameradinnen an der Geschwister-Scholl-Schule gehe es ganz ähnlich, berichtet die Jugendliche weiter. Die Folge: "Zu Schuljahresbeginn hatten sich fast alle auf eine Ausbildung eingestellt. Viele haben aber immer noch nichts gefunden. Inzwischen wollen die meisten erstmal weitermachen und sich an der Fachoberschule anmelden."

Wenn das eine weiter verbreitete Stimmung widerspiegelt, verschärft das die Lage zumindest für jene Firmen, die noch händeringend Nachwuchs suchen, gerade aus dem Handwerk. Allerdings haben - wegen Corona - Firmen teilweise auch ihr Angebot eingeschränkt. Längst sind deshalb verstärkte Bemühungen angelaufen, bis September noch möglichst viele Jugendliche zu erreichen und sie mit guten Vorschlägen zu überzeugen- und auch Firmen neu zu motivieren.

Dabei geht es keineswegs "nur" um "Spätzünder" oder junge Leute ohne Schulabschluss. So waren zu Monatsbeginn in ganz Bayern noch knapp 24.000 Schulabgänger auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz (und dafür auch bei den Agenturen registriert). Da sich manche noch nicht einmal gemeldet hatten, dürfte die tatsächliche Zahl der "unversorgten" Jugendlichen weit höher sein. Immerhin aber waren demgegenüber zuletzt mehr als 43.000 Ausbildungsstellen zu vergeben.

"Ich vermute, dass es Bedarf an Unterstützung ohne Ende gibt", meint denn auch die Berufsberaterin Nele Löschmann von der Nürnberger Arbeitsagentur. Kein Wunder: Monatelang konnten sie und ihre mehr als drei Dutzend Kolleginnen und Kollegen, die flächendeckend alle Mittel- und Realschulen betreuen, keine einzige Klasse besuchen. Und Einzelgespräche waren nur via Internet möglich.

Hotline schwach genutzt

Ein weiterer Grund: Die von der Jugendberufsagentur angebotene Hotline wird auch nur zaghaft genutzt. "Das ist eben nicht der Kanal, den die jungen Leute vorrangig nutzen", stellt Löschmann fest. Das gelte erst recht für jene, die "nirgends angebunden" und vermutlich auch nicht konsequent auf der Suche seien. "Da ist wohl der einzige Weg, unsere Anlaufstellen wieder zu öffnen und den direkten, persönlichen Kontakt zu ermöglichen."

Zu den Firmen, die von erfolgreicher wie vergeblicher Nachwuchssuche gleichermaßen berichten können, gehört beispielsweise die Nürnberger Baier Installation GmbH. "Wir können wieder vier künftige Anlagemechaniker für Sanitär und Heizung einstellen, es haben sich auch Bewerber gefunden, auch eine junge Frau ist dabei", freut sich Geschäftsführerin Yvonne Wagner. Schleierhaft bleibt ihr und ihrem Kollegen Alexander Körber indes, warum sich partout niemand als Flaschner und Spengler ausbilden lassen will - und das schon seit Jahren.

Berufsbild zu wenig bekannt?

"Da sind die Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten um keinen Deut geringer als beim Anlagemechaniker", beteuern sie. Offenkundig ist das Berufsbild zu wenig bekannt - was bei massiv eingeschränkten Beratungsangeboten in Corona-Zeiten noch schwerer zu ändern war und ist. "Ganz allgemein beobachten auch wir, dass sich durch Corona viele junge Leute sehr spät mit der Berufswahl beschäftigen."

Richtig Gas geben will die Stadt Nürnberg, um noch möglichst viele Jugendliche und Unternehmen zusammenzubringen. Im Schulterschluss mit den Kammern und den Gewerkschaften habe das Bildungsbüro eine Taskforce reaktiviert, betont Oberbürgermeister Marcus König und wirbt nachdrücklich für die Nutzung der Internet-Plattform www.ausbildungjetzt.de. Ganz unkompliziert können Interessenten von Firmen dort angebotene Sprechstunden nutzen. Und sich über Apps wie Azubiwelt oder Berufeentdecker auch mit weniger vertrauten Berufsbildern vertraut machen.

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