Überforderte Halter

Die ersten "Corona-Hunde" landen im Nürnberger Tierheim

16.7.2021, 06:20 Uhr
Der Hund tut, was er will: So mancher hat sich in der Pandemie unüberlegt ein Tier angelegt. 

© Marcus Brandt, dpa Der Hund tut, was er will: So mancher hat sich in der Pandemie unüberlegt ein Tier angelegt. 

Thomas Schröder ist alarmiert. Er ist Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, dem Dachverband von über 740 Tierschutzvereinen und rund 550 Tierheimen: "Die aktuelle Entwicklung lässt uns mit Sorge in die Zukunft blicken." Die Tierheime in Deutschland füllen sich langsam, aber stetig. Erste verkündeten bereits einen Aufnahmestopp. Schröder sagt: "Auch wenn Tierheime bisher nur vereinzelt mit vermehrten Abgaben zu kämpfen haben, rechnen sie in der kommenden Zeit mit einer Flut von Neuaufnahmen. Die Kapazitäten könnten dann irgendwann erschöpft sein."

Tanja Schnabel vom Nürnberger Tierheim berichtet: "Die ersten Hunde sind definitiv schon da." Mit dem Hinweis "Er beißt unsere Kinder" seien in jüngster Zeit Vierbeiner abgegeben worden. Doch wie kommt es zu diesen Verhaltensauffälligkeiten? Schuld daran sei der Mensch, nicht der Hund. So sagt Tanja Schnabel: "Ziel ist ein ,harmonisches Rudel‘ mit dem Menschen an der Spitze. Der Hund muss wissen: Der Mensch ist der Ranghöhere, er entscheidet. Das gibt dem Tier Sicherheit. Der Hund braucht feste Strukturen, man muss ihm die Grenzen aufzeigen."

Illegaler Welpen-Handel

In Nürnberg ist im Pandemie-Jahr 2020 die Zahl der gemeldeten Hunde um 571 Vierbeiner auf 15 721 gestiegen. Die Tiere werden beim seriösen Züchter oder im Internet angeschafft. Illegaler Welpenhandel ist seit langem ein Problem. Die illegalen Tiertransporte sorgen auch beim Tierheim Nürnberg nach wie vor für viel Arbeit: Deswegen vermutet Tanja Schnabel, dass die Nachfrage nach Hunden immer noch anhält. Die 100 Schmuggel-Welpen aus Ungarn, die im März in der Einrichtung an der Stadenstraße gelandet sind, werden mittlerweile von Pflegefamilien betreut. Ihr Schicksal ist weiter ungewiss: Der Züchter will die Tiere wieder haben, doch müsste er dann auch die Kosten für die Unterbringung und die Behandlungen bezahlen. Das Tierheim hat hier bislang Ausgaben von über 300 000 Euro übernommen - und ist dringend auf Spenden angewiesen.

Und ständig füllen sich hier die Räume im Tierheim wieder neu. Tanja Schnabel berichtet: "Wir bekommen jede Woche Welpen von illegalen Transporten. Derzeit haben wir knapp 20 Hunde."


Spende über 20.000 Euro: Große Freude im Tierheim


Die Leiterin betont: "Die Tierheime kommen an ihre Grenzen." Wenn nun zunehmend auch noch verhaltensauffällige Hunde abgegeben werden, dann werde die Arbeit immer schwieriger: "Wir können vielleicht nicht mehr alle aufnehmen. Irgendwann ist man personell am Limit." Schwierige Hunde, die nicht hören oder auch extrem ängstlich sind, könne man nicht mal eben umerziehen: "Das ist gefestigtes Verhalten - da muss man monatelang mit den Tieren arbeiten."

"Es ist eine Katastrophe"

Was rät sie Haltern, denen alles zu viel wird? "Man muss sich professionelle Hilfe holen", sagt Tanja Schnabel. In Nürnberg steht etwa Angela Koch mit ihrer Hundeschule Advo-Canis Haltern zur Seite - und bekommt das Problem "Corona-Hunde" hautnah mit: "Das ist mein täglich Brot. Es ist tatsächlich eine Katastrophe." Sie meint: "Viele haben sich total unüberlegt einen Hund angeschafft. Corona hat für zahlreiche Fehlentscheidungen gesorgt. Das habe ich so noch nie erlebt."


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So mancher habe sich aus Langeweile oder Einsamkeit im Homeoffice einen Vierbeiner ins Haus geholt - und steht dann, wenn es wieder zurück ins Büro geht, vor einem Problem: "Dann wundert man sich: Der Hund kann nicht alleine in der Wohnung bleiben und bellt dauernd." Ein weiteres Problem ist, dass sich viele eine Rasse zugelegt haben, die absolut nicht zu den eigenen Lebensumständen passt. Überspitzt formuliert: Ursprünglich sollte es ein kleines Tier sein, doch mangels Angebot wurde dann eben doch ein Kampfhund angeschafft.

Angela Koch erlebt auch, dass Halter keinerlei Interesse am Tier selbst haben. So wurde ihr schon die Frage gestellt: "Können Sie meinen Hund vier Wochen lang behalten und trainieren?" Da kann die Expertin nur mit dem Kopf schütteln - und lehnt derartige Bitten ab.


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Verhaltensauffällige Tiere müssen nicht unbedingt aggressiv sein - das können auch Vierbeiner sein, die ständig an der Leine zerren und die Richtung vorgeben wollen. Das können Tiere sein, die extrem scheu und unsicher sind. Das können Hunde sein, die ständig Menschen anspringen und nicht auf Befehle hören. "Erziehung und Lernen, das ist eine bindungsorientierte Geschichte", sagt Angela Koch. Gutes, regelmäßiges Training kann das Fehlverhalten austreiben. "Doch dafür braucht man Zeit und Geduld. Dazu muss man auch bereit sein."

"Es ist schrecklich"

Ihre Methode: Der Mensch muss dem Hund Grenzen setzen. Zudem wird das erwünschte Verhalten belohnt, etwa mit einem Leckerli. "Ich arbeite nicht mit Druck, ich setze auf Motivation." In ihrer Hundeschule erlebt sie immer wieder unsichere Halter, die mit ihrem Tier nicht glücklich sind. So war neulich eine junge Frau bei ihr, die sich in der Pandemie für 1800 Euro ein Schoßhündchen gekauft hatte und sehr unzufrieden war mit dem neuen Begleiter. "Sie war überfordert, das Tier tat mir total leid." Ob der Hund bei ihr bleiben darf oder doch eines Tages im Tierheim landet? Das unglückliche Duo spukte der Expertin noch lange im Kopf herum: "Ich konnte eine Nacht lang nur ganz schlecht schlafen."

Angela Koch sagt: "Es ist schrecklich. Der Hund kann sich sein Leben nicht aussuchen - er ist auf Gedeih und Verderb auf uns Menschen angewiesen."

Spenden ans Tierheim Nürnberg unter IBAN DE55 7605 0101 0001 1207 52, BIC SSKN DE77 XXX.

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