Körperverletzung im Drogenmilieu

Gewaltverbrechen an der Wöhrder Wiese: Täter muss lange in Haft

21.9.2021, 17:55 Uhr
Ein 25-Jähriger hatte einen anderen Mann einen Abhang hinab gestoßen.

© Foto: Roland Fengler Ein 25-Jähriger hatte einen anderen Mann einen Abhang hinab gestoßen.

Am 13. Juli 2020, gegen 17 Uhr, lag ein Mann ohnmächtig im Gras - zunächst achtete kaum ein Spaziergänger auf ihn. Im vergangenen Sommer wurde auf der Wöhrder Wiese viel gekifft, die Vermutung, dass dieser Mann nur seinen Drogenrausch ausschlief, lag nahe, so erinnerte sich ein Zeuge vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth.

Heute steht fest: Awil M. (21) wurde Opfer eines Gewaltverbrechens - der 25 Jahre alte Ahmed S. (Namen der Betroffenen geändert) hatte ihn an jenem Nachmittag einen zehn Meter langen Abhang hinabgestoßen. Der Grund des Streits: ein paar Gramm Spice. Schon der große Ärger über diese kleine Menge Kräutermischung verdeutliche, dass die Tat auf den Drogenkonsum der Beteiligten zurückzuführen sei, stellt Richterin Barbara Richter-Zeininger in der Urteilsbegründung der Schwurgerichtskammer fest.

Ortstermin auf der Wöhrder Wiese

Zwei Tage wurde verhandelt, die Schwurgerichtskammer tagte auch auf der Wöhrder Wiese, der Termin vor Ort sollte den Richtern, der Staatsanwältin und dem Verteidiger helfen, den Ablauf der Tat zu rekonstruieren.

Die Konsumenten von Kräutermischungen verbargen sich gerne hinter den Büschen an einem Grünstreifen am Johann-Soergel-Weg, parallel zur Franz-Josef-Strauß-Brücke. Sie verhielten sich ruhig, die Aufmerksamkeit von Passanten wollten sie nicht auf sich lenken.

Streit um einige Gramm Spice

Ahmed S. lagerte und lebte im vergangenen Sommer einige Wochen in der Nähe eines Lichtschachtes der U-Bahn-Haltestelle Wöhrder Wiese. An jenem Nachmittag traf er dort Awil M. und wollte ihm einige Gramm Spice abkaufen. Doch der 21-Jährige lehnte das Geschäft ab. Wütend griff Ahmed S. nach dem Mann, packte ihn an den Schultern und stieß ihn von sich - Awil M., der mit dem Rücken zu einem etwa zehn Meter langen Hang stand, stürzte, überschlug sich mehrfach und blieb am Ende des Abhangs im Gras liegen. Dort war er gegen einen Betonring geprallt.

Intensiv-medizinische Hilfe war dringend nötig: Am Kopf des Patienten fand sich eine etwa zwölf Zentimeter lange, stark blutende Platzwunde. Im Südklinikum Nürnberg zeigten sich auch mehrere Frakturen an der Hals- und Brustwirbelsäule. Mehrfache Wirbelbrüche werden zu lebenslangen Einschränkungen führen, er kann höchstens fünf Kilo heben. Der 21-Jährige leidet bis heute unter Schmerzen, er hat weitere Operationen vor sich.

Zeugen aus dem Drogenmilieu

Drei Tage wurde am Landgericht Nürnberg-Fürth verhandelt, und die Beweisaufnahme geriet schon deshalb aufwendig, weil die Zeugen aus dem Drogenmilieu die Behörden und Strafjustiz eher meiden. So musste ein Zeuge und auch der Geschädigte selbst von einer Polizeistreife abgeholt, festgenommen und zur Hauptverhandlung gebracht werden.

Die Drogenszene verhält sich vor Ort für gewöhnlich ruhig - schon weil keiner daran interessiert ist, in der Öffentlichkeit aufzufallen. Der lautstarke Streit zwischen Awil M. und Ahmed S. fiel deshalb auf.


Staatsanwältin hatte zehneinhalb Jahre Haft gefordert


Ahmed S. hatte behauptet, dass ihm die Tat zu Unrecht in die Schuhe geschoben werde. Als Kronzeuge will er der Polizei Namen aus dem Dogenmilieu genannt haben. Doch die Zeugen aus der Szene, die ihn angeblich anschwärzen wollten, fielen nicht durch besonderen Belastungseifer auf - ganz im Gegenteil: Die erste Täter-Beschreibung der Zeugen und des Geschädigten ("ein großer, sehr breiter Afghane") blieben so vage, dass Ahmed S. zunächst nicht einmal aufgespürt werden konnte.

Ungereimtheiten in der Aussage

Vor Gericht verwickelte er sich in Widersprüche: Seine Anwesenheit am Tatort bestätigte und bestritt er abwechselnd. Und auch zu seinem Drogenkonsum erzählte er unterschiedliche Versionen. Einmal behauptete er, er sei an jenem Tag nüchtern auf dem Weg zu seiner Freundin gewesen, nun schob er nach, er sei berauscht gewesen und habe sich gefühlt wie "ein Zombie".

Fest steht jedoch: Er hatte am Tatort einen Schuh (samt DNA-Spuren) verloren. Und der Polizei hatte er kein besonderes Hintergrundwissen zu Drogendelikten geliefert.

Die Richter sind von der Schuld des Angeklagten Ahmed S. überzeugt, und sie sind auch davon überzeugt, dass er Awil M. erst als "Nigger" beleidigte und ihn dann verletzen wollte - doch seinen Tod wollte er nicht. Die Staatsanwältin hatte Ahmed S. einen heimtückischen Mordversuch unterstellt, der Verteidiger schilderte eine unglückliche Verkettung von Umständen.

Einweisung in eine Entziehungsanstalt

Ahmed S. habe darauf vertraut, "dass es schon nicht so schlimm werden würde, die Folgen nicht so gravierend", heißt es im Urteil. In juristische Formeln gegossen meint dies: Auch die Richter sehen keinen bedingten Tötungsvorsatz.

Der Hang an der Wöhrder Wiese ist steil, der Neigungswinkel beträgt etwa 55 Grad - und gefährlich kann ein Sturz von einem Abhang immer werden. Doch ob Ahmed S. ahnte, wie steil der Abhang ist, ob er von dem Betonring wusste und wie sehr das Gebüsch wucherte und welches Bild sich dem Angeklagten damals bot - all dies kann heute niemand mit Sicherheit feststellten.

Gefährliche Körperverletzung bringt ihm sechs Jahre Freiheitsstrafe ein. Auch die Unterbringung des Angeklagten in eine Entziehungsanstalt ordneten die Richter an. Die Strafkammer hält Ahmed S. zwar für voll schuldfähig, doch er habe einen Hang, Drogen im Übermaß zu konsumieren. Eine Therapie soll das Risiko, dass er erneut eine schwere Gewalttat begeht, reduzieren - und damit die Allgemeinheit schützen. Der verhängnisvolle Zusammenhang von Drogenmissbrauch und Aggression zeige sich auch in dieser Tat.

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