"Heimaufsicht" stellt in Nürnberg teils extreme Mängel fest

22.5.2019, 05:55 Uhr
Eine Hauptursache für Mängel in der Pflege ist sicherlich der Zeitmangel des Personals, das vielerorts gnadenlos unterbesetzt ist.

© Foto: Patrick Pleul/dpa Eine Hauptursache für Mängel in der Pflege ist sicherlich der Zeitmangel des Personals, das vielerorts gnadenlos unterbesetzt ist.

Ein Bewohner purzelt mit seinem Rollstuhl eine Treppe hinab, bei einem anderen wird der Blutdruck trotz alarmierender Werte erst nach vier Wochen erneut überprüft – und keiner achtet darauf, ihm das eigentlich verordnete Medikament zu geben. Bei einem weiteren Senior stellten sich schon kurz nach der Aufnahme Gewebeschäden und Geschwüre an seiner gelähmten Körperhälfte ein, andernorts reagierten Pflegekräfte erst nach weit über einer Stunde auf einen Notruf – selbst bei kleineren Beschwerden viel zu spät.

Es sind vier plastische Beispiele dafür, was Menschen in Nürnberger Pflegeeinrichtungen im vergangenen Jahr erleiden und erdulden mussten. Krasse Fälle, gewiss, aber die Fachstelle Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) beim Gesundheitsamt, gemeinhin als "Heimaufsicht" bekannt, führt sie in ihrem jüngsten Jahresbericht zur Illustration von insgesamt 91 "erheblichen Mängeln" auf. So werden Verfehlungen der Mindeststandards eingestuft, die für Bewohner zu einer unmittelbaren Gefahr oder Schädigung führen.

Verstöße im Umgang mit Arznei

Der größte Teil – vier Fünftel – entfiel auf gravierende Fehler oder Versäumnisse im pflegerischen Bereich. Dort liegt auch der eindeutige Schwerpunkt bei Beschwerden von Betroffenen und Angehörigen, die in der Fachstelle eingehen: Mehr als die Hälfte der insgesamt 112 Meldungen (Tendenz steigend) bezogen sich auf Pflege-Probleme; immerhin zwei Drittel erwiesen sich als berechtigt.

Ins Gewicht fallen daneben "nur" noch zehn gewichtige Verstöße beim Umgang mit Arzneimitteln – wie schon in den Vorjahren vor allem bei der Insulindosierung oder -vergabe. Trotz der gewichtigen Versäumnisse bei Prävention und Pflege werden die erwähnten Schicksale nur sehr allgemein und in wenigen Stichpunkten aufgeführt, denn die Fachstelle darf aus Rücksicht auf die Beteiligten nicht mal Andeutungen machen, die Rückschlüsse auf konkrete Personen und Orte zulassen könnten.


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Dass es um weit mehr geht als bedauerliches Einzelversagen, lässt zudem die Statistik für die "einfacheren" Mängel erkennen: Immerhin 358 waren im Bereich Pflege/Dokumentation zu monieren und 170 bei der Hygiene. Dabei kämpft die Heimaufsicht keineswegs nur mit stumpfen Schwertern gegen schwarze Schafe: Wegen eklatanter Probleme wurden sieben Aufnahmestopps verhängt, drei Mal Zwangsgelder sowie 48 Anordnungen. Dabei seien prinzipiell auch gut geführte Häuser nicht vor gravierenden Pannen gefeit, sagt die Medizinerin Andrea Brouer, die Leiterin der Fachstelle. Häufigstes Instrument – und meist auch gerne angenommen – seien daher die insgesamt fast 800 Mängelberatungen.

Trend geht zu ambulanter Versorgung

Nach den gesetzlichen Vorgaben sollten die Fachkräfte die derzeit 106 stationären Pflege-Einrichtungen wenigstens einmal pro Jahr unter die Lupe nehmen. In den 57 Pflegeheimen, zwei Hospizen, 13 ambulant betreuten Wohngemeinschaften der Altenhilfe und 34 Einrichtungen für Menschen mit einer Behinderung leben insgesamt rund 6500 Nürnbergerinnen und Nürnberger. "Insgesamt geht die Zahl der Plätze allerdings leicht zurück, denn der Trend geht hin zu verstärkter ambulanter Versorgung", erläutert Brouer weiter.


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Trotz einer leichten Verstärkung sei es allerdings auch mit insgesamt 161 Routinebegehungen und gezielten Kontrollen nach Beschwerden – 36 mehr als im Jahr zuvor – nicht ganz gelungen, tatsächlich alle Einrichtungen mindestens einmal jährlich zu begutachten. So blieben elf Einrichtungen der Altenhilfe und vier der Behindertenhilfe (samt Außenwohngruppen) notgedrungen von Kontrollen verschont – im Jahr 2017 waren es noch 24 gewesen. Morgen wird der Bericht den Stadträten im Sozial- und Gesundheitsausschuss vorgestellt. Mit einer "Pflegeoffensive" versucht die Stadt seit zwei Jahren gegenzusteuern.

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