Hölle Textilindustrie: Wo Klamotten Menschenleben kosten

30.9.2014, 09:14 Uhr
Hölle Textilindustrie: Wo Klamotten Menschenleben kosten

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Das Grauen, das den Westen wenigstens kurz aufrüttelte, geschah am 24. April 2013. Die neungeschossige Näherei Rana Plaza stürzte ein. 1134 Arbeiter verloren ihr Leben. Ihre Familien und die Invaliden warten bis heute auf Entschädigung. Bekannte Ketten wie Primark, Mango, C&A ließen dort produzieren. Rana Plaza in Bangladesch aber ist nur die Spitze des Eisbergs in der unmenschlich organisierten Textilindustrie Südasiens.

Eine wachsende Zahl von Kunden stört sich an den Missständen, freilich meist ihrem Konsumverhalten zum Trotz. Amirul Haque Amin wird ihnen in Nürnberg Bericht erstatten: Was wird getan, was kann jeder tun, um Kleidung im Wortsinne tragbar zu machen? Am 27. September 2015 soll er im Opernhaus den Preis entgegennehmen, mit dem die Stadt Nürnberg alle zwei Jahre furchtlose Menschenrechtler ehrt. Der 53-Jährige ist Präsident und Mitbegründer der „National Garment Workers Federation“ (Nationale Bekleidungsarbeitervereinigung). Die größte Gewerkschaft Bangladeschs kämpft seit 30 Jahren gegen Hungerlöhne, Sicherheitsrisiken und Entrechtung. 3,6 Millionen Menschen sind in der Hauptexportbranche des Entwicklungslandes beschäftigt. 85 Prozent von ihnen sind Frauen.

Erstmals rücke die Preisvergabe ethisch-soziale Standards und Arbeitnehmerrechte in den Fokus, sagte Oberbürgermeister und Jury-Vorsitzender Ulrich Maly: „Ein Thema, das die ganze Welt angeht.“ Damit verbinde man auch den Auftrag, „uns an die eigene Nase zu fassen“. Statt auf Schnäppchenjagd zu gehen, könnten Kunden für faire Produktionsbedingungen „mit dem Geldbeutel abstimmen. Das wollen wir gerade in die Köpfe der jungen Leute reinbringen.“ Der freie internationale Handel brauche außerdem Schutzstandards gegen Ausbeutung, sagte Maly mit Blick auf neue Freihandelsabkommen.

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Unter mehreren guten Kandidaten habe man einvernehmlich den besten ausgewählt, urteilte Jurymitglied Angela Melo. „Der Kontext berührt den Kern der Machtverhältnisse zwischen den armen und reichen Ländern.“ Von dem Appell zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen seien aber nicht nur Privatpersonen in ihrem Konsumverhalten betroffen, sondern auch Unternehmer und politische Entscheider. Die international besetzte Jury hatte am Sonntag zwei Stunden lang getagt. Aus organisatorischen Gründen nahmen nur sechs der elf Mitglieder teil, teils über Telefon.

Auch Amirul Haque Amin erfuhr am Montag telefonisch von seiner Auszeichnung. „Er war überrascht, aber auch überglücklich“, sagte Martina Mittenhuber, die Leiterin des städtischen Menschenrechtsbüros. Amin sieht sich jüngst schikaniert: Arbeitgeber wollen ihn wegen Volksverhetzung verklagen, nachdem er in den USA aufgetreten war. Gewerkschaften sind in Bangladesch zwar erlaubt, leiden jedoch unter Repressalien.

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© Uwe Kekeritz

Zu den Organisationen, die in Nürnberg bereits Öffentlichkeitsarbeit für „Saubere Kleidung“ betreiben, zählt die Christliche Initiative Romero. Sie nahm die Personalie erfreut auf. Der künftige Preisträger sei ihm als mutiger, unermüdlicher Aktivist bekannt, sagte Romero-Referent Maik Pflaum. „Die Auszeichnung ist ein starkes Zeichen der Solidarität.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte die Wahl ebenfalls. „Dass die Jury den Preis das erste Mal an einen Gewerkschafter gibt, der unter schwierigsten Bedingungen den Skandal der globalen Textilindustrie bekämpft, ist ein wichtiges Zeichen und freut uns ungemein“, so der mittelfränkische DGB-
Chef Stephan Doll. Der Preis könne Amin ermutigen und gleichzeitig hierzulande mehr Bewusstsein schaffen.

Der Menschenrechtspreis wurde seit 1995 zehnmal vergeben, stets in außereuropäische Länder. Er ist mit 15 000 Euro dotiert. Dazu unterstützt Nürnberg die jeweiligen Projekte teils längerfristig.

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