Kommentar: Zu drastische Mahnungen sind kontraproduktiv

21.10.2020, 15:36 Uhr
Vor seinem Auftritt desinfizierte Markus Söder seine Hände. Am Nachmittag hielt er seine dritte Regierungserklärung zum Thema Corona.

© Peter Kneffel, dpa Vor seinem Auftritt desinfizierte Markus Söder seine Hände. Am Nachmittag hielt er seine dritte Regierungserklärung zum Thema Corona.

Nach unserer Zeitungs-Schlagzeile vom Samstag gab es einige erboste Reaktionen. "Nürnberg zieht die Zügel an" war da zu lesen. "Bürger sind keine Pferde", schrieb eine Leserin und mokierte sich über den "gouvernantenhaften Ton" etlicher Politiker beim Umgang mit Corona. Wir haben da leider eine Tonlage übernommen, wie sie vor allem Markus Söder beherrscht: Bayern müsse die Zügel anziehen, das war eine seiner Standardformulierungen, manchmal sagte er auch: "Bayern will das" – und setzte sich oder die Regierung mit dem Freistaat gleich, eine eher monarchische denn demokratische Pose.


Söder verkündet strengere Corona-Auflagen ab Inzidenz von 100


Der Landrat von Berchtesgaden, der den Lockdown verhängen musste, sprach davon, die "Daumenschrauben anzuziehen" – auch das ist des öfteren zu hören. Was ursprünglich ja bedeutet: Man foltert jemanden, um ihm etwas zu entlocken - mit schmerzhaften Daumenschrauben.

Kassenärzte: Sachlichkeit statt Angsterzeugung

"Wir glauben, dass etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit und etwas weniger Bedrohlichkeit vielleicht helfen könnten, die nächsten eineinhalb Jahre auch noch zu überstehen": So schaltete sich nun sogar die Kassenärztliche Bundesvereinigung in die Debatte ein und warnte vor "Drohungen und Angsterzeugung".


Corona: Bayern insgesamt über kritischem 50er-Warnwert


Und Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann sagte gerade: "Wir hören zu oft die allerschärfsten Mahnungen von der politischen Spitze, aber zu wenig Differenzierung." An wen sich das richtet, war nicht schwer zu erraten: auch und gerade an Markus Söder, der nach wie vor gern den Klassenbesten geben möchte im Corona-Länder-Ranking. Auch jetzt ging er darauf ein in seiner nun schon dritten Regierungserklärung zur Pandemie.

In der Rolle des Motivationstrainers

Aber der stets wandlungsfähige Ministerpräsident hatte ganz offensichtlich die Warnungen vor einer allzu alarmistischen Tonlage registriert und verinnerlicht: "Zügel anziehen" wollte er nicht mehr. Stattdessen schlüpfte er nun mehr in die Rolle des Motivationstrainers: "Machen wir mit", "Bringen wir uns ein" – so appellierte er an die Bürger. Das war passende, vorsichtiger, weniger anklagend. Es brauche die richtige Mischung aus "Warnen, Vermitteln und Hoffnung geben". Man kann das als Eingeständnis werten, dass er die letzten Punkte zuvor eher vernachlässigt hat.


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Man müsse "die Vernünftigen vor den Unvernünftigen schützen", so Söder. Daher die neue Warnstufe "Dunkelrot" in besonders betroffenen Regionen mit einer Inzidenz über 100. In der Tat gibt es einige wenige, die Masken verweigern und ohne Hygieneregeln Party machen oder feiern.

Noch längst nicht alle Regeln sind einleuchtend

Manche Vorschriften wie die frühere Sperrstunde drängen diese Gruppen allerdings geradezu zum vermutlich noch gefährlicheren, kaum zu kontrollierenden Ausweichen auf private Feten. Es ist noch längst nicht alles logisch an den Regeln, die laufend nachzubessern sind – damit sie verstanden und eingehalten werden, weil sie auch allen einleuchten.


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