Neues Therapiecenter: Gibt es Cannabis jetzt auf Rezept?

26.3.2021, 06:00 Uhr
Bevor sie in den Verdampfer kommen, müssen die Cannabis-Blüten zerkleinert werden.

© realcontent via www.imago-images.de, NNZ Bevor sie in den Verdampfer kommen, müssen die Cannabis-Blüten zerkleinert werden.

Chronische Schmerzen sind bei Krankheiten wie Migräne, Multipler Sklerose oder Krebs oft alltäglich, entsprechend hoch ist bei vielen Patienten der Leidensdruck. Wenn sämtliche anderen Therapiemöglichkeiten erschöpft sind, können Ärzte mittlerweile auch medizinisches Cannabis verordnen. Seit vier Jahren ist das ganz legal, geregelt per Gesetz. Die Bundesregierung hat sogar eine eigene Cannabisagentur gegründet, die den Anbau in Deutschland steuert und kontrolliert. Denn Anbau und Handel mit der Droge sind ansonsten nach wie vor verboten.

Trotzdem versorgen sich auch etliche Schmerzpatienten auf illegalem Weg mit Cannabis, denn nur relativ wenige Ärzte verordnen die Substanz bislang. "Wir schätzen, dass maximal zwei Prozent der Ärzte ihre Patienten schon mal damit behandelt haben", sagt Dr. Julian Wichmann. Der Radiologe will das ändern - und hat deshalb mit einer Partnerin die Firma Algea Care gegründet, die mittlerweile sieben Niederlassungen in Deutschland betreibt, eine davon in Nürnberg. In diesen Zentren gibt es nur eine einzige Therapie, nämlich die mit medizinischem Cannabis.

Dr. Julian Wichmann zeigt einen Verdampfer, mit dem Patienten das medizinische Cannabis konsumieren können.

Dr. Julian Wichmann zeigt einen Verdampfer, mit dem Patienten das medizinische Cannabis konsumieren können. © Roland Fengler, NNZ

Verordnet werden kann es allerdings nur dann, wenn die Betroffenen an einer schweren lebensbedrohlichen Erkrankung leiden oder wenn die Erkrankung die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Andere Behandlungsformen müssen zudem ausgereizt sein. Einen festen Indikationskatalog hat der Gesetzgeber jedoch nicht festgelegt.

Wenn mehrere Schmerzmittel vergeblich getestet wurden oder zu schwersten Nebenwirkungen führten, suchten die Menschen nach einer "Therapiealternative", so Wichmann. Die Patienten von Algea Care ordnet er drei Gruppen zu: Ein Drittel habe starke chronische Schmerzen, ein Drittel leide unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Schlaf- und Angststörungen, ein weiteres Drittel habe schwere Erkrankungen wie Krebs oder Morbus Crohn.

Medizinisches Cannabis könne ihre Beschwerden lindern, sagt der Mediziner. "Manche sind damit sogar komplett beschwerdefrei." Der Rauschanteil der Behandlung sei nach einer Eingewöhnungsphase meistens schnell verflogen. Anders als etwa Morphium habe medizinisches Cannabis sonst kaum Nebenwirkungen. "Wir haben Patienten aus allen Altersgruppen und Berufen." Diese wünschten sich vor allem, dass der Konsum nicht mehr mit Vorurteilen behaftet sei. Medizinisches Cannabis, das in der Regel mit Hilfe eines Verdampfers mehrmals täglich inhaliert wird, sei ein "normales Medikament, das aus der Apotheke kommt".


Cannabis erfolgreich in der Corona-Therapie eingesetzt


Ein Medikament allerdings, für das die meisten tief in die Tasche greifen müssen. Um die 20 Euro kostet ein Gramm der Medizin, der Bedarf liegt bei den meisten bei 25 bis 30 Gramm im Monat. Bei Algea Care gibt es die entsprechenden Präparate auf eigene Kosten auf (Betäubungsmittel-)Rezept, eine Kassenzulassung hat das Therapiezentrum nicht. Auch für die Behandlung müssen die Patienten bezahlen, falls nicht eine private Krankenversicherung für die Kosten aufkommt.

Beratung per Video

Vor Ort findet lediglich das Erstgespräch statt, anschließend werden die Menschen per Videosprechstunde betreut. Dabei arbeite man mit rund 20 darauf spezialisierten Medizinern zusammen, sagt Wichmann, schließlich sei die Behandlung mit Cannabis sehr komplex.

Auch am Klinikum Nürnberg verordnen Ärzte gelegentlich entsprechende Medikamente, unter bestimmten Voraussetzungen kommen dann auch die Krankenkassen dafür auf. Dr. Dirk Risack, Oberarzt im Schmerzzentrum des Klinikums Nürnberg, arbeitet regelmäßig damit, die Euphorie seines Berufskollegen Wichmann kann er dennoch nicht teilen. Er habe Patienten, "bei denen läuft es supergut", sagt der Mediziner. "Es gibt aber genauso Fälle, in denen die Behandlung nicht die gewünschten Effekte hat", etwa, weil die Betroffenen das Präparat nicht vertragen oder weil es ihnen schlicht nicht hilft.

Trotzdem sei die Nachfrage hoch, "zu mir kommen täglich Leute, die das haben wollen". Manche, so glaubt Risack, wollen sich nicht mehr illegal versorgen müssen oder können sich den Konsum nicht mehr leisten. Dass eine Einrichtung sich ausschließlich auf die Behandlung mit Cannabis spezialisiert, sieht der Mediziner kritisch. "Zur Behandlung chronischer (Schmerz-)Erkrankungen gehört mehr als nur ein einziges Therapieverfahren."

20 Kommentare