Altstadtgeschichte

Nürnberg, Unschlittplatz 1: Diese Hausnummer macht bis heute viel her

2.6.2021, 09:49 Uhr
Kurz vor dem Umbau des Anwesens 1892 ließen sich Druckereibesitzer Hans Lotter und seine Belegschaft vor ihrer neuen Wohn- und Wirkungsstätte ablichten. Die Beschriftung des "General-Anzeigers" war damals noch vorhanden – die Abgebildeten sind möglicherweise auch der Zeitung zuzuordnen.  

© Ferdinand Schmidt, Sammlung Gabriele Fischer Kurz vor dem Umbau des Anwesens 1892 ließen sich Druckereibesitzer Hans Lotter und seine Belegschaft vor ihrer neuen Wohn- und Wirkungsstätte ablichten. Die Beschriftung des "General-Anzeigers" war damals noch vorhanden – die Abgebildeten sind möglicherweise auch der Zeitung zuzuordnen.  

Bei Bauwerken ist es ein bisschen wie bei den Menschen: Je besser man ihre Facetten und ihre Geschichte kennt, desto eher findet man einen gefühlsmäßigen Zugang zu ihnen – mal positiv, mal negativ oder irgendetwas dazwischen. Nicht wenige Eigentümer und Betrachter sehen manch "alde Hüddn" mit ganz anderen, manchmal gar leuchtenden Augen, wenn sie erfahren, wie viel Geschichte und Geschichten in ihr steckt. Wenn das Haus dann auch noch optisch was hermacht, umso besser!

Von Patriziern errichtet

Im heutigen Fall hat uns unsere Leserin Gabriele Fischer mit persönlichen Informationen und Bildmaterial dabei geholfen, ein ganz besonderes Kleinod im neuen Lichte zu sehen: Das erhabene Sandsteinhaus Unschlittplatz 1, das seine prunkvolle Front der Pegnitz zuwendet, gehört zu den wenigen historischen Palais der Nürnberger Altstadt, die die Verheerungen des 2. Januar 1945 überlebt haben.

Noch in unseren Tagen ein wunderschönes Ensemble: der Henkersteg, das Unschlitthaus und das Stadtpalais Unschlittplatz 1 (von links), 2015 von der Maxbrücke aus fotografiert.  

Noch in unseren Tagen ein wunderschönes Ensemble: der Henkersteg, das Unschlitthaus und das Stadtpalais Unschlittplatz 1 (von links), 2015 von der Maxbrücke aus fotografiert.   © Boris Leuthold

Noch heute künden die Sandsteinfassaden in strengen spätbarocken Formen von der Zeit, da die alte Reichsstadt langsam, aber sicher ihrem Ende entgegenging – wenngleich das 18. Jahrhundert nicht in toto eine Zeit des Niedergangs war, wie die ältere Stadtgeschichtsforschung noch mutmaßte.

Auch die spätere NZ hatte hier schon ihren Sitz

Wie so oft brauchte es erst eine Katastrophe, damit im Gewirr der alten Häuser ein so großer Neubau entstehen konnte: 1744 vernichtete ein Brand die drei Anwesen am Uferweg der Pegnitz, der damals noch die Bezeichnung "Am Hieserlein" trug, benannt nach dem uralten und noch heute erhaltenen Hieserleinbrunnen am Unschlitthaus. Deren Geschichte reichte mindestens bis 1675 zurück, als zwei der Gebäude in den Besitz des Sebastian Löffelholz, Angehöriger einer ratsfähigen Familie, und des Färberehepaares Magdalena und Peter Förtsch übergingen.


Beeindruckende Fotos: So sah Nürnberg einmal aus


Bauherren des um 1750 errichteten Neubaus, dessen Entwerfer wir leider noch nicht kennen, war wohl das Ratsgeschlecht der Fürer von Haimendorf. Zumindest ist die verwitwete Maria Helena von Zeltner, eine geborene Fürer, 1802 als Eigentümerin nachweisbar.
Ende des 19. Jahrhunderts verdichtet sich unser Wissen zur Bau- und Nutzungsgeschichte des Hauses: Gabriele Fischer weiß zu berichten, dass ihr Urgroßvater Johann Michael "Hans" Lotter es 1892 erwarb. Zuvor hatten dort Johann Bernhard Söllner eine Bronzefarben- und Brokatfabrik unterhalten. Zwischen 1891 und 1894 folgte der Verlag des "General-Anzeigers für Nürnberg und Umgebung", eine der Zeitungen, aus denen nachmals die Nürnberger Zeitung entstand.

Dieses Foto, aufgenommen um 1900, zeigt die Folgen des jüngsten Umbaus. Die neue Fassadenbeschriftung war noch nicht fertig und musste einretuschiert werden.

Dieses Foto, aufgenommen um 1900, zeigt die Folgen des jüngsten Umbaus. Die neue Fassadenbeschriftung war noch nicht fertig und musste einretuschiert werden. © unbekannt, Sammlung Gabriele Fischer

Mit den Spandels, der Inhaberfamilie des General-Anzeigers, pflegten die Lotters jahrzehntelang engen Kontakt. Hans Lotter, 1864 in Ziegelstein geboren und von Beruf Kaufmann, hatte sich im nämlichen Jahr mit einer eigenen Druckerei selbständig gemacht. Spezialität: Plakate, in Zeiten vor Fernsehen, Radio und Internet ein begehrtes Gut am aufstrebenden Reklamemarkt. Zeitweise hatte Lotter gar die Exklusivrechte, die Nürnberger Litfaßsäulen zu bestücken.

Wohnung für Hitlers Architekten

Noch im Jahre der Erwerbung ließ Lotter sein neues Domizil durchgreifend umbauen, wenngleich nach damaligen Maßstäben durchaus "denkmalgerecht". Über dem erst 1860 aufgesetzten dritten Obergeschoss ließ er ein neues Mansarddach aufrichten, das mit reich gestalteten Gauben und einem Zwerchhaus im Stil des Neubarock veredelt wurde, wobei man den alten Giebel wiederverwendete oder wenigstens recht genau kopierte. Auch das hölzerne Chörlein über dem Hauptportal ist eine Neuschöpfung von 1892.

Die Lotters nutzten den Riesenbau freilich nicht alleine: Neben Hitlers späterem Haus- und Hofarchitekten Ludwig Ruff lebte hier das jüdische Brüderpaar Jakob und Paul Pinkus Grünbaum. Letzteren, zuletzt Privatier und wohl aus gesundheitlichen Gründen häufig Kurgast in Meran, verschleppten die Nazis ins Sammellager Drancy bei Paris und 1944 nach Auschwitz und ermordeten ihn in den Gaskammern.

Wie Fotografien von 1945/1946 belegen, erlitt das Stadtpalais wie durch ein Wunder kaum nennenswerte Kriegsschäden. Die heutige vereinfachte Dachlandschaft ist offenbar Ergebnis einer Modernisierung der Nachkriegszeit, die mit dem neubarocken Pomp nichts anzufangen wusste. In den 1960er Jahren standen denn auch die Druckerpressen im Hause still – das Geschäft lohnte nicht mehr, und so musste Gabriele Fischers Mutter Anneliese Schlager Betrieb und Haus verkaufen.


Nürnberger Pfandleihhaus am Unschlittplatz als Retter in der Klemme


Neben Wohnungen, Praxen und Büros ist im Erdgeschoss in den Räumen der einstigen Druckerei und Setzerei heute der beliebte Naturkostladen "Lotos" zu Hause, der neben Bioprodukten, Obst und Gemüse aus regionalem Anbau auch Kaffee und warme Mittagsmenüs anbietet.

So schließt sich der Kreis zwischen dem Jahre 1675 und 2021. 346 Jahre des Wandels, aber auch der Kontinuität, die dieses kostbare Stück Alt-Nürnbergs vielleicht auch in Ihren Augen in einem neuen Licht erscheinen lassen mögen.

Liebe NZ-Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: nz-themen@pressenetz.de. Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie im Internet unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

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