Bevorstehende Grippesaison

Nürnberger Experte gibt Auskunft: Wird die Influenzawelle heftiger ausfallen als sonst?

23.10.2021, 06:00 Uhr
Die Nachfrage nach Grippe-Impfungen ist in den Nürnberger Praxen aktuell hoch. Das Vakzin schützt vor schweren Verläufen einer Erkrankung mit dem Influenzavirus.

© Stephan Jansen, dpa Die Nachfrage nach Grippe-Impfungen ist in den Nürnberger Praxen aktuell hoch. Das Vakzin schützt vor schweren Verläufen einer Erkrankung mit dem Influenzavirus.

Laufende Nase, kratzender Hals, Kopf- oder Gliederschmerzen: Im vergangenen Jahr sind viele Menschen von diesen Erkältungssymptomen verschont geblieben, Grippeerkrankungen (oder auch Influenza) sind so gut wie gar nicht vorgekommen: Nur 564 Fälle wurden in der vergangenen Saison zwischen dem 28. September 2020 und dem 23. Mai 2021 an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Zum Vergleich: In der vorangegangenen Saison 2019/20 waren es 186.919 labordiagnostisch bestätigte Fälle.

Kaum Grippefälle im vergangenen Jahr

Die aufgrund von Covid-19 erlassenen Hygienemaßnahmen wie Abstandsregeln und die Maskenpflicht haben es nicht nur den Corona-, sondern auch vielen anderen Viren schwer gemacht. Jetzt, wo es weniger Einschränkungen und mehr Kontakte gibt und die Normalität Stück für Stück zurückkehrt, verteilen sich auch Krankheitserreger wieder leichter.

Und mit ihnen die Sorge, dass die gerade erst in den Startlöchern stehende Grippesaison in diesem Jahr stärker ausfallen könnte. Häufig gebrauchtes Argument: unser vermeintlich untrainiertes Immunsystem. Weil es im letzten Jahr aufgrund der eingeschränkten Kontakte und geltenden Abstands- und Hygieneregeln weniger zu tun hatte, gebe es weniger Abwehrzellen und der Schutz – zum Beispiel vor Grippeviren ­– fiele entsprechend geringer aus.

Immunsystem verlernt nicht so schnell

Eine Behauptung, der Prof. Dr. Joachim Ficker, Chefarzt der Pneumologie am Nürnberger Klinikum, widerspricht: "Das ist so nicht richtig. Wenn es mal ein Jahr keine Influenza in Deutschland gibt und auch weniger grippale Infekte auftreten, dann werden die Immunsysteme nicht gleich schwächer." Aktuell ist noch kein Influenzafall in Deutschland beobachtet worden. Die Saison startet meist gegen Ende des Jahres und erreicht ihren Höhepunkt zwischen Januar und März. Ficker erwartet keine heftigere Entwicklung als in Vor-Corona-Jahren – zu dieser Annahme gebe es keinen Grund: "Wir haben ja immer noch bestimmte Maßnahmen der sozialen Distanzierung – wie das Tragen der Masken – die auch vor Influenza-Infektionen schützen."

Die Ressourcen sind knapp

Der Hintergrund, warum die Influenza-Entwicklung in diesem Jahr dennoch besonders ernst genommen und verstärkt an die Impfbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger appelliert wird, ist ein anderer: "Das Gesundheitswesen wird in diesem Jahr durch die vierte Corona-Welle wieder besonders belastet werden. Und da bleiben dann einfach keine Ressourcen mehr für Influenzafälle und die Corona – und Influenzafälle konkurrieren dann mit Patienten mit anderen dringenden Erkrankungen. Auch ohne Corona ist das Gesundheitswesen aufgrund von Grippefällen in manchen Jahren schon während der Influenza-Saison an seine Grenzen gekommen."

Grippe-Impfung als vorbereitende Maßnahme

Ein Risiko, das bekannt ist und dem im Klinikum Nürnberg mit der an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerichteten Bitte, sich impfen zu lassen, begegnet wird. "Das tun auch sehr viele Mitarbeiter meiner Klinik", so der selbst am Dienstag gegen Grippe geimpfte Chefarzt. "Und so sorgen wir dafür, dass wir auch handlungsfähig bleiben." Zwar erwartet Ficker keinen so hohen, erneuten Corona-Anstieg wie zum Zeitpunkt der zweiten oder dritten Welle, aber im Augenblick steigen die Zahlen der Corona-Patienten in der Klinik wieder stetig, wenn auch langsam. "Ich befürchte, dass sie auch noch weiter steigen. Vor allem weil sich nun im Herbst die Aktivitäten von draußen in Innenräume verlagern und sich Infektionen in Innenräumen viel leichter verbreiten."

Prognosen sind nur schwer möglich

Es ist schwierig, verlässliche Vorhersagen zu treffen, ob es sich dabei um eine mögliche Corona- oder die nächste Influenzawelle handelt. "Wie heftig eine Grippewelle ausfällt, hängt in allererster Linie davon ab, ob und welche Virus-Typen sich ausbreiten und ob Mutationen des Influenzavirus auftreten. Wenn eine Virusvariante kommt, die schon lange nicht mehr aufgetreten oder komplett neu ist, dann ist die Immunabwehr von vielen Menschen darauf nicht gut vorbereitet und dann kann es hohe Wellen geben." Denn was bei der Grippe hinzukommt, ist die Tatsache, dass es verschiedene Stämme gibt, dass sich die Viren jedes Jahr ändern und man nie genau weiß, welche auftreten werden. "Das Immunsystem steht daher ohnehin vor immer wieder neuen Herausforderungen", so der Pneumologe.

Wie wirksam ist der Impfstoff?

Ebenso wie sich das Virus in jedem Jahr verändert, muss sich auch die Zusammensetzung des Impfstoffes dagegen ändern. Im späten Sommer werden die vier Impfstämme, aus denen der Wirkstoff bestehen soll, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt. Diese Empfehlung basiert auf den Geschehnissen auf der winterlichen Südhalbkugel, während bei uns Sommer ist. "Da aber auch dort in diesem Jahr aufgrund von Corona sehr wenige Influenzafälle auftraten, kann es sein, dass die Impfstoff-Empfehlung der WHO in diesem Jahr auf wackligen Beinen steht", erklärt Ficker.

Sein Rat deshalb: Sich einfach jedes Jahr gegen die Grippe impfen lassen: "So wird man jedes Jahr mit einem etwas anderen Impfstoff geimpft und sammelt damit im Lauf der Jahre viel Immunität ein. Die Wahrscheinlichkeit, dann auf ein Virus zu treffen, gegen das man noch nie geimpft wurde, sinkt dann von Jahr zu Jahr."

Große Nachfrage nach Influenza-Impfung

Dass die Impfbereitschaft unter den Nürnbergerinnen und Nürnbergern wie bereits im letzten Jahr hoch ist, hat Dr. med. Knud Braeske in seiner Hausarztpraxis in Nürnberg Ost festgestellt. "Wir haben gerade erst mit den Grippeimpfungen begonnen, aber die Nachfrage ist groß – es läuft, wie es laufen soll. Die Menschen sind sensibilisiert für das Thema Impfen, auch andere Impfungen, wie Gürtelrose- oder Zeckenimpfungen werden jetzt stärker nachgefragt."

Ähnliche Erfahrungen hat auch Dr. Ivan Fintan in seiner Praxis am Stadtpark gemacht: "Grippeimpfungen werden bei mir aktiv nachgefragt und sind seit dem Impfbeginn Ende September sehr gut angelaufen." Er stellt fest: "Die Tendenz von Infekten oberer Atemwege ist momentan steigend."

Empfohlen wird die Impfung für alle Personen ab 60 Jahren und ganz besonders für Schwangere, denn sie haben ein besonderes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Influenza. Hinzu kommen Menschen mit schweren Grunderkrankungen und all diejenigen, die aus beruflichen Gründen ein hohes Risiko haben, sich mit Influenza anzustecken oder das Virus weiterzugeben: Dazu gehören zum Beispiel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen und das Personal in Krankenhäusern ebenso wie Menschen, die in einem Bereich mit viel Personenverkehr tätig sind.

"Nicht tapfer sein!"

In Bezug auf die Kombination von Grippe-Impfung und Corona-Impfung gibt es übrigens keinen Grund zur Sorge: Offiziell ist es sogar so, dass beide Vakzine am selben Tag verabreicht werden dürfen. "Mit 14 Tagen Abstand ist man auf jeden Fall weit im sicheren Bereich", sagt Prof. Ficker. "Im Übrigen ist der Influenza-Wirkstoff ein Totimpfstoff, das heißt er kann keine Infektion auslösen, ebenso wie bei den Corona-Impfungen."

Wenn man krank wird, ist es allerdings kaum möglich, zu unterscheiden, ob es sich um eine einfache Erkältung, die Influenza oder doch Corona handelt. "Deshalb gelten hier zwei Ratschläge", fasst der Experte zusammen: "Nicht tapfer sein und trotzdem zur Arbeit gehen, sondern bitte daheim bleiben und so verhindern, seine Kollegen oder andere Personen zu infizieren. Und: Unbedingt testen lassen, zumindest auf Corona."

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