Unterwegs mit dem Kunsthistoriker

Schätze der Nürnberger Oper: Diese Räume bleiben dem Publikum verborgen

7.1.2022, 12:20 Uhr
Hell und großzügig plante Architekt Heinrich Seeling dereinst die Werkstätten und Ateliers. Davon profitieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch heute, etwa hier in der Herrenschneiderei.

© Sebastian Gulden Hell und großzügig plante Architekt Heinrich Seeling dereinst die Werkstätten und Ateliers. Davon profitieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch heute, etwa hier in der Herrenschneiderei.

Jeder kennt es, jeder liebt es, doch nur ein kleiner Teil kennt seine inneren Werte: das Nürnberger Opernhaus. Dem wollen wir Abhilfe schaffen. In unserer vierteiligen Serie werden Sie außerdem Teile des gigantischen Hauses sehen, die sonst nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Gesicht bekommen. Heute steigen wir hinab in die Katakomben und erkunden die Nebenflügel des Hauses.

Wie es sich für einen großstädtischen Veranstaltungsort der Belle Époque gehört, besitzt das Nürnberger Opernhaus nicht ein, sondern gleich zwei Kellergeschosse von durchaus sinistrem Charme mit einer Vielzahl dunkler, verschachtelter Räume und schmaler Gänge, teils gewölbt, teils von Eisenbetondecken überfangen.

Dieses Zitat aus Hitlers Sportpalastrede sollte die Schutzsuchenden im Luftschutzkeller zum Durchhalten motivieren. Dass es inhaltlich denkbar schlecht an einen Ort der feingeistigen Kunst passte, interessierte nicht.

Dieses Zitat aus Hitlers Sportpalastrede sollte die Schutzsuchenden im Luftschutzkeller zum Durchhalten motivieren. Dass es inhaltlich denkbar schlecht an einen Ort der feingeistigen Kunst passte, interessierte nicht. © Sebastian Gulden

Der Tiefkeller ist das Reich der Haustechnik: Hier liegen Heiz- und Lüftungsanlagen, aber auch Lagerräume für Fundus und Requisite, Werkstätten und natürlich die Unterbühne mit den Hubpodien und Versenkeinrichtungen. Von den Seilzügen, mit deren Hilfe ab 1905 die trickreiche Be- und Entlüftungsanlage für das Zuschauerhaus gesteuert wurde, haben sich diverse in der Wand vermauerte Rollen erhalten.

Sicherheitshinweise in Jugendstilschrift

Selbst hier unten in den Katakomben beweist die Baukunst des frühen 20. Jahrhunderts ihre Konsequenz in der Verbindung des Nützlichen und Schönen, wie geschmiedete Geländer und Ornamentfliesen, aufgemalte Sicherheitshinweise in Jugendstilschrift und Kassettentüren mit dezent-dekorativen Blendrahmen-Zargen beweisen.

Hier drunten harrte denn auch das Notpersonal, das das eingemottete Haus während des Zweiten Weltkrieges in Schuss hielt, während der Luftangriffe auf Nürnberg aus. Von den hetzerischen Durchhalteparolen aus Hitlers Reden, die man zuvor kunstvoll an die Wände der Luftschutzkeller gepinselt hatte, haben sich einige versteckt hinter Rohren und Schränken erhalten.

Gefertigt vom Amt für "Schönheit der Arbeit"

Ja, da schau her! Dieses Kaffeetischchen, das  heute seinen Dienst als Ablage für den Drucker versieht, stand bis 1935 im Foyer des Theaters. Bei der großen Entrümpelung in Folge des von Hitler  angeordneten Umbaus rettete ein Mitarbeiter das Möbelstück vor dem Sperrmüll.

Ja, da schau her! Dieses Kaffeetischchen, das  heute seinen Dienst als Ablage für den Drucker versieht, stand bis 1935 im Foyer des Theaters. Bei der großen Entrümpelung in Folge des von Hitler  angeordneten Umbaus rettete ein Mitarbeiter das Möbelstück vor dem Sperrmüll. © Sebastian Gulden

Etwas heller und wohnlicher nimmt sich das obere Kellergeschoss, eigentlich ein Souterrain, aus. Neben der reich ausgestatteten Theaterbibliothek finden sich hier weitere Büros, Werkstätten und Lagerräume. In dem riesigen Gewölbesaal, der sich unter der Vor- und der Kassenhalle erstreckt, richteten die Städtischen Bühnen 1937 eine Personalkantine ein.

Anders als die heutige, vorzügliche Kantine des Opernhauses war diese bei den Theaterleuten wegen ihres überschaubaren Angebotes und der gesalzenen Preise verschrien. Von ihrer rustikalen Einrichtung, die nach Entwürfen der NS-Organisation "Amt für Schönheit und Würde der Arbeit" gefertigt wurde, künden noch zwei gewölbte Holzdecken, Sockelleisten und eine Eckbank.

Stimmzimmer in der alten Kantine

Heute nutzt das Orchester die in viele kleine Räume unterteilte Halle zum Proben, zum Stimmen und Lagern seiner Instrumente. Im Westen an der Lessingstraße liegt der Personaleingang; seit Vollendung des neuen Verwaltungsflügels 1966 dienen das frühere Büro des Theaterdirektors und das Sekretariat als Umkleiden und Aufenthaltsräume für Tänzer und Beleuchter.

Wo die Theaterleute einst ihr Mittagsmahl  einnahmen, stimmt heute das Orchester seine Instrumente. Man beachte die rustikale abgehängte Deck aus Holz, die 1936 eingebaut wurde.

Wo die Theaterleute einst ihr Mittagsmahl  einnahmen, stimmt heute das Orchester seine Instrumente. Man beachte die rustikale abgehängte Deck aus Holz, die 1936 eingebaut wurde. © Sebastian Gulden

Weiter geht der Weg hinauf über eines der originalen Jugendstil-Treppenhäuser in die Räume und Korridore im Norden, Süden und Westen des Bühnenhauses und im Magazingebäude an der Lessingstraße, das ebenfalls zu großen Teilen noch von 1901/1905 stammt. Hier lagern Fundus und Requisiten, proben Chor und Ballett, hier wird in den Schneidereien, der Maskenbildnerei und den Büros der künstlerischen Leiter gewerkelt für die kommende Aufführung.

Mitarbeiter bewahrten Mobiliar auf

Obwohl gerade hier der virulente Platzmangel über die Jahrzehnte seinen Tribut in Form diverser Raumteilungen und Provisorien gefordert hat, findet man auch hier noch viele Spuren der originalen Jugendstilgestaltung, aber auch Ergänzungen der 1930er Jahre und des Wiederaufbaus, waren das Magazin und der Nordflügel am Bühnenhaus doch 1945 durch Bomben weitgehend zerstört worden. Und irgendwie verwundert es nicht, dass sich an diesem Ort des kreativen Wirkens sogar in der NS-Zeit Menschen fanden, die die kostbare Jugendstilausstattung nicht auf dem Sperrmüll entsorgt sehen wollten.

Ein wenig könnte es einen schon gruseln in den Katakomben des Opernhauses. Die gestufte Mauer rechts gehörte zu den gewaltigen Fundamenten, auf denen das Bühnenhaus mit seinem Turm ruht.

Ein wenig könnte es einen schon gruseln in den Katakomben des Opernhauses. Die gestufte Mauer rechts gehörte zu den gewaltigen Fundamenten, auf denen das Bühnenhaus mit seinem Turm ruht. © Sebastian Gulden

So entdeckt man noch heute in manchem Büro einen Kleiderschrank, einen Schreibtisch mit Intarsien und Schnitzereien oder einen Kaffeetisch des alten Opernhauses – keine Requisiten, sondern für die Nürnberger Musenstätte eigens entworfene und gefertigte Originale, gerettet vor der sicheren Zerstörung im Namen einer gleichgeschalteten Ästhetik.

Nun bleibt uns noch der Gang ins Herz des Hauses, der Bühne, und dann ganz hinauf in luftige Höhen, die wir in der nächsten und letzten Folge dieser Serie erklimmen werden.

Über den Autor: Sebastian Gulden ist als denkmalpflegerischer Gutachter, Bau- und Kunsthistoriker in Nürnberg tätig. Über das Opernhaus hat er im Auftrag des Staatstheaters Nürnberg eine mehrbändige Dokumentation angefertigt, die als Grundlage für die anstehende Generalsanierung dient.

Dieser Treppenantritt mit  Ornamentfliesenboden, originaler Tür und Gewölbedecke stammt noch fast komplett  von 1905.

Dieser Treppenantritt mit  Ornamentfliesenboden, originaler Tür und Gewölbedecke stammt noch fast komplett  von 1905. © Sebastian Gulden

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