So erlebt Nürnberg das letzte Wochenende vor dem "Lockdown light"

1.11.2020, 18:10 Uhr
Recht quirlig ging es  an der Museumsbrücke zu. Doch eingreifen musste die Polizei nur bei einer Privatfeier in der Nürnberger Südstadt. 

© NNZ Recht quirlig ging es  an der Museumsbrücke zu. Doch eingreifen musste die Polizei nur bei einer Privatfeier in der Nürnberger Südstadt. 

Vielleicht ist der Vollmond schuld. Vielleicht auch der strahlend schöne Samstag, der gerade am Horizont verglimmt. Die Menschen in der Innenstadt sind ungewöhnlich entspannt, fast euphorisch. Dass ihnen jetzt ein zweites Mal der Saft abgedreht wird, nehmen sie stoisch hin. Ein junges Paar, das auf der Mauer der Museumsbrücke Eis isst, lässt golden glänzende Heliumballons in der Abendluft tanzen. Die "17" und ein Herz ziehen sanft am Schnürchen. Ein Hoffnungszeichen?

Sweet Seventeen, sie hat Geburtstag. Er denkt an die Zukunft. Der 18. werde bestimmt besser, sagt der junge Mann aus Syrien in perfektem Deutsch. Jetzt sei eben Corona. Als er vorhin ein Selfie ohne Maske machen wollte, kam gleich die Polizei.

Man sitzt eng, sehr eng

Die zwei haben Verständnis dafür. Gegenüber sind die Tische draußen vor den Lokalen dicht besetzt. Es wird getrunken, laut gelacht, man sitzt eng beieinander. Sehr eng. Das ist auch schon der einzige Moment, der an den unerbittlich laufenden Countdown erinnert.

Ein letztes Mal einen draufmachen, bevor der dunkelrote Vorhang fällt? Eher nicht. Das große Remmidemmi am Wochenende vor dem Lockdown fällt aus. Nicht einmal Halloween hat laut Polizei Ärger gemacht. Eine einzige Privatparty mit 29 Gästen in der Südstadt musste aufgelöst werden.

Man danke der einsichtigen Bevölkerung, heißt es in der Polizeibilanz. Mehr zu tun hatten die Ansbacher Beamten. In einem brechend vollen China-Restaurant wurden 240 Gäste gezählt, die sich nicht an die Corona-Regeln hielten. Dabei lag der Inzidenz-Wert in der Stadt bei 138,8. Zurück ins brave Nürnberg.

Maske mit Kussmund

Ulrike Baierlein, die mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern am Rand der Brücke lieber Abstand zu den Tischen hält, sieht es nüchtern. Ansteckend sei das Virus jetzt schon, sagt sie und reicht ihrer Freundin Sabine Lewis einen Kelch. Die trägt Maske mit Kussmund. Humor ist, wenn man trotzdem lacht unterm Mund-Nasenschutz. Konzert, Theater, beides fehlt den Frauen seit März. Sogar der Yoga-Kurs finde online statt. Da muss man durch, prost!

Nicht weit entfernt hat sich kurz zuvor ein düsterer Trauerzug von der Pegnitz langsam hoch zur Katharinengasse gezogen. Ein Sarg, Opernarien und Plakate "Gegen das Geschäft mit der Angst": Auch die Corona-Kritiker nutzen die letzte Gelegenheit für Wochen, um noch einmal zu protestieren. Die junge Frau, die sich den Schwarzgekleideten mit hartnäckigen Fragen in den Weg stellt, bleibt bemerkenswert ruhig. Immer wieder hakt sie nach. "1,2 Millionen Lockdown-Opfer unter fünf Jahren" ist auf ein Betttuch gemalt. Passanten schütteln die Köpfe.

Nicht so der Feiertyp

Auch die These, dass zumindest die Jungen im Schein der dunkelroten Ampel verzweifelt letzte Feten feiern würden, bleibt unbestätigt. Einen Steinwurf von der Corona-Demo entfernt sitzen drei Mädchen an der Nonnengasse auf einer Bank und halten Becher mit zuckersüßem Bubble Tea auf dem Schoß. Ob heute noch was geht? Keine gute Idee, sagen die beiden 15-Jährigen abgeklärt.


Teil-Lockdown in Bayern: Was ist verboten und was erlaubt?


Auch von der zwei Jahre älteren Freundin kommt kein Widerspruch. Sie bastele am Fachabi, sei nicht so der Feiertyp, sagt sie freundlich, aber bestimmt. Dann wenigstens ein letztes Mal ins Kino? Das gute Wetter hat am Samstag auch diese Hoffnung von Reiner Maurer zunichte gemacht. Es war wenig los, und weil die Gastronomie im Haus schon um 21 Uhr zugesperrt werden musste, sei "das Abendgeschäft kaputt" gewesen, sagt der Admiral-Chef und klingt ziemlich frustriert.

Zähne zusammenbeißen

Renoviert habe man schon während der ersten Zwangspause. Zusperren, Kurzarbeit, wie alle Kinobetreiber muss er sich jetzt durch die zweite Auszeit quälen. Und der Sport? Die Kundschaft von Stefan Ottma von der Boulderhalle E4 in der Südstadt erwischt der Lockdown mitten in der Hochsaison. Auf den Matten habe Endzeitstimmung geherrscht, viele Kletterer seien ganz bewusst kurz vor Torschluss nochmal die Wände hochgegangen. Ottma hat andere Pläne: "Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen."

Verwandte Themen