Kunstbiennale "Ortung"

Sommertipp: Goldener Sinnesrausch in Schwabach

15.8.2021, 07:04 Uhr
Zwei goldene und viele weiße Gipsringe hat der Rother Künstler Hans Karl Kandel für die "Ortung" in der Schwabacher Stadtkirche aufgeschichtet. Sie entfalten ihre Wirkung je nach Blickachse, etwa in Richtung Kreuz oder Madonna.

© Carola Scherbel Zwei goldene und viele weiße Gipsringe hat der Rother Künstler Hans Karl Kandel für die "Ortung" in der Schwabacher Stadtkirche aufgeschichtet. Sie entfalten ihre Wirkung je nach Blickachse, etwa in Richtung Kreuz oder Madonna.

Wie in den Vorjahren präsentieren unsere Redaktionen in Schwabach, Roth/Hilpoltstein, Weißenburg, Treuchtlingen und Gunzenhausen in den Sommerferien einmal wöchentlich sommerliche Ausflugsziele, die schnell zu erreichen sind. Heute: Die Kunstbiennale "Ortung" in Schwabach.

Kunst in der ganzen Stadt. Kunst an 30 Orten. Im leerstehenden Laden, in der aufgelassenen Werkstatt, in der früheren Turnhalle oder der Kirche. Außen an der Fassade, auf dem Marktplatz, in der Wiese, im überwucherten Garten. 30 Mal Kunst unter dem Namen „Ortung“. Ein Besuch in Schwabach lohnt sich immer, aber gerade ganz besonders.

Gold, Gold, Gold. Es glänzt und glitzert verlockend. Aber es glänzt nicht nur. Der hohle und der Widerschein des Goldes, seine Ausbeutung und seine Oberflächlichkeit sind Themen: Im Zeichen des Goldes steht auch bei der zwölften Kunstbiennale alles. 400 Kunstschaffende aus der Region, aus Deutschland und der ganzen Welt haben sich dafür beworben. 30 wurden ausgewählt für die exklusive Kunst-Tour durch offene und versteckte Orte in der Altstadt.

In Gold abgepaust

Unsere Führung mit Kerstin Bienert als Kunstbegleiterin im leuchtenden Ortung-Shirt („Gelb ist das neue Gold“) startet im Rathaus im goldenen Saal – ein goldenes „Gräberfeld“ ist auf dem Boden ausgebreitet. Ohne die Erklärungen würden wir nur Blattgold mit eingeritzten Buchstaben in Rahmen sehen.

Aber Kerstin Bienert erläutert, wie das australisch-russische Künstlerpaar Boris und Natascha tatsächlich die Namen prominenter Verstorbener von Grabsteinen „abgepaust“ und als augenzwinkernden Rat an den Rat der Stadt auf Gold gepresst hat. So wurde aus Albrecht Dürer „Be Art“ – sei Kunst!

Oder: „Silence“ wird aus dem Namen des Künstlers Egon Schiele. An der großen Textilarbeit von Sandra Contreras dagegen kann ein Teilnehmer erklären: Für den Satelliten Galileo haben er und seine Firma vor gut 20 Jahren einen Schleifring entwickelt. Der Satellit ist auf dem großen schwarzen Wandbehang aufgestickt, der Makrokosmos des Erdalls gegenüber kleinen goldenen Zellstrukturen.

In der alten Mälzerei laufen die Ortung-Besucher über Gerstenkörner, die Inge Gutbrod unter Wachszylindern (oder Bierkrügen?) als „sinnlichen Genuss“ ausgebreitet hat.

In der alten Mälzerei laufen die Ortung-Besucher über Gerstenkörner, die Inge Gutbrod unter Wachszylindern (oder Bierkrügen?) als „sinnlichen Genuss“ ausgebreitet hat. © Carola Scherbel, NN

In der Stadtkirche neben dem Rathaus suchen wir die verschiedenen Blickachsen, denen der Rother Künstler Hans Karl Kandel seine glatten weißen Gipsringe – und zwei halbierte aus Gold – Richtung Kreuz und Madonna zuordnet. Und jeder darf mal auf dem „black stupa“, dem schwarzen Smartphone, wischen und damit Töne erzeugen: Sie bringen drei Saiten zum Schwingen, an denen in der Mitte des Kirchenraums ein 25 Kilo schwerer goldener Schallkörper, ein Stupa, aufgehängt ist.

Preis für „Stupa“

Die Arbeit von Florian Tuercke aus Nürnberg hat den mit 5000 Euro dotierten Schwabacher Kunstpreis bekommen. Hier wie fast an allen der 30 Stationen können, dürfen und sollen wir uns Zeit nehmen zum Zuhören und Hinschauen, uns in die Kirchenbank oder den „Hörsaal“ setzen.

So nennt Kerstin Bienert den Raum, der schon vor dem eigentlichen Ortung-Start für Lärm und laute Empörung gesorgt hat. Immer noch klirrt es immer wieder in der früheren Eisenwarenhandlung „Prell“. Denn das Künstlerduo Johannes Brunner und Raimund Ritz aus München hat nicht nur die Scheiben des leeren Ladens mit Pflastersteinen eingeworfen, sondern die „offenen Wunden“ mit goldenen Platten verschlossen, vor allem aber das Geräusch aufgenommen und zu einer Klanginstallation geformt.

Die Installation „Flickwerk“ ist jetzt im „Hörsaal“ im früheren Laden zu hören. „Sie hat was“, sagt nicht nur der Betreuer der Kunststation, der die Klangschleife für die Besucher immer wieder einschaltet und dabei viele Male täglich selbst hört. Die Aktionskunst jedenfalls ist noch nicht vollendet, sagt Kerstin Bienert, die Wunde des Leerstands bleibt und ist durch die Diskussion sogar mehr ins Blickfeld gerückt: „Flickwerk“ eben.

Gespannte Sonnenstrahlen

Kurze Auszeit gefällig? Auch das bietet die zwölfte Ortung: Den romantischen, verwilderten Seminargarten hinter dem „Alten DG“ hat Nador Angstenberger in „Aurum Lux“, in goldenes Licht getaucht. 6000 Meter Wollfaden – in gelb, grün, blau, orange – hat er gebündelt und gespannt zu langen, leuchtenden Sonnenstrahlen. Hier will man einfach bleiben.

Aber auch das Weitergehen lohnt: Wände, Boden und Decken der früheren Turnhalle des Deutschen Gymnasiums hat David Uessem komplett geschwärzt, um seine „goldene Stadt“ hier zu drapieren. Im „Hyperrealismus“ auf zwei mal drei Meter große Leinwand gemalte Gesichter mit goldenen (Mickymaus-)Kronen saugen wie Ikonen den Blick auf. David Uessem, so erzählt Bienert, hat sogar sein eigenes Pass“foto“ gemalt und den Ausweis jahrelang unerkannt nutzen können.

Wir lassen uns flashen von der vielfarbigen Video-Installation auf diagonal schwebenden Holzstangen von Stefan Reiss in der alten Mälzerei und schnuppern nebenan den Duft von echtem Malz, wenn wir auf die Gerstenkörner treten, die Inge Gutbrod unter Wachszylindern (oder Bierkrügen?) als „sinnlichen Genuss“ ausgebreitet hat. Ein paar Schritte weiter – immer vorbei an Menschen, die wie wir goldgelbe Ortung-Bänder um den Hals tragen – geht es nicht um flüssiges Gold, sondern um essbare „Juwelen“: René Martin hat Pfannkuchenteig zu Schmuckketten geformt und Ortung-Besuchern umgehängt. Die Fotos hängen in den Fenstern des leerstehenden Cafés Geißler.

Mahnung in Gold und ohne Kopf

Graffiti-Kunst für und zusammen mit Jugendlichen zeigt Carlos Lorente am Juze und an einer Bürgerhauswand. In einem baufälligen Gebäude hängen 650 Regentropfen aus gefaltetem Goldpapier von der Decke – sie mahnen die Verseuchung des Grundwassers durch den Abbau von Gold an. Ein kopfloser Hund setzt zum Sprung an, die Porzellanskulptur auf einer Stele vor der früheren Schwabacher Münzprägestätte ist auf eine goldene Kugel an der Wand ausgerichtet: „Die kopflose Gier nach Geld?“

Der Künstler David Uessem präsentiert eine goldene Stadt mit hyperrealistisch gemalten Porträts in der komplett geschwärzten früheren Turnhalle des "Alten DG".

Der Künstler David Uessem präsentiert eine goldene Stadt mit hyperrealistisch gemalten Porträts in der komplett geschwärzten früheren Turnhalle des "Alten DG". © Carola Scherbel, NN

Als wir nach drei randvollen Stunden in der Synagoge ankommen und uns in und unter der großen goldenen Kugel von Karolin Schwab widerspiegeln, haben wir in fremde Gärten und Häuser geschaut, Kirchen wiederentdeckt, Fassaden neu gesehen, uns an Gerüche von früher erinnert und splitterndes Glas als Klang erlebt. Dazu kühles Wasser aus speziellen Ortung-Flaschen getrunken. Wenn das kein Erlebnis für einen Sommer-Sonnen-Ferientag ist!

Die Kunstbiennale „Ortung“ ist noch bis 22. August zu erleben, werktags außer donnerstags von 13 bis 19 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, am Samstag und Sonntag von 11 bis 19 Uhr. Für Führungen – komplett (drei Stunden) oder kompakt (90 Minuten) – bittet das Kulturamt um Anmeldung unter kulturamt@schwabach.de oder Telefon (09122) 860305. Tickets gibt es auch unter www.reservix.de. „Ortung im Sitzen“ (barrierefreie) gibt es noch einmal am 17. August um 17.30 Uhr im Medienraum der VHS. „Ortung für Kinder“ bietet Entdeckungstüten für die jüngeren Besucher an. Weitere Informationen gibt es an der Goldbox auf dem Marktplatz und im Bürgerbüro im Rathaus.

"12": Zur Erfrischung hält die Ortung sogar ihr eigenes Mineralwasser bereit.

"12": Zur Erfrischung hält die Ortung sogar ihr eigenes Mineralwasser bereit. © Carola Scherbel, NN

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