Vielseitige Ausstellung

Stadtarchiv präsentiert Nürnberg in der Weimarer Republik

4.10.2021, 09:01 Uhr
Auch der Bereich Sport wird in der Ausstellung über die 1920er Jahre in Nürnberg in der Norishalle in den Blick genommen.

© Wolfgang Heilig-Achneck Auch der Bereich Sport wird in der Ausstellung über die 1920er Jahre in Nürnberg in der Norishalle in den Blick genommen.

Neue Wohnblöcke, eine moderne Frauenklinik, die Volkssternwarte und ein Planetarium, der Milchhof, das erste Gesundheitsamt in Bayern, später das große Stadion am Dutzendteich: Auch vor 100 Jahren wurde in Nürnberg an allen Ecken und Enden gebaut. Im privaten und beruflichen Bereich hielt - etwa mit Telefon, Schreibmaschine und Grammophon - ebenfalls eine neue Zeit Einzug.

Der Aufbruch ist in Nürnberg eng verbunden mit vor allem einem Namen: Anfang Januar 1920 war Hermann Luppe, erstmals vom Volk, an die Stadtspitze gewählt worden. Als Mitglied der Demokratischen Partei DDP hatte er im Stadtrat allerdings keine eigene Mehrheit und war auf die Kooperation mit der SPD angewiesen. Mit seiner liberalen Haltung und besten Kontakten in alle Bereiche gehörte er zu den überzeugenden Repräsentanten der neuen Staatsform - während Hitler und seine Gefolgsleute gerade Nürnberg immer stärker als Bühne beanspruchten.

Wiederaufnahme vom vergangenen Jahr

"Er hat demokratische Formate auch in der Verwaltung eingeführt, viele Spuren seines Wirkens sind bis heute erkennbar", würdigt Kulturbürgermeisterin Julia Lehner den damaligen Oberbürgermeister, den die Nazis 1933 prompt aus dem Amt jagten. An ihn und seine maßgebliche Rolle im Kunstbetrieb erinnert derzeit auch noch eine Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus.

Auch zu seinen Ehren und pünktlich zum Start in die 20er Jahre hatte das Stadtarchiv bereits für das vergangene Jahr eine umfangreiche Ausstellung vorbereitet. Die aber war kaum eröffnet, als sie wegen Corona schon wieder schließen musste. Nun ist sie in einem zweiten Anlauf noch einmal aufgebaut worden. Schließlich hatte das Team des Stadtarchivs viel Arbeit in die vorbereitenden Forschungen gesteckt.

1000 prall gefüllte Seiten

"Es gibt viele Quellen, aber bei den Vorbereitungen haben wir festgestellt, dass etliche Themenfelder bisher noch kaum bearbeitet waren", erläutert Steven Zahlaus, der in der Zwischenzeit vom Stadtarchiv ins Kulturreferat wechselte. Das wiederum gab den Anstoß zu einer ausführlichen Publikation, die über die Ausstellung auf rund 1000 Seiten noch deutlich hinausführt und den heutigen Wissensstand ausführlich dokumentiert. Statt eines klassischen Kataloges entstanden so gleich zwei dicke Begleitbände - die erst während der Lockdown-Phasen fertiggestellt wurden und nun druckfrisch vorliegen.

Das Spektrum umfasst die Schul-, Medien-, Religions- und Sportgeschichte ebenso wie die Bereiche Wirtschaft und Polizei/Militär - und nicht zuletzt die gestärkte Rolle und Position von Frauen. Erstmals dargestellt wird beispielsweise die bislang unerforschte Geschichte etlicher Firmen, so der Metallwarenfabrik Scharlach oder der Süddeutschen Metallindustrie. Ebenso fehlten bisher gründlichere Darstellungen der Entwicklung der Kirchen und der jüdischen Gemeinde, des Schulwesens und der Zeitungslandschaft in der Weimarer Zeit.

Nur kurze Verschnaufpause

Von den "Goldenen Zwanzigern" könne allerdings bestenfalls für ganz wenige Jahre die Rede sein. "Und selbst da war es mehr ein Schein von Normalität", sagt Zahlaus und erinnert daran, dass eine erste Wirtschaftsflaute schon die Jahre 1924/25 überschattete, als die Menschen nach der Hyperinflation etwas aufzuatmen begannen. Die Avantgarde in der Kunst sei in Nürnberg nur beiläufig aufgenommen worden. "Was Moderne heißt, spielte sich im wesentlichen in der Wirtschaft ab." Und auf dem Bildungssektor: In die Weimarer Zeit wurden mit der Volksbücherei und der Volkshochschule Angebote für breite Bevölkerungsschichten etabliert.

Der Eintritt zur Ausstellung im Foyer der Norishalle am Marientorgraben ist frei (geöffnet ist sie Dienstag bis Sonntag, täglich von 10 bis 17 Uhr, Samstag erst ab 13 Uhr, dafür Freitag bis 21 Uhr. Montag geschlossen). Eine erste Kuratorenführung wird am kommenden Freitag, 8. Oktober, um 16 Uhr angeboten; das Kunst- und Kulturpädagogische Zentrum bietet Führungen an Freitagen und Sonntagen, die erste am Sonntag, 17. Oktober, um 15 Uhr. Nur noch bis kommenden Sonntag, 10. Oktober, ist im Museum Industriekultur die Landesausstellung "Tempo, Tempo" zu sehen, die ebenfalls den 1920er Jahren gewidmet ist.

Die zweibändige, natürlich reichlich bebilderte Begleitpublikation, erstellt von der Neustädter Verlagsdruckerei Schmidt, ist zum Preis von 45 Euro im Stadtarchiv und - jedenfalls auf Bestellung - auch über den Buchhandel zu beziehen. Breiter Raum wird hier unter anderem der Entwicklung des Wohlfahrtswesens, des Sports und des Städtebaus eingeräumt. Nach dem rapiden Wachstum vor dem Ersten Weltkrieg entstand erstmals auch eine umfassende städtebauliche Gesamtplanung mit einem "Generalbebauungsplan" des Berliner Professors Hermann Jansen.

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