Nur wenig Grün vorhanden

Versiegelung in der Stadt: Ist Nürnberg eine Pflasterwüste?

9.8.2021, 05:55 Uhr
Zu viel Pflaster? An der Gestaltung des Quelle-Parks und anderer Grünflächen gibt es Kritik.

© Michael Matejka, NNZ Zu viel Pflaster? An der Gestaltung des Quelle-Parks und anderer Grünflächen gibt es Kritik.

Mit den Sitzgelegenheiten fing es an. Die steinernen Ruheplätze, die manchmal auch ohne Lehne daherkamen, stachen Volker Linhard als Erstes unschön ins Auge. Der Religionspädagoge, der nach 25 Jahren auf dem Land zurück nach Nürnberg gezogen ist, begann, genauer hinzuschauen. Und das, was er an Plätzen und vermeintlichen Grünflächen in der Stadt seitdem sah, gefiel ihm vielerorts nicht.

"Oft ist das Grün der kleinste Teil vom Ganzen", sagt der 57-Jährige und zählt dafür diverse, teils auch jüngere Beispiele auf: Missraten ist aus seiner Sicht etwa der Quellepark, auch dem Nelson-Mandela-Platz stellt er ein schlechtes Zeugnis aus. "Warum wurden große Teile des Platzes wieder zugepflastert?" fragt er. "Warum nicht maximales Grün mitten in der Stadt?"

Mit seiner Kritik steht er nicht alleine da. Mehr Grün rangiert auf der Wunschliste vieler Bürger weit oben, und auch aus Expertensicht ist es dringend nötig. Nicht in erster Linie aus optischen Gründen, sondern weil (zu viele) versiegelte Flächen das Klima in der Stadt weiter erhitzen. "Bei der Gestaltung von Plätzen sollte und muss man deutlich mehr Grün vorsehen", betont Wolfgang Dötsch, Geschäftsführer des Bund Naturschutz (BN) in Nürnberg. Auch er kritisiert die "sehr grünarme" Gestaltung etlicher neuer Flächen in Nürnberg.


Nürnbergs Grünanlagen vermüllen immer mehr


Problematisch ist das aus mehreren Gründen, wie auch das Umweltbundesamt betont. Auf versiegelten Böden könne kein Wasser versickern, so die Behörde. "Entsprechend hoch ist das Risiko von Überflutungen bei Starkregenereignissen." Welche dramatischen Folgen das haben kann, war bei den jüngsten Überschwemmungen zu beobachten. Die Fachleute stellen zudem klar, dass versiegelte Flächen ihre Fähigkeit zur Regulierung des Mikroklimas verlieren. "Im Sommer können sie keinen Beitrag zur Milderung der Überhitzung in Städten leisten." Doch gerade Städte müssten sich gegen die im Klimawandel drohende weitere Erhitzung wappnen, betont Dötsch. "Künftig werden wir mit deutlich mehr Tropentagen rechnen müssen." Schon jetzt sei es in den Städten immer zwei, drei Grad wärmer als auf dem Land.

Die Entwicklung lässt sich auch an Flora und Fauna ablesen, so der BN. "Teilweise ist diese schon jetzt mediterran." So wurden laut Dötsch in Nürnberg bereits größere Populationen der Mauereidechse gesichtet, die hier vermutlich erst seit einigen Jahren heimisch ist. "Bei der letzten Stadtbiotopkartierung von 2005 haben wir sie noch nicht erfasst." Auch Pflanzen wie Pfeilkresse und Mäusegerste fühlen sich laut Dötsch in der Stadt wegen der höheren Temperaturen wohl.

Nürnberg liegt im Mittelfeld

Das Tempo der Versiegelung hat sich zwar in den vergangenen Jahren bundesweit leicht abgeschwächt, dennoch schreitet sie weiter voran. Das gilt auch für Nürnberg. Vor knapp 30 Jahren lag der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsflächen bei 54 Prozent, mittlerweile sind es 61,5 Prozent. Zu den Siedlungs- und Verkehrsflächen gehören neben Gebäuden, Straßen und Wegen auch Parks, Gärten und andere Freiflächen. Klaus Köppel, Chef des städtischen Umweltamtes, schätzt, dass in Nürnberg die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsfläche versiegelt ist. Unter den deutschen Großstädten liegt die Stadt damit im Mittelfeld, München und Berlin führen die Statistik an.

Trotz aller Bemühungen um Neupflanzungen gehe durch den Bebauungsdruck in Nürnberg mehr Grün verloren, als hinzukomme, kritisiert Dötsch. Dem Klimawandel werde man zwar allein mit Stadtbegrünung nicht begegnen können, es komme vielmehr darauf an, große Grünflächen wie den Reichswald zu schützen. Dennoch hält Dötsch eine andere Platzgestaltung für wichtig. "Aus heutiger Sicht müssten alle Plätze ein umfangreiches Angebot an Großbäumen haben."

Stattdessen aber stellt auch er eine Verschlechterung fest, etwa am Aufseßplatz: "Er ist viel zu heiß, die Betonfläche viel zu groß." Dass dort mit der Umgestaltung vor 15 Jahren zu viele alte Bäume verschwunden sind, hatten damals auch etliche Anwohner kritisiert. Jungbäume könnten das nicht ausgleichen, so Dötsch, sie hätten gerade im Klimawandel "eine lange Durststrecke" zu bewältigen oder gingen wegen zu kleiner Baumscheiben ein.

"Erhebliche Entsiegelung"

Klaus Köppel will die pauschale Kritik so aber nicht stehen lassen. Über die Gestaltung von Plätzen könne man immer streiten, doch müsse man in der Stadt die Interessen verschiedener Nutzer berücksichtigen. Und sowohl beim Nelson-Mandela-Platz als auch beim Quelle-Park müsse man den Zustand vor den Umbauten betrachten. "In beiden Fällen hat eine Entsiegelung in erheblichem Umfang stattgefunden."

Mehr Hitzetage und eine Zunahme von Starkregen prognostiziert aber auch das städtische Umweltamt. Zu den "Gegenstrategien" seiner Behörde zählt Köppel 450 Versickerungsanlagen, die in den vergangenen Jahren genehmigt worden seien. In den großen Neubaugebieten sei ein Niederschlagswassermanagement Standard. Wasser, das nicht auf Grundstücken versickert, wird in Parks gesammelt oder in Mulden-Rigolen-Systemen zurückgehalten - das Wasser wird dabei auch von unterirdischen Kiesspeichern aufgenommen.

Nachhaltige Nutzung von Wasser

Vorbildcharakter hat laut Köppel der "Züricher Park" im Baugebiet Züricher Straße, der vom Bund mit 4,5 Millionen Euro gefördert wird. Er wird als "klimaangepasster Park" gestaltet, auch hier wird das Regenwasser über Mulden innerhalb der Grünzüge abgeleitet und versickert. Es fließt also nicht einfach in die Kanalisation, sondern wird nachhaltig genutzt. Über Rinnen wird das Wasser zu den Versickerungsflächen geleitet. Die zentrale Rasenfläche soll schräg gestaltet werden und das Wasser in die Senke führen. Damit die Besucher bei Regen keine nassen Füße bekommen, können sie die Versickerungsflächen im "klimafreundlichen Park" auf Stegen überqueren.

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