Der schlimmste Urlaub

Vorsaison des Grauens: Tote Lämmer, Hexen und ein Souvlaki zu viel

28.8.2021, 06:00 Uhr
Vorsaison des Grauens: Tote Lämmer, Hexen und ein Souvlaki zu viel

© imago/Müller-Stauffenberg

Als Kind bedeutete Urlaub automatisch: ab nach Griechenland. Kreta, Korfu, Peloponnes, Chalkidiki - im Schlepptau unserer hellenophilen Eltern kamen meine beiden Geschwister und ich ganz schön herum. Die gelegentliche Klage "Nicht schoooon wieder Griechenland" war, das muss man deutlich sagen, das Gejammer sehr privilegierter Kinder.

Grundsätzlich verbanden wir Hellas auch mit den elementaren, schönen Dingen des Lebens: Mit gutem Wetter, einsamen Stränden, blauem Meer und abends Tellern voller Pastitsio, einem kindgerechten Auflauf mit dicken Makkaroni, Hackfleisch und Käse.
Bis zu jenem Osterurlaub auf dem Peloponnes vor über 30 Jahren, bei dessen Erwähnung einzelne Familienmitglieder noch heute schrill und etwas panisch auflachen.

Von dieser Reise gibt es keine Fotos

Eigentlich sollte in diesem Beitrag ein Foto der Reise gezeigt werden. Es gibt aber keins. Entweder wurde auf eine Dokumentation schon vor Ort verzichtet, oder alle Belege für diesen Urlaub im Nachhinein vernichtet. Beides erscheint plausibel. Denn das Mantra meiner Eltern - "Mit Griechenland kann man nichts falsch machen" - wurde in diesen 14 Tagen pulverisiert.

Drei frierende Kinder

Fotos gibt es also keine, aber vor dem inneren Auge blitzen die relevanten Szenen zuverlässig auf, wenn irgendwo die Worte "Peloponnes" oder "Vorsaison" fallen:

Drei frierende Kinder im Nieselregen. Windjacken, die zwei Wochen lang nicht ausgezogen werden. Unterkünfte, deren Besitzer aus dem Winterschlaf hochschrecken und eilig klamme Zimmer präsentieren. Zimmer, die nicht nur klamm sind, sondern sich auch noch in dem Zustand befinden, in dem sie der letzte Gast im September verlassen hat. Die unbeantwortete Frage, ob man eine ganze Nacht mit offenem Mund schlafen kann, um dem Mottenkugel-Dunst zu entkommen. Als einzige Gäste in einer unbeheizten Taverne sitzen, natürlich mit Windjacke, und auf ein Pastitsio mit Gefrierbrand warten.

Hänsel- und Gretel-Moment

Vor mir sehe ich immer auch meine verzweifelten Eltern, die versuchten, irgendwie die Stimmung zu retten und "das Beste aus der Situation zu machen". Meist war "das Beste" in dieser 12-Grad-Tristesse: Ausflüge in einsame Dörfer. Dort kam zuverlässig der "Hänsel- und Gretel-Moment", wenn die Bewohner spitzkriegten, dass meine Eltern Griechisch sprachen. Schnell waren sie da, die schwarzgewandete Witwen, die uns - dankbar für die erste Abwechslung seit Jahrzehnten - flugs in ihr Häuschen bugsierten. Wir Kinder ahnten dann: für die nächsten Stunden gibt es kein Entrinnen.

Mund voller Kekse

Und wir wussten, wir müssen essen. Und zwar das, was sich zufällig in der verrußten Hütte finden würde. Meist wurde uns Kindern der Mund mit Keksen gestopft, die vermutlich seit der Hochzeit der Gastgeberin im Schrank gelegen hatten. Während der folgenden zähen Stunden waren wir vor allem damit beschäftigt, nicht an dieser Staublawine zu ersticken.

Rund um die Gehöfte wartete aber noch mehr authentisches österliches Griechenland. Als Stadtkinder kannten wir Osterlämmer in Kuchenform, hier lagen sie - frisch gemeuchelt - an jeder Ecke. Gehäutete Schädel glotzten uns an, oder das ganze Tier baumelte blutig von einem Baum. Es war für meine Eltern schlichtweg unmöglich, drei Kindern rechtzeitig die Augen zuzuhalten. Eines musste immer hinsehen.

Ein würdiger Abschluss

Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass auf Fotos von dieser Reise auch etwas Schönes zu entdecken gewesen wäre. Wir alle können uns aber an nichts dergleichen erinnern.

Ein wortloses Fazit der 14 Tage zog schließlich mein kleiner Bruder, der am Vorabend des Rückflugs einen Stopp an einem dubiosen Souvlaki-Stand einlegte und daraufhin nicht nur die Nacht durch, sondern auch noch auf dem Weg zum Flughafen spie, bis sich die Götter erbarmten. Ein würdiger Abschluss.
In den Sommerferien, so meine ich, waren wir dann in Frankreich.

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