Nürnberger Dokuzentrum klärt auf

Was macht man mit "Fundstücken" aus der NS-Zeit?

5.7.2021, 08:59 Uhr
Im Zwischendepot: Alexander Schmidt, Mitarbeiter des Dokuzentrums, mit einem „Gasjäckchen“ für Kleinkinder. Derzeit werden die unzähligen Objekte geordnet und digitalisiert.

© Roland Fengler, NNZ Im Zwischendepot: Alexander Schmidt, Mitarbeiter des Dokuzentrums, mit einem „Gasjäckchen“ für Kleinkinder. Derzeit werden die unzähligen Objekte geordnet und digitalisiert.

Ihre Stimme klingt unsicher, ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen. "Ich weiß nicht, wohin mit dem Zeug", sagt die Leserin am Telefon. Der Vater muss ins Pflegeheim. Sie hat beim Ausräumen seiner Wohnung "unschöne Sachen" in den Schränken entdeckt, die sie los werden will. Auf Nachfrage wird die Nürnbergerin konkreter. Ein alter Nazi-Dolch mit Hakenkreuzen, vergilbte Zeitungen aus den 1940er Jahren, Hitler-Bilder, Abzeichen und jede Menge "fragwürdige Bücher", erzählt sie beschämt.

Scham und Angst

Kein Einzelfall. Nahezu jede Woche meldet sich jemand beim Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit solch einem Anliegen, berichtet Mitarbeiter Alexander Schmidt. "Wir sehen uns ein Stück weit als Entsorgungsstelle", sagt er. "Wir befreien die Menschen von der Sorge, was sie damit machen sollen." Hier werde angemessen mit solchen Fundstücken umgegangen. "Sie landen in unserer Sammlung, einige sind in einer Ausstellung zu sehen und ein sehr geringer Teil wird tatsächlich entsorgt, aber fachmännisch", fährt er fort.

Hitler vor dem Hotel Deutscher Hof: Der Bruder des abgebildeten Mädchens hat das Foto im Vorjahr dem Dokuzentrum geschenkt.

Hitler vor dem Hotel Deutscher Hof: Der Bruder des abgebildeten Mädchens hat das Foto im Vorjahr dem Dokuzentrum geschenkt. © Repro: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

"Scham und Angst, dass die Sachen in falsche – also rechte – Hände geraten, treibt die Menschen um." Und so kommt es immer wieder vor, dass solche Dinge aus dem Nachlass auch anonym abgegeben werden, weiß Schmidt aus Erfahrung. Gerne in einer Plastiktüte am Infostand – bevor sich das Dokuzentrum in eine Baustelle verwandelt hatte. "Es ist vielen Menschen peinlich, dass ein Verwandter solche Sachen daheim hat."

Seit der Eröffnung des Dokuzentrums im Jahr 2001 geht das so. "Nach und nach wurden uns Sachen gebracht", erinnert sich der Historiker. "Dabei hatten wir gar keinen Platz – und auch keinen offiziellen Auftrag." Inzwischen ist daraus eine stattliche Sammlung entstanden mit geschätzt 10.000 alten Büchern. Dazu kommen unzählige Broschüren, Zeitungen, Hefte und Flugblätter sowie mehrere tausend Gegenstände – von Fahnen über Uniformen bis zu Parteiabzeichen und Orden wie das Mutterkreuz.

Ein eigenes Depot

Derzeit befinden sich all diese Dinge in einem Zwischendepot, werden geordnet und digitalisiert. "Früher hatten wir nur eine Abstellkammer, jetzt bekommen wir im Zuge der Umbauarbeiten ein Depot mit 120 Quadratmetern für die Sammlung", informiert Schmidt. "Wir binden die Objekte in unsere Arbeit ein, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus kritisch auseinandersetzt und der historischen Aufklärung dient."

Abgegeben: Ein Schreibmaschine aus der Zeit des Nationalsozialismus mit einer speziellen „SS“-Taste.

Abgegeben: Ein Schreibmaschine aus der Zeit des Nationalsozialismus mit einer speziellen „SS“-Taste. © Roland Fengler, NNZ

Er setzt dabei vor allem auf Abgaben, die eine Geschichte erzählen. Wie ein Landschaftsbild aus Öl, ein Neuzugang. Ein Ehepaar hatte es vorbeigebracht. Das Gemälde hing bis vor wenigen Monaten noch im Wohnzimmer eines Elternteils. Beim Abnehmen entdeckten die Eheleute, dass sich auf der Rückseite ein riesiges Porträt von Adolf Hitler verbarg.

Oder jenes Mädchenfoto, entstanden um 1934 bei einem Reichsparteitag. Ein Nürnberger hat die Aufnahme dem Dokuzentrum geschenkt. Zu sehen ist seine inzwischen verstorbene Schwester mit Hitler vor dem Hotel Deutscher Hof. Das Bild wurde in dem Nürnberger Fotoladen Harren verkauft. "Es erzählt, wie die Bildpropaganda 'Hitler, der kinderliebe Führer' funktioniert hat und zeigt, wie die Begeisterung von Kindern benutzt wurde", sagt Schmidt.


Diese Ausstellung zeigt das Doku-Zentrum während das Umbaus


Auch Alltagsgegenstände wie Bierkrüge und Bleistifte, auf denen "Stadt der Reichsparteitage" steht, Uniformen oder unterschiedliche Ausgaben von "Mein Kampf" füllen die Regale. Schmidt: "Wir sind nicht einfach nur ein Museum, sondern haben eine bestimmte Haltung zu den Sachen." Für solche Fundstücke gibt es einen großen Markt, "doch an dem Handel wollen und können wir uns nicht beteiligen", betont er.

1500 Euro für ein Kinderbuch

Die Abgaben sind in der Regel Schenkungen von Privatleuten. So berichtet Schmidt von dem antisemitischen Kinderbuch "Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid" von einer Nürnberger Kindergärtnerin, veröffentlicht 1936. "Ein Besucher wollte es uns schenken. Wir fühlten uns verpflichtet, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es im Handel um die 1500 Euro wert ist", sagt Schmidt. "Wir können lediglich eine Spendenquittung bieten." Der Mann hat das Buch dagelassen.

Besonders wertvoll sind für ihn Scherben einer Kristallvase aus dem Besitz einer Nürnberger Familie jüdischer Herkunft. Sie wurde in der Reichspogromnacht im November 1938 in der Wohnung der Großeltern zerstört. Die Angehörigen haben sie sorgsam aufbewahrt und vergangenes Jahr dem Dokuzentrum geschenkt. "Solche Objekte brauchen wir unbedingt, sonst zeigen wir nur die eine Seite", betont Schmidt und spricht von einem einzigartigen Exponat.

Scherben unter Glas

Die Scherben sind derzeit in einer Vitrine in der Ersatz-Ausstellung "Nürnberg – Ort der Reichsparteitage: Inszenierung, Erlebnis und Gewalt" in der großen Halle des Dokuzentrums zu sehen. Wenn nach der Modernisierung voraussichtlich ab 2024 wieder normaler Betrieb herrscht, werden sie Teil der Dauerausstellung, weiß Schmidt. Wie einige andere Schenkungen auch.

Jüngst hat der Historiker eine Mail aus den USA bekommen. "Mein Vater hat eine Fahne aus Nürnberg geplündert, sie ist uns zu groß" – hieß es. "Die Familie schickte die drei Meter breite Nazifahne per Post nach Nürnberg. Nachdem sie erst einmal beim Zoll hängen geblieben ist, merkte ich beim Auspacken: Sie ist selbstgenäht – mit viel Zeit und Aufwand. Ein wichtiges Objekt, denn es dokumentiert das Mitmachen."

Das ist eine der Kernfragen: "Wie schaffen wir es, nicht zum Mitmacher und Begeisterten zu werden? Wie erhalten wir unsere Demokratie? Das ist – auch mit Blick auf die AfD – eine ganz aktuelle Frage."

Weitere Infos und Kontakt

Die Ersatz-Ausstellung "Nürnberg – Ort der Reichsparteitage" im Dokuzentrum, Bayernstraße 110, hat an folgenden Tagen geöffnet: Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Anmeldung hier - Kontakt zu Alexander Schmidt unter der Rufnummer (0911) 231-8412 oder per E-Mail an Sammlung.Dokumentationszentrum@stadt.nuernberg.de