Nürnbergerin saß in der Türkei fest: "Dachte, sie bringen mich um"

23.1.2020, 05:35 Uhr
Senem Kartal steht vor einer Säule in der Straße der Menschenrechte. Nach vier Monaten Ausreisesperre ist sie in Nürnberg.

© Edgar Pfrogner, NNZ Senem Kartal steht vor einer Säule in der Straße der Menschenrechte. Nach vier Monaten Ausreisesperre ist sie in Nürnberg.

Die aus Nürnberg stammende Kommunalpolitikerin Senem Kartal (Linke Liste) wurde im Oktober vergangenen Jahres in der Türkei verhaftet. Sie war auf dem Weg zur Beerdigung ihres Onkels, als sie bei der Einreise am Flughafen Istanbul von der Polizei festgehalten wurde. Knapp eine Woche später kam sie wieder auf freien Fuß.

Frau Kartal, wie ist es, zurück zu sein?

Senem Kartal: Bei der Landung war ich unfassbar erleichtert. Ich wollte am Flughafen gleich zu meinen Freunden und Verwandten gehen, die warteten. Aber ich wurde erneut festgehalten und das gefragt, das mich auch die türkische Polizei immer gefragt hatte: Ob ich einer terroristischen Organisation angehöre. Ich habe Nein gesagt, dann wurden meine Sachen gefilzt, bevor ich endlich rausdurfte.

Sie sind wieder in Nürnberg — würden Sie sagen: wieder zu Hause?

Kartal: Ich bin mit zehn nach Deutschland gekommen, natürlich ist das hier meine Heimat. Auch wenn der deutsche Pass in der Türkei nicht geholfen hat und der deutschen Botschaft die Hände gebunden waren.

Sie wollten Anfang Oktober 2019 zur Beerdigung eines Onkels in Ankara. Was ist passiert?

Kartal: Ich mochte den Onkel sehr und wollte unbedingt zur Beisetzung. Im Sommer hatten wir Urlaub in der Türkei gemacht, ohne Probleme. Doch als ich diesmal in Istanbul durch die Passkontrolle ging, wurde ich zur Polizeiwache gebracht. Dort war ich drei Tage in einem Raum, in dem nur ein Tisch und ein Stuhl waren. Geschlafen habe ich nur kurz, mit dem Kopf auf dem Tisch.

Sie sind schwer krank, zu 80 Prozent schwerbehindert. Wussten das die türkischen Behörden?

Kartal: Sicher. Aber ich habe anfangs nicht einmal Wasser bekommen für meine Tabletten. Dann kam ich nach Ankara und erfuhr, dass man mir die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorwirft. Es gab eine Vernehmung, die Anti-Terrorpolizisten hatten viele Informationen vom deutschen Staatsschutz. Sie wussten etwa, dass ich früher im Nürnberger Medya Volkshaus, einem kurdischen Kulturzentrum, im Vorstand war. Da war ich sprachlos.

Wurde über eine Haftstrafe gesprochen?

Kartal: Es hieß: Wenn Sie jetzt reden, lassen wir Sie gehen. Wenn nicht, drohte man mir mit mindestens drei Jahren Untersuchungshaft. Ich sollte Angst bekommen. Das hat geklappt, ich dachte, ich würde jahrelang eingesperrt oder umgebracht werden. Es ist so: Wer sagt, dass Erdogan ein Diktator ist, hat große Probleme.


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Über 70 Deutsche mit kurdischen Wurzeln, auch zwei aus der Region, werden seit Herbst in der Türkei festgehalten. Warum kamen Sie frei?
Kartal: Ich durfte wegen meiner Krankheit ausreisen. Aber es ist schrecklich, dass so viele noch festsitzen. Die Leute haben Familie hier, verlieren ihre Arbeit, ihre Wohnung, einer hat eine hochschwangere Frau. So viele Menschen haben sich für mich eingesetzt. Das ist das einzige, wovor Erdogan Angst hat: öffentlicher Druck.

Werden Sie wieder in die Türkei reisen?

Kartal: Nein, niemals. Auch andere sollten das nicht tun, das Land ist keine Demokratie, man sollte dort auch nicht Urlaub machen. Ein Rückgang des Tourismus würde dem Regime wehtun. Jeder Cent, den man dort ausgibt, stützt nur die Regierung.

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