Psychisch kranke Patienten wegen Coronavirus nach Hause geschickt

22.3.2020, 05:52 Uhr
Die Einschränkung der Psychiatrie setzt Personal frei, das in der aktuellen Notsituation vor allem an anderer Stelle gebraucht wird.

© Roland Fengler, NN Die Einschränkung der Psychiatrie setzt Personal frei, das in der aktuellen Notsituation vor allem an anderer Stelle gebraucht wird.

„In vielen Problemfamilien kocht es ohnehin schon“, sagt der Arzt für Kinder- und Jugendpsychotherapie mit Praxis in Erlangen. Die Ausnahmesituation wegen Covid-19 verschärfe die Lage unerträglich.

Auf der anderen Seite steht: Die Einschränkungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) des Nordklinikums setzen Personal frei, das in der aktuellen Notsituation an anderer Stelle gebraucht wird. Darauf verweist zumindest Klinikumssprecher Bernd Siegler. Von 28 KJP-Betten seien 40 Prozent weiter mit Akutpatienten belegt. Die Entlassenen würden „engmaschig betreut“, per Telefon und künftig auch per Videosprechstunde. Angehörige, die normalerweise fest in die Therapie eingebunden würden, dürften das Gelände derzeit ohnehin nicht betreten.


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Mit jungen Menschen, die unter Essstörungen, Depressionen, Angststörungen oder Suizidgedanken leiden, wird vor allem in Gruppen langfristig therapeutisch gearbeitet. Doch genau das sei angesichts der Virus-Gefahr nicht mehr möglich, teilt Dr. Patrick Nonell, Chefarzt der KJP, seinen niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen mit. Ab sofort würden „nur noch hoch-akute und Notfallpatienten“ betreut.

Die Notfallambulanz sei weiter geöffnet. Stationäre und teilstationäre Patienten aber würden, wenn möglich, entlassen. So steht es in einer Rundmail , die an die einschlägigen Praxen in der Region ging. Das Schreiben hat Empörung ausgelöst. Es sei gerade jetzt katastrophal für die Betroffenen, nach Hause geschickt zu werden, so Psychiater Johannes Wilkes: “Soziale Kontakte zu meiden ist absolutes Gift für die Betroffenen.“

Ein Katastrophenszenario

Von einem „Katastrophenszenario“ spricht deshalb die Nürnberger Kinderpsychotherapeutin Rose Riecke-Niklewski. Zwar dürften jetzt auch die niedergelassenen Therapeuten Video-Sprechstunden abrechnen; das Genehmigungsverfahren wurde vereinfacht und zertifizierte Software gibt es zurzeit umsonst. „Aber Telefon- oder Videokontakte helfen in der Kindertherapie wenig. Da wird ja mehr gespielt als gesprochen.“


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Riecke-Niklewski betreut auch junge Klienten, die zuvor im Klinkum waren - und in einer akuten Krise auch wieder dorthin zurückkehren konnten. Ein Sicherheitsnetz, das wegen Corona löchrig geworden ist. Die Ratlosigkeit sei groß, sagt die Therapeutin. Eine womöglich monatelange Therapiepause? „Das geht einfach nicht.“ Doch es sieht so aus, als müsste das gehen, auf Biegen und Brechen.

Das Klinikum Nürnberg setze nur die Vorgaben der Bundes- und der Staatsregierung für die aktuelle Pandemie-Situation um, sagt der Klinikumssprecher. „Diese Situation berührt mich sehr“, bekennt der Erlanger Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Wilkes. Es könne und dürfe nicht sein, dass Kinder und Jugendliche, die so schwer seelisch erkrankt sind, Opfer von Sanktionen würden.

Die meisten Betroffenen wohnten noch zuhause und damit leider oft an der Quelle schwerer Konflikte. Dazu komme, dass beispielsweise Klientinnen mit Essstörungen oder Magersucht sehr lange brauchten, um einen neuen therapeutischen Anlauf zu nehmen – wenn überhaupt. Wilkes fordert: „Die Politik muss das Klinikum jetzt unterstützen, damit Kinder und Jugendliche dort nicht entlassen werden müssen.“

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