"Ich bin die Risikogruppe": 26-jährige Rotherin ruft zu Solidarität auf

Petra Bittner

Roth-Hilpoltsteiner Volkszeitung

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29.3.2020, 06:00 Uhr

© Foto: Tamara Schwab

Nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft und der Wirtschaftspsychologie arbeitet Schwab aktuell bei einer Bank in der Personalentwicklung – und als Autorin. Auf dem Schild, das Tamara Schwab dem Betrachter entgegenhält, steht: "Ich bin die Risikogruppe. #Beschuetze mich." Ihr Gesichtsausdruck ist ernst und auffordernd. Die 26-jährige Rotherin leidet seit vier Jahren an einer chronischen Herzmuskelentzündung, hat zwei Herzstillstände hinter sich, ihr Immunsystem ist desolat. Menschen wie sie hoffen jetzt in Corona-Zeiten vor allem auf eines: Auf Solidarität.

Frau Schwab, Sie sind 26 Jahre jung. Wie oft denken Sie ans Sterben?

Tamara Schwab: Als junger Mensch mit einer gefährlichen Herzerkrankung und zwei überstandenen Herzstillständen beschäftigt man sich damit sicher häufiger als der Durchschnitt. Vor allem in Zeiten wie diesen. Es ist kein Thema, das weit weg ist. Aber genau dieser Umstand stellt für mich eine Kampfansage dar. Der Tod ist mir schon näher gewesen, als mir lieb war. Aber ich kämpfe jeden Tag dafür, mich wieder von ihm zu entfernen, Stück für Stück – komme was wolle. Auch ein Corona-Virus...

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo würden sie aktuell ihre Nervosität einordnen?

Tamara Schwab: Sie hält sich in Grenzen, zumindest, solange ich zu Hause bin. Ich nehme das momentan sehr ernst mit der Isolation, vermeide jeglichen Kontakt mit Menschen, habe sogar meine Mutter und meinen Bruder seit drei Wochen nicht gesehen. Aber zugegeben: Wenn dann mal eine Nachbarin, der Paketdienst oder ein Spaziergänger näher kommen, werde ich doch nervös, kontrolliere ständig den Sicherheitsabstand. Das ist für mich eben kein kleines Virus, sondern eine Lebensbedrohung.

Laut Statistik liegt die Sterberate von Corona-Infizierten in Deutschland derzeit bei 0,59 Prozent (Stand Freitag). Das heißt: Von 1000 Erkrankten sterben sechs Menschen. Damit gehören wir zu den Ländern, die – noch – am unteren Level angesiedelt sind. Macht Ihnen das Hoffnung?

Tamara Schwab: Ich glaube, dass wir durch die von der Politik getroffenen Entscheidungen und unser Gesundheitssystem in Deutschland mit die besten Voraussetzungen weltweit haben, relativ glimpflich davon zu kommen. Ich fühle mich hier jedenfalls gut aufgehoben, und die niedrige Letalitätsrate unterstreicht dieses Gefühl. Das macht definitiv Hoffnung, ja.

Gibt es besondere Schutzmaßnahmen, zu denen Sie als Risikopatientin greifen?

Tamara Schwab: Meine Maßnahme Nummer 1: Isolation! Sicher, das macht keinen Spaß. Aber wir sollten unsere Sicht ins Positive wenden! Wir sparen uns gerade ganz viel Zeit. Zeit, die wir sonst zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit verlieren. Wir sparen Nerven, die wir oft im Stau oder in der Kassen-Warteschlange lassen.

Stattdessen gewinnen wir Raum für Menschlichkeit und Kreativität. Warum nutzen wir nicht, was wir plötzlich wiederbekommen? Es gibt so viele Möglichkeiten: Bücher lesen, Yoga ausprobieren oder etwas Neues lernen. Ich habe gestern die Nähmaschine rausgekramt und mir einen Mundschutz genäht. Die Infos dazu gab es auf YouTube.

Damit will ich sagen: Ich lerne also Neues, kann mich kreativ dabei ausleben und für meine Mitmenschen auch noch Positives bewirken – sie schützen, indem ich selbst außer Haus einen Mundschutz trage und so vielleicht Nachahmer auf den Plan rufe. Ansonsten gilt: Eine gründliche, häufige Handdesinfektion und gesunde Ernährung!

"Bloß nicht durchdrehen!" lautet die Devise. Wie bewahren Sie einen kühlen Kopf?

Tamara Schwab: Ich handle einfach genauso wie in den Monaten, als ich vor Operationen, Krankenhausaufenthalten und Existenzängsten das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr gesehen habe. Ich kann die Situation nicht ändern. Das Virus ist da. Ich weiß, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue. Den Rest bestimmt das Schicksal.

In den sozialen Netzwerken fordern Sie und andere besonders gefährdete Menschen die Solidarität der Gesellschaft: "Ich bin die Risikogruppe" und "#Beschuetze mich", steht da unter den Fotos junger Leute. Wie kam es zu dieser Kampagne, und was für ein Feedback erfahren Sie?

Tamara Schwab: Ich hab' die Aktion auf Instagram gesehen und war sofort überzeugt! Die Risikogruppe besteht nämlich nicht nur aus den Älteren. Junge Menschen mit Vorerkrankungen hatten aber bis vor Kurzem noch kein Gesicht. Wahrscheinlich, weil wir Jungen gesund und fit aussehen. Ich wollte besonders unter den Jüngeren, die in Bezug auf das Virus eher als die "Leichtsinnigen" gelten, Aufmerksamkeit schaffen - und das hat gut funktioniert.

Immer mehr Risikopatienten posten inzwischen Fotos von sich, wir haben schon ganze Collagen zusammengestellt, und mein Bild hat eine unfassbare Reichweite erzielt. Sogar große Medien klopfen schon an.

Was wünschen Sie sich jetzt von Ihren Mitmenschen?

Tamara Schwab: Solidarität und Menschlichkeit! Das ist jetzt nicht die Zeit für Egoismen. Auch wenn gerade viel Schlimmes passiert, sind wir in Deutschland trotzdem ein reiches Land. Wir können uns Solidarität erlauben, und sie wird der Schlüssel zurück zur Freiheit sein.

Übrigens: Die nächste große Aktion auf meinem Instagram-Account its.tamara.schwab soll eine Mundschutz-Challenge sein. Es ist ein Aufruf, sich selbst seinen eigenen Mundschutz zu schneidern und ihn dann auch zu tragen, wenn man doch mal nach draußen gehen muss. Es ist mein Aufruf zur Solidarität: Nicht "Einer für alle", sondern "Alle für jeden Einzelnen!"

Man sieht es uns nicht an... aber es gibt mehr junge, gesund wirkende Menschen da draußen, die voller Sorge sind und hoffen, dass sie es nicht erwischt. Weil Corona für uns lebensgefährlich werden könnte! Deshalb nun auch von mir der Appell: Bitte bleibt zuhause, verzichtet auf Familienfeiern, Partys oder ausgiebiges Foodshopping... Verzichtet und rettet damit Leben ♥️ Wir möchten noch ganz lange bei euch sein und bald wieder mit euch feiern, tanzen, lieben und leben ♥️ Danke an alle, die sich bereits daran halten und an jeden einzelnen, der an der Front für uns kämpft! Ihr seid der Wahnsinn 💪🏼 #beschützemich #corona #takecare #bleibzuhause #stayathome #risikogruppe #risikopatient #herzkrank #herzmuskelentzündung #herzschwäche #herzinsuffizienz #lebensgefahr #virus #🦠 #💔 #ichbindierisikogruppe #zuhause #ausgangssperre #herzkrank #herzpatient #covid_19 #wirbleibenzuhause #wirsindiderisikogruppe

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