Wanderreporter Hans resümiert: Die Welt ist gut

12.8.2019, 05:50 Uhr
Ein Kindheitstraum, erfüllt von Falknerin Alexa Meininghaus: Wanderreporter Hans Böller mit einem Falken auf dem Arm.

© Hans Böller Ein Kindheitstraum, erfüllt von Falknerin Alexa Meininghaus: Wanderreporter Hans Böller mit einem Falken auf dem Arm.

Den Bürgermeister von Schillingsfürst zu fragen, ob er schon einmal einen Igel gegessen hat, war natürlich ein bisschen frech. Aber Michael Trzybinski machte den Spaß gerne mit, und: Ja, als Bub hat er einen Igel gegessen, er erinnert an ein besonderes kulinarisches Erlebnis, "es hat sehr gemundet", und vor uns, im schönen Rathaus, steht sogar eine Schale voller Igel - kleiner Igelchen aus Schokolade, sie sind heute ein Wahrzeichen der Stadt.

Ja, sie haben Igel gegessen, vor allem in schlechteren Zeiten. Früher war die Erinnerung daran vielen Leuten peinlich, heute steht der Igelfänger, der "Stupferer", auf dem Marktplatz, als Denkmal, an der Leine den auf Igel abgerichteten Spitz, eine Art Trüffel- oder eben Igelschwein unter den Hunden – der letzte wurde 1959, nach einer von Mythen umrankten Nachtjagd, von der Polizei einkassiert, inklusive eines Sacks voller Igel.


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"Stupfel" heißt der Igel im Jenischen, das ist eine aus dem Rotwelsch entwickelte Geheimsprache der Fahrenden Leute, die als Kesselflicker, Scherenschleifer und Bürstenmacher durchs Land zogen. In Schillingsfürst lud sie Karl-Albrecht I. im 18. Jahrhundert zum Bleiben ein – eine frühe Form der Willkommenskultur in einem kleinen Fürstentum, das mit Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst einst sogar einen Reichskanzler hervorbrachte, den zweiten Nachfolger Bismarcks.

Die Jenischen brachten Arbeitseifer und ihre Sprache mit, die auszusterben begann, als die letzte legendäre Igeljagd vorüber war. Geschichte gäbe es ohne Sprache nicht, um das Jenische haben sich Markus Löschel und Johannes Munique angenommen. Mehr als 2000 Wörter haben sie schon gesammelt und lexikalisiert, man muss nur ein paar davon hören, um zu ahnen, was verloren ginge mit dieser Tradition. "Nepferlizupfer" heißt Zahnarzt, die "Kistleshochzeit" ist eine Beerdigung, das "Fangeisen" der Ehering.


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Die Sprache hat Melodie, Hintersinn und etwas sympathisch Schelmisches, damit passt sie gut zu Johannes Munique und Markus Löschel, beide sind sehr humorvoll und strahlen jene Freundlichkeit und Offenheit aus, mit der in Schillingsfürst einst die jenischen Neubürger empfangen worden sein müssen, zumindest wünscht man sich das.

Das Gefühl, willkommen zu sein, vermitteln die beiden Jenisch-Enthusiasten dem Besucher ganz nebenbei, man duzt sich in schöner Selbstverständlichkeit, und nach einer so kundigen wie lustigen Führung durch die Stadt ist man hier schon zu Hause. Heimat lebt von Offenheit, sie trennt nicht, sie verbindet, sie kommt von Herzen und ist ein Antrieb, immer wieder Neues zu entdecken – sie zu teilen, überall, wo sich Menschen begegnen.


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Wer unterwegs ist, spürt die Dankbarkeit um solche Begegnungen vielleicht noch inniger. So war es eine reine Freude, Lothar Schmidt kennenzulernen, wir haben uns in Rothenburg ob der Tauber getroffen und waren sofort befreundet. Er ist ein herzenswarmer, begeisterungsfähiger und dabei nachdenklicher Mensch, er liebt es, zu pilgern, um die Welt kennenzulernen. Unser Spaziergang durch die jüdische Geschichte Rothenburgs machte sie auf eine Weise lebendig, die einen tief berührte.

Zeit für ein "Danke"

Hass und Rassismus zerstören alles, auch Heimat. Es gehört zum Schicksal dieser wunderschönen Stadt, dass der Nazi-Wahn sie als mittelalterliches Deutschland-Ideal inszenierte, heute betreten sie täglich Tausende Touristen aus aller Welt oft wie ein Museum, manchmal fürchtet man, diese betörende Schönheit verkomme zur Kulisse. Wer nur Häuser fotografiert, lernt keine Menschen kennen. Eine Stadt, ein Dorf lebt von den Menschen, die dort wohnen, das war noch ein Gedanke auf dieser kurzen Fahrt durch Westmittelfranken, ein weiterer: Wer unterwegs ist, hat manchmal das Glück, diese Menschen kennenzulernen und, davon inspiriert, die Gedanken schweifen zu lassen, über die Nähe in die Ferne.

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Es geht auf dieser Seite darum, danke zu sagen – für die überall erfahrene Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, die die Überzeugung festigte, dass die Welt eben nicht schlecht ist, sondern gut. Dass es so viele herzliche Menschen gibt. Das lernt man unterwegs am schönsten; als es zu regnen begann, las Markus Terhardt vom Schillingsfürster Bauamt den Wanderer auf – auf einen Wink von Bürgermeister Trzybinski.

In Schillingsfürst zeigte dessen Leiterin, Hai Yan Waldmann-Wang, die in Peking Kunst studierte, dem Besucher das Ludwig-Doerfler-Museum. "Ein Vorbild" nennt sie den 1992 in seiner Heimatstadt Schillingsfürst gestorbenen Franken-Maler Ludwig Doerfler, von dem die wunderbare Idee stammt, die Sehnsucht nach der Kunst ermuntere den Menschen ein Leben lang. Als Polizist belegte Doerfler Abendkurse, er ging Umwege zur Kunst und erfüllte sich seinen Lebenstraum. Über die Kunst, sagt Frau Waldmann-Wang, fand sie in Franken eine Heimat. Schillingsfürst und China können sich nahe sein, und in Rothenburg trifft man Eiichi Takeyama – er zog vor 26 Jahren, "verliebt in diese Stadt", aus Tokio hierher und führt ein Atelier in der Herrngasse. Er hat, sagt er, "zwei Heimaten"; seine Bilder laden zum Träumen ein, "alle, die das wollen". Auch das Träumen kann verbinden.

Ein Abend unter Cluberern

Einen fröhlichen Fußball-Abend verbrachte der hauptberufliche Fußball-Reporter mit den Club-Fans aus Kirnberg, einem kleinen, aber lebendigen Dorf bei Rothenburg. Tim Schnaubelt, Vorsitzender des FCN-Fanklubs "Kirnberg 93", ist auch Obmann des fröhlichen Posaunenchors. Und Alexa Meininghaus vom Falkenhof Schillingsfürst erfüllte dem Besucher einen Kindertraum: einen Jagdfalken auf dem Arm führen zu dürfen. Man träumt kurz noch davon, jetzt fliegen zu können.

Walter Pester zeigte dem Gast das kleine Zimmer in der Judengasse 27, in dem der junge Priester Jorge Mario Bergoglio für drei Monate wohnte. Walter Pesters Eltern Frieda und Erwin beherbergten 1986 den heutigen Papst Franziskus, als er am Goethe-Institut in Rothenburg Deutsch lernte. So, wie er als Heiliger Vater den Menschen zuwinkt, habe er damals auch ihr zugewunken, erzählte Frieda Pester ihrem Sohn einmal. Man sei, sagte Herr Pester zum Abschied, ein angenehmer Besucher gewesen. Wenn das so war, wäre es dem Wanderreporter eine große Freude.

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