Warum die Hightech-Branche so sehr auf München steht

24.1.2020, 07:15 Uhr
Dezent wie selten präsentiert sich der Internet-Gigant Google an seinem Münchner Standort; die Farben verraten den Hausherrn. Das Unternehmen investiert wie andere Hightech-Firmen weiter in der Stadt.

© Foto: Marc Müller/dpa Dezent wie selten präsentiert sich der Internet-Gigant Google an seinem Münchner Standort; die Farben verraten den Hausherrn. Das Unternehmen investiert wie andere Hightech-Firmen weiter in der Stadt.

Für die einen ist es ein bierseliger Alptraum. Für die anderen ist das Oktoberfest der Ort, an dem sie Geschichte schreiben. Und so saßen vor ein paar Monaten Münchens Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner und Apple-Chef Tim Cook in einem der Zelte und plauderten über die Arbeit und das Leben im Allgemeinen. Und über den Wirtschaftsstandort München im Besonderen.

Er freue sich, hat Baumgärtner später zu Protokoll gegeben, wenn solche Gespräche eine positive Resonanz fänden. Apple, derzeit mit 300 Ingenieuren aus 40 Ländern in München vertreten, hat dem Vernehmen nach gerade eine neue Dependance angemietet, 30.000 Quadratmeter groß und mit Platz für weitere 1500 Mitarbeiter. Das Unternehmen selbst schweigt dazu diskret.

Läuft auch ohne Bier

Dass das Münchner Bier ausschlaggebend war, behauptet auch Baumgärnter nicht. Beim Münchner Wirtschaftsreferenten geben sich ganz nüchtern die Konzernchefs die Klinke in die Hand. "Diese Unternehmen haben das Potenzial des Innovationsstandorts München erkannt", sagt er. Der Internetriese Google etwa hat gerade den Postpalast gekauft, ein ehemaliges Paketzustellamt. Einen dreistelligen Millionenbetrag investiert das Unternehmen für weitere 1500 Arbeitsplätze. 2500 Mitarbeiter werden in München Googles Welt-Datenschutzzentrum bilden.

Die Stadt brummt, und insbesondere brummt der IT-Bereich. Microsoft ist da mit 2000 Leuten, Oracle und Amazon sind es ebenso, und auch GE Global Research, Infineon, Facebook und Texas Instruments. Daneben gründen sich zahllose Startups in der Landeshauptstadt. Für München, sagt Bertram Brossardt als Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft sei das "eine gute Nachricht, weil es die Standortqualität bestätigt und das unternehmerische Umfeld belebt". Aber, warnt er, "wenn wir heute stehen bleiben, haben wir die Arbeitsplätze der Zukunft nicht."

Vor allem US-amerikanische Unternehmen schätzen die Stadt in Sichtweite der Alpen aus historischen Gründen. Bayern hatte nach dem Zweiten Weltkrieg doppelt Glück, geriet nicht unter russisches, sondern unter amerikanisches Kuratel und bildete den Kern der amerikanischen Besatzungszone. Den Soldaten folgten US-Firmen wie Wrigley’s oder Philipp Morris nach München. McDonalds eröffnete hier seine erste deutsche Filiale; bis heute hat das Unternehmen seinen deutschen Stammsitz im Münchner Süden.

München ist für Apple-Chef Cook eine Talentschmiede

Jetzt also die IT-Branche. Die finde, sagt eine Sprecherin der Münchner Industrie- und Handelskammer, in München ideale Bedingungen. Die Stadt ist attraktiv mit den Bergen vor der Tür wie mit ihrem internationalen Flughafen – zwei Faktoren, die bei den weltweit agierenden Konzernen eine Rolle spielen. München konkurriert mit Städten wie Seattle, London oder Tel Aviv. Vor allem aber schaffen die beiden Elite-Unis in München ein Umfeld, dass die Konzernlenker schätzen. Er könne hier, hat Apple-Chef Tim Cook in einem Interview erklärt, Teams bilden, "die wir an einem anderen Ort auf der Welt so nicht zusammenstellen könnten". München ist für Cook eine Talentschmiede.

"In der Konkurrenz um die besten Köpfe", sagt Elfriede Kerschl, Referatsleiterin bei der IHK Oberbayern, "braucht man Zugpferde wie Amazon und Microsoft." Beide haben ihre Deutschlandzentralen in München. Läuft der Motor erst einmal, zündet er wie ein Diesel weiter. Es ist diese Sogwirkung der Riesen, die München trägt. Die Konzerne werben sich die Mitarbeiter ab, holen sich weltweit die Besten. Für sie sind Gehälter kein Problem – und für ihre Mitarbeiter die enormen Mietpreise in München ebenfalls keins. "München gehört bei IT und Künstlicher Intelligenz zu den führenden Hochschulstandorten in der Welt", sagt auch Robert Obermeier, Chefvolkswirt der IHK.

Das mache den Großraum zu einem Zentrum Deutschlands, das mittlerweile mehr als ein Zehntel der deutschen Unternehmenserträge erwirtschaftet.


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Natürlich sehen alle die Schattenseiten des Booms, den Wohnungsmangel in München etwa mit Immobilienpreisen, die selbst den Mittelstand überfordern. Wer mieten will, muss bis zu 20 Euro für den Quadratmeter hinblättern, Immobilien kosten schnell zehntausend Euro und mehr pro Quadratmeter. Die es sich leisten können, ziehen in die Peripherie; wer es sich nicht leisten kann, zieht noch weiter hinaus.

Oder der Fachkräftemangel, ebenfalls eine Folge des Aufschwungs. Bei der IHK schätzen sie, dass in Bayern 50.000 Profis in der IT- und der Kommunikationsbranche fehlen. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger setzt auf eine Doppelstrategie, will einerseits München attraktiv halten und andererseits mit digitaler Technik den ländlichen Raum als Standort interessant machen. Das werde, sagt er "vielleicht nicht Google oder Apple aufs Land locken", wohl aber Startups und kleinere Unternehmen.

Fachleute warnen vor zu hohen Erwartungen. Eines habe das vergangene Jahrzehnt gezeigt, argumentieren sie bei der IHK: "Die Hoffnung, dass wir mit digitalen Angeboten die Menschen von den Städten fern halten, weil die Arbeitsplätze ortsunabhängig werden, hat sich nicht bestätigt." Der Druck auf die Städte sei weltweit enorm, das sei in Bayern nicht anders als in Kalifornien.

Aus eigener Kraft

Dass andere Städte von der Münchner Not profitieren, bezweifelt eine Sprecherin der IHK. Nürnberg etwa boome zwar ebenfalls dank Firmen wie der Datev, die "unglaublich gewachsen" sei und nun neue, junge Unternehmen anziehe. Oder Regensburg, das sich im Maschinenbau zunehmend einen Namen macht.

"Diese Städte boomen aber nicht wegen, sondern trotz München", heißt es bei der IHK. Und sie müssen sich ihren Erfolg hart erarbeiten, auch wenn Nürnberg damit rechnet, dass die neue Technische Universität einen Schub bringen dürfte. München hat dieses mühselige Stadium längst hinter sich.

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