Anhänger nehmen Schüler ins Visier

Zulauf durch Corona: Polizei zählt 4130 "Reichsbürger" in Bayern

19.10.2021, 11:50 Uhr
In der Pandemie erhielt die Reichsbürger-Szene mehr Unterstützer. 

© Patrick Seeger, dpa In der Pandemie erhielt die Reichsbürger-Szene mehr Unterstützer. 

Fünf Jahre nach dem Mord an einem Polizisten durch einen Angehörigen der sogenannten Reichsbürger-Bewegung in Georgensgmünd (Landkreis Roth) hat die Szene im Freistaat wieder mehr Zulauf. "Der Trend, dass Reichsbürger und Selbstverwalter die Pandemie ausnutzen und instrumentalisieren und über die damit verbundenen Themenbereiche ihre Ideologie versuchen zu transportieren, hat sich auch im Jahr 2021 fortgesetzt", sagte ein Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz.

Reichsbürger nutzen Schulausfall aus

Bereits in ihrem Jahresbericht 2020 hatten die Verfassungsschützer mehr Bewegung in der Szene beobachtet. "Verschwörungstheorien von Reichsbürgern finden infolge der Corona-Krise größere Verbreitung", hatten die Sicherheitsbehörden am Ende des vergangenen Jahres festgestellt. Neu sei in diesem Jahr das Phänomen, dass sogenannte Reichsbürger versuchten, den durch Corona bedingten Schulausfall für ihre Zwecke zu nutzen und private Lernkreise für ihre Ideologie aufzubauen.

"Zu den Ursachen, der Ausbreitung und den Folgewirkungen der Corona-Pandemie verbreiten Reichsbürger und Selbstverwalter Fake-News, die mit verschwörungstheoretischen Elementen verwoben werden", heißt es im Verfassungsschutzbericht. "Sie behaupten beispielsweise, es handle sich bei Covid-19 um eine absichtlich entwickelte Krankheit mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu dezimieren."

Bayernweit sahen die Polizeipräsidien für 4130 Menschen belastbare Hinweise für eine Zugehörigkeit zur "Reichsbürger"-Szene. Damit sei nach einem Absinken wieder das Niveau von vor 2019 erreicht. Allerdings sieht etwa das Polizeipräsidium Mittelfranken keine Zunahme an Gewalttaten. Insgesamt gebe es eine Reihe von Menschen, die durch häufige Schriftwechsel versuchten, die Ämter lahmzulegen. Gerichtsvollzieher erbäten Polizeischutz, wenn in der Szene Zwangsräumungen anstünden. "Meist reicht es aber, wenn wir anwesend sind", sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums.

Erst Ende November 2021 hatte allerdings ein Mann, der der Szene zugerechnet wird, sein Anwesen in Büchenbach im Landkreis Roth angezündet und sich dabei selbst getötet. Das Haus hätte nach mehreren verstrichenen Terminen am Tag darauf zwangsgeräumt werden sollen. Der als Reichsbürger aktenkundige Mann hatte zuvor bereits einen großen Umsturz angekündigt, der auch auf den Büchenbacher Rathauschef als "Machthaber" abzielte.

Rechtsgerichtetes Gedankengut

Als "Reichsbürger" gelten Anhänger einer Ideologie, die die Bundesrepublik - oft aus Verdrossenheit gegenüber Politik und Staat - ablehnen und sich als Bürger eines Deutschen Reichs ansehen.

Ihr Gedankengut gilt als rechtsgerichtet, Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene konnten aber nur in Einzelfällen belegt werden. Ideologisch verwandt sind sogenannte Selbstverwalter, die eigene Staaten um ihre Anwesen ausrufen und sich mit Fantasieflaggen und Fantasiewappen ausstatten. Oft sind die Mitglieder bewaffnet - vorgeblich, um ihr "Staatsgebiet" zu schützen.

Tödliche Schüsse bei Razzia

Am 19. Oktober 2016 hatte ein damals 49-Jähriger bei einer Polizeirazzia in Georgensgmünd um sich geschossen. Ein Polizist starb an den Folgen von Schussverletzungen, weitere wurden verletzt. Der Schütze wurde wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Im Nachgang rumorte es dabei auch innerhalb der Polizei. Einem Beamten war vorgeworfen worden, Chat-Kontakte zu dem Mann unterhalten zu haben und seine Informationen polizeiintern nicht weitergegeben zu haben.

In der Pandemie hat sich laut dem bayerischen Verfassungsschutz zudem eine Verbindung zwischen der sogenannten Querdenker- und der Reichsbürger-Szene entwickelt. Wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im März mitteilte, würden bei den Anti-Corona-Demonstrationen oft auch an Fahnen und Symbolen erkennbare Neonazis und sogenannte Reichsbürger teilnehmen. Teile der Querdenker-Bewegung werden in Bayern vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet.