Publikum, Party und noch kein Corona

Ausverkauft! Als bei Frankens Vereinen die Hütte voll war

4.12.2021, 05:45 Uhr

© Sportfoto Zink

1. FC Nürnberg: Alle ahnen, was geschehen würde. Und trotzdem sind an jenem 11. Mai 2019 noch einmal 50.000 Menschen ins Max-Morlock-Stadion gekommen, um dem 1. FC Nürnberg nach einem frustrierenden Bundesliga-Jahr das letzte Geleit zu geben. Im Prinzip ist die Messe bereits gelesen: Neben einem Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach bedürfte es schon einer Stuttgarter Niederlage, um vor dem Saisonfinale in Freiburg die Minimalchance auf den Klassenerhalt noch zu wahren. Eine Halbzeit lang hält sich die Elf von Interimscoach Boris Schommers wacker, dann brechen alle Dämme. Der Ex-Nürnberger Josip Drmic, Lukas Mühl per Eigentor, Thorgan Hazard und Denis Zakaria überwinden Christian Mathenia, übrigens der einzige noch verbliebene Profi aus jenen Tagen. Der neunte Sturz in die Zweitklassigkeit ist besiegelt. Als Rekordabsteiger.

"Das war Gänsehaut pur"

Dann erwacht das ausverkaufte Achteck plötzlich noch einmal zum Leben. Während die Gäste mit ihren Fans feiern, vereinen sich auf der Gegenseite Trauer, Trotz und Treue zu einer emotionalen Abschiedszeremonie. Da stehen die Gescheiterten vor der Nordkurve wie Schüler, die gerade sitzengeblieben sind, sie haben von den Ultras spendierte Shirts mit dem Schriftzug "Mission Wiederaufstieg" übergezogen und staunen ob der bedingungslosen Liebe, die ihnen da zuteil wird. "You’ll never walk alone!" schallt es von den Rängen, nicht nur bei Kapitän Hanno Behrens fließen Tränen. "Das war Gänsehaut pur", gesteht Abwehrchef Georg Margreitter, während Gladbachs Trainer seelischen Beistand leistet: "Meine tiefste Überzeugung ist, dass der Club in die Bundesliga gehört. Hoffentlich geht es so schnell wie möglich hoch." Eine Aufgabe, der sich Dieter Hecking längst selbst verschrieben hat. Uli Digmayer

Weihnachten wurde im Dezember 2019 vorverlegt: Es war ein wunderschöner Handball-Abend, damals in der Arena.

Weihnachten wurde im Dezember 2019 vorverlegt: Es war ein wunderschöner Handball-Abend, damals in der Arena. © Sportfoto Zink / OGo

HC Erlangen: Die Menschen, die gekommen waren, wollten einfach nicht mehr nach Hause gehen. Sie standen auf den Rängen der Arena, diese 8111 Menschen, die meisten von ihnen ganz in Schwarz gekleidet zum Mottospieltag, und klatschten einfach weiter. Sie klatschten, als die Mannschaft nach der dritten Ehrenrunde in die Kabine verschwunden war. Und sie klatschten später immer noch, ganz so, als ob dieses 34:29 gegen die Füchse Berlin auf diese Weise niemals zu Ende gehen würde.

Es war der 22. Dezember 2019, als der HC Erlangen erstmals überhaupt den Hauptstadtklub bezwang. Es war einer dieser besonderen Handball-Abende, an denen man immer das Gefühl hat, diese 8111 Menschen heben, wenn unten auf dem Feld die Kraft ausgeht, ihren HCE einfach auf die Schultern und tragen ihn über die Ziellinie. "Es gingen plötzlich Würfe rein, weil 8000 hinter dir stehen und ausflippen", verriet Nikolai Link, der Rückraumspieler, der aus einer Handballzeit stammt, in der Erlangen noch in der Hiersemannhalle an der Schillerstraße seine Heimspiele bestritt.

"Getragen von so viel Energie"

Sime Ivic, ein eher schüchterner Kroate, war an jenem Sonntagabend über sich hinausgewachsen. Man erinnert sich, wie er – gerade erst aus der weißrussischen Provinz zum HCE gewechselt – immer wieder ungläubig auf den Videowürfel blickte, auf die Ränge hinaufsah in diese Gesichter voller Glück, voller Begeisterung, und so ergriffen von all dem war, dass ihm, dem 25 Jahre alten Werfer mit Champions-League-Erfahrung, die Stimme brach. Ivic, mittlerweile nach Leipzig weitergezogen, war einer der Handball-Helden dieser Nacht, ja, er feierte mit diesem Publikum einfach zwei Tage früher Weihnachten: "Heute", sagte Ivic, "wurden wir getragen von so viel Energie, von so vielen Menschen, von so viel Begeisterung - das war unglaublich." Christoph Benesch

Eindrucksvoller Abschied: Im Dezember 2017 stieg am Kurt-Leucht-Weg die große Steven-Reinprecht-Show. 

Eindrucksvoller Abschied: Im Dezember 2017 stieg am Kurt-Leucht-Weg die große Steven-Reinprecht-Show.  © Sportfoto Zink / ThHa

Ice Tigers: Pfiffe sind toxisch. Pfiffe sind gesundheitsgefährdend, an diesem bemerkenswerten Freitagabend allerdings nicht, weil mit dem Hass auch Keime in der Arena verteilt werden. An diesem Abend im Dezember 2017 ist es einfach nur laut, ohrenbetäubend laut, jedes Mal, wenn Yasin Ehliz den Puck berührt. Ehliz kannte das schon. Acht Jahre war diese Eisfläche sein Arbeitsplatz, acht Jahre war er gefeiert worden für seine furchtlose Art Eishockey zu spielen. Acht Jahre hatten sie ihn hier geliebt. Aber weil nach seinem unglücklichen Ausflug in die beste Liga der Welt kein neuntes Jahr dazukommen wird, schlug die Liebe in Hass um. Und das selbst an einem so wundervollen Abend.

Liebe und Enttäuschung

Denn noch bevor Ehliz und sein neuer Arbeitgeber von den auf einer emotionalen Welle reitenden Ice Tigers überrollt wurden, standen Mette, Henning, Sarah und Steven Reinprecht auf einem roten Teppich auf dem Eis, hielten sich aneinander fest und sahen ergriffen dabei zu, wie ein Banner mit der Nummer 28 unter das Arena-Dach gezogen wurde. Und beinahe 8000 Menschen sahen ergriffen auf diese kanadische Familie, für die Nürnberg zur Heimat geworden war. An diesem Abend verabschiedeten sich die Ice Tigers und Steven Reinprecht voneinander, dieser liebenswert unperfekte Klub und dieser einmalige und einmalig freundliche und bescheidene Eishockeykünstler, der stets mit seinem Fahrrad zur Arena gefahren war. Reinprecht bedankte sich bei allen, auch bei Ehliz, der neben ihm durch die DEL gestürmt war, woraufhin tatsächlich auch gepfiffen wurde. Liebe und Enttäuschung, niemals waren sie sich beim Eishockey so nahe gekommen.

Nach dem Eishockey wurde gefeiert – mit Reinprecht auf dem Eis, ohne Abstand, ohne Scheu, inmitten seines Hausstands. Sebastian Böhm

Nicht die Apokalypse, sondern eine Nullnummer im 265. Frankenderby gab's im November 2019 im Ronhof zu bestaunen.

Nicht die Apokalypse, sondern eine Nullnummer im 265. Frankenderby gab's im November 2019 im Ronhof zu bestaunen. © Sportfoto Zink / Wolfgang Zink

SpVgg Greuther Fürth: Am 24. November 2019 fuhren zwei Ratten mit einem kleinen Boot durch Franken. Als sie in Fürth ankamen, da geriet das Schiff in Seenot und drohte zu kentern. Die "Bengerdsraddsn" gingen auf der großen bewegten Choreografie der Kleeblattfans schließlich unter – was den Fußballern des 1. FC Nürnberg auf dem Platz danach beim 0:0 nicht passierte. Das 265. Frankenderby ging nicht als das attraktivste in die Geschichte ein, spannend war es an einem kalten Nachmittag im ausverkauften Fürther Ronhof aber durchaus.

15.000 Menschen durften dabei sein, knapp 1500 Plätze mussten aus Sicherheitsgründen frei bleiben. Doch die äußeren Umstände und ein wenig inspirierendes Spiel auf dem Rasen führten zu einer seltsamen Atmosphäre – sowohl die Fürther als auch die Nürnberger Fans waren erstaunlich oft erstaunlich ruhig. Wer die oft spektakulären Spiele zwischen beiden Mannschaften in der Vergangenheit erlebt hatte, die vielen Geschichten, die jene "Derbyhelden" in Weiß-Grün und Rot-Schwarz schrieben, der wunderte sich dann doch über einen am Ende sehr unspektakulären Fußballtag.

Pandemie statt Apokalypse

Der hätte trotzdem fast mit einem Nürnberger Triumph geendet. Iuri Medeiros aber schoss kurz vor Schluss alleine vor Fürths Torhüter Sascha Burchert neben das Tor – und versäumte es somit, die Choreografie seiner Fans auch auf dem Platz fortzuschreiben. "Nürnberg ist Euer Untergang", war dort zu lesen, später noch: "Die Apokalypse ist nah."

Statt der Apokalypse kam ein paar Monate später die Pandemie, die für manchen Fußballklub beinahe zum Untergang wurde. Ausverkauft war der Ronhof seitdem immer mal wieder, zuletzt gegen den FC Bayern – allerdings nur mit den erlaubten 11.740 Zuschauern. Michael Fischer

Einen Feier-Abend erlebte Basketball-Nürnberg im April 2019 gegen Heidelberg.

Einen Feier-Abend erlebte Basketball-Nürnberg im April 2019 gegen Heidelberg. © Sportfoto Zink / Oliver Gold

Nürnberg Falcons: Eigentlich war dieses Zelt gar nicht dafür vorgesehen, Basketballspielen eine Heimat zu bieten. Hochzeiten sollten hier stattfinden, Firmen-Weihnachtsfeiern, Partys aller Art, aber kein Sport, der die Grenzen der dritten Dimension auslotet. Die Betreiber hatten dem Zelt sehr euphemistisch (oder einfach nur sehr clever) den Namen "Eventpalast" gegeben, erst am 29. April 2019 um 21.17 Uhr verstand man warum.

Die besten Basketballer Nürnbergs haben sich schon immer schwergetan, alle vorhandenen Sitzschalen zu füllen – egal, ob sie ihren schönen Sport gerade in einer maroden Turnhalle oder einer modernen Multifunktionsarena präsentieren. Auch in diesem improvisierten Palast in der hintersten Ecke des Albrecht-Dürer-Airports war das zunächst der Fall, nach ein paar Monaten Anlaufzeit durfte man dann aber erleben, wie großartig es sich ansehen, anfühlen und anhören kann, wenn in Nürnberg Basketball, Erfolg und Begeisterung zusammentreffen.

Lebendige Sportgeschichte

Am Ende dieses Abends, als sich auf dem Parkett goldenes Lametta und Bier vermischten, als Geschäftsführer und Trainer Ralph Junge von ihm bis dahin unbekannten Menschen auf Händen durch das Zelt getragen wurde, und als sich die Falcons vor (offiziell) 1500 Zuschauern durch einen 85:79-Sieg gegen Heidelberg den Aufstieg in die Bundesliga erkämpft hatten, war ein weiteres kleines Kapitel Sportgeschichte geschrieben worden – Sportgeschichte, die vor allem davon lebt, dass Menschen gemeinsam an einem Ort große Siege oder große Niederlagen erleben, ekstatische Freude oder tiefe Trauer.

Der Aufstieg wurde den Falcons später verwehrt, der kleine Hype bald von der Pandemie gefressen. Ausverkauft war seit diesem 29. April 2019 kein Spiel mehr. Sebastian Gloser

Verwandte Themen


2 Kommentare