Der 1. FC Nürnberg steckt tief in der Krise

25.8.2014, 05:59 Uhr
Der 1. FC Nürnberg steckt tief in der Krise

© Sportfoto Zink

Die Spieler des 1.FC Nürnberg bildeten einen Kreis, als alles vorbei war. Was man besprochen habe, wollte später jemand wissen, die Frage blieb natürlich unbeantwortet. Eindeutig war die Reaktion des Anhangs angesichts dieses Versuchs, Zusammenhalt zu demonstrieren: Das ohnehin schon laute Pfeifkonzert wurde noch lauter.

Wer glaubte, mit dem Abstieg aus der Bundesliga sei das Schlimmste überstanden, sieht sich jedenfalls vorerst einmal getäuscht. Drei Spiele sind absolviert in der zweiten Liga, das 0:1 (0:1) gegen des FSV Frankfurt war Nürnbergs zweite Niederlage, das Gefühl, der verzweifelte Abstiegskampf werde eine Etage tiefer einfach fortgesetzt, beschlich nicht nur passionierte Schwarzseher am Samstagnachmittag.

"Wenn wir die Fehler nicht abstellen, gewinnen wir kein einziges Spiel mehr", sagte Timo Gebhart nach dem Schlusspfiff. Was wie eine Bankrotterklärung klang, war gar nicht so gemeint, der Mittelfeldspieler versuchte sich wie die meisten Beteiligten daran, einen speziellen Spagat zu bewältigen.

Gutes Spiel, schlechtes Spiel?

"Ein gutes Spiel gemacht", sagte Gebhart nämlich auch, habe man gerade. Was wiederum wie ein Indiz für einen beginnenden Realitätsverlust anmutete, war auch nicht so gemeint, Gebhart wollte sagen: Man habe manches besser als zuletzt gemacht, aber trotzdem vieles schlecht; "geschockt, traurig, frustriert" nannte er seine Gemütslage, "aber ich werde jetzt trotzdem nicht sagen, was einige hören wollen" – nämlich, vermutete Gebhart wohl, dass alles zu spät und diese ganze Mannschaft bloß ein einziger Irrtum sei. So ähnlich stand es auch in der Datensammlung zum Spiel. Torschüsse, Eckbälle, Ballbesitz: Alle Statistiken wiesen Nürnberg als klaren Sieger aus – fast alle, nur die einzige, die wichtig ist, nicht, und trotzdem war es keine unverdiente Niederlage, weil die Frankfurter es auf einen derartigen Verlauf angelegt hatten und Nürnbergs Elf es in einem Spiel auf anstrengend niedrigem Niveau nicht verstand, in der ihr angebotenen Rolle nur annähernd wie eine gute Zweitligamannschaft auszusehen.

Ob das je gelingt, ist jetzt die Frage – keine ganz neue Frage, sie stellte sich angesichts des radikalen personellen Umbruchs schon, bevor der erste Ball rollte. Bloß die Hoffnung, ein einigermaßen glücklicher Saisonstart könne der Selbstfindungsgruppe behilflich sein, ist bereits enttäuscht, spätestens seit dem Samstag.

"Inhaltlich wenig Vorwürfe"

Man hätte "den Druck herausnehmen" und "das Publikum wieder auf unsere Seite ziehen" können, sagte Trainer Valerien Ismaël, nachdem es genau andersherum gekommen war. Der "momentan wichtigste Schritt", wie es sein Frankfurter Amtsbruder Benno Möhlmann formulierte, gelang dem mit zwei Niederlagen angereisten FSV; "Sinn und Zweck zu Beginn einer Saison", sagte Möhlmann auch, seien aufmunternde Resultate, "darüber kann man sich verbessern".

"Inhaltlich", wie es Ismael formulierte, könne er "der Mannschaft diesmal wenig Vorwürfe" machen, darüber kann man streiten, es ist auch eine Frage des Anspruchs ans Tempo des Neuaufbaus – nur äußern sich Wut und Enttäuschung stets vernehmlicher als ein inhaltliches Verständnis für nicht vollkommen überraschende Anlaufschwierigkeiten, und erschwerend kommt hinzu, dass man den Aufstieg vielleicht etwas zu voreilig und offensiv zum Sinn und Zweck der Spielzeit erklärte. Wie sich dann die emotionale Herangehensweise mit der inhaltlichen leidlich unvorteilhaft vermischt, sah man jetzt nicht zum ersten Mal.

Beim Versuch, eine gute Mannschaft zu werden, zeigen Nürnbergs Fußballer neben individuellen Schwächen jede Menge Hemmungen, mit jedem kleinen Fehler schrumpft das ohnehin nicht üppige Selbstvertrauen noch. Nach Javier Pinolas vergebenem Elfmeter und dem 0:1-Rückstand fehlten allem Bemühen Genauigkeit, Entschlossenheit und Überzeugung. Eine Frage der Erfahrung? Der Qualität? Nervensache?

Schwer zu sagen, sagte Benno Möhlmann später im kleinen Kreis. "Die Jungs beim Club sind talentiert, aber benötigen eben Zeit", überlegte der erfahrenste Zweitliga-Coach des Landes, der beim turnusmäßigen Neuaufbau in Fürth wiederholt kleine Meisterstücke zustandebrachte, "nur brauchst du dafür Zeit und Geduld, das hast du hier eher nicht." Und ein selbsternannter Aufstiegsaspirant, der am eigenen Anspruch zu verzweifeln beginnt, kann zum dankbaren Gegner werden. Sonderlich beeindruckt, sagte Möhlmann, seien auch vermeintlich kleinere Herausforderer nicht mehr, "wenn dann hier noch gut 25.000 Zuschauer im Stadion sind".

Das war die triste Kulisse am Samstag, der zum baldigen Wiederkommen nicht motivierte. Der sich anbahnende Liebesentzug trifft zwar eine Mannschaft, die für den Abstieg größtenteils nichts kann, aber die über Monate arg strapazierte Geduld des Publikums steht schon auf einem letzten Prüfstand – wer sich kein Vertrauen in einen Neuaufbau erspielt, muss mit Pfiffen leben; dass Unmutsäußerungen das Team zusätzlich erkennbar verunsichern, gehört zum Nürnberger Dilemma.

Inhaltlich braucht Ismaël in einer emotional zugespitzten Situation jetzt bessere Argumente, das weiß der Trainer, auch deshalb, sagt er, kämen mit Daniel Candeias (von Benfica Lissabon) und Ondrej Celustka (zuletzt AFC Sunderland) noch zwei Profis, die der Mannschaft mehr mentale Härte verleihen sollen. "Wir wissen, wo wir ansetzen, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen", verspricht Ismaël. Wann das Schlimmste überstanden ist, bleibt eine offene Frage.

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