Der 1. FC Nürnberg stellt die Vertrauensfrage

22.4.2014, 05:57 Uhr
Der 1. FC Nürnberg stellt die Vertrauensfrage

© Sportfoto Zink

Die Frage ging, nach dem 4:1 von Bayer Leverkusen über den 1.FC Nürnberg am Ostersonntag im Frankenstadion, an Sascha Lewandowski. Warum denn, so lautete die Frage, auf einmal alles so gut funktioniere, seit Lewandowski wieder der Bayer-Trainer ist. Warum es mit Sami Hyypiä, seinem in der Hinrunde noch erfolgreichen und stets respektierten Vorgänger, nicht mehr funktioniert habe. Sascha Lewandowski seufzte. „Das ist schwierig ...“, sagte er und machte eine lange Pause. „Was die Mannschaft jetzt macht, macht sie gut“, sagte er dann. Und, dass er eigentlich nicht mehr dazu sagen wolle.

Bayer Leverkusen hat, kurz vor dem Ende der Saison, den Trainer gewechselt, Rudi Völler, dem Sportdirektor des Werksklubs, war das ein wenig peinlich. Er schätzt Hyypiä sehr, der Finne ist eine Ikone, aber die Qualifikation zur Champions League war akut gefährdet, und dann, sagte Völler, muss man etwas versuchen im Fußball, leider.

Neben Sascha Lewandowski saß am Ostersonntag Gertjan Verbeek, er hörte dem Kollegen aufmerksam zu. Was er dachte, weiß man nicht. Verbeek hat vieles versucht in Nürnberg, er hat seiner Mannschaft einen neuen, zunächst sehr erfolgreichen Stil beigebracht, Nürnbergs Vorträge begeisterten die gesamte Liga. Seit Hans Meyer hatte der 1.FC Nürnberg keinen so interessanten Trainer mehr wie den 51 Jahre alten Niederländer, die Fachwelt applaudierte; der neue, schwungvolle Club war ein Medienereignis, wie es Nürnberg seit dem Pokalsieg 2007 nicht mehr war. Ein grauer Club in leuchtendem Oranje. Zum Auftakt der Rückrunde gewann Verbeeks schon zum Ende der sieglosen Hinrunde spielerisch überzeugende Elf vier der ersten fünf Spiele.

Am Ostersonntag war der Club wieder grau. Was objektiv passiert ist, ist bekannt: Seit Januar plagt den 1.FC Nürnberg eine absurde Misere mit Verletzungen wichtiger Spieler, beim 1:4 gegen Bayer fehlten wieder sieben Stammkräfte. Weniger als sechs prominente Absenzen waren es nie in den vergangenen Wochen, in denen nur noch ein einziger Sieg gelang – bei acht Niederlagen. Akut gefährdet ist Nürnbergs Verbleib in der Bundesliga, und natürlich stellen sich jetzt fast alle Beteiligten die Frage, was passieren muss – noch ist der Klassenverbleib möglich.

Bader: "Was tun wir?"

„Wenn alle Spieler gesund wären, würden wir über Qualität nicht reden“, sagt Martin Bader, der Sportvorstand des 1.FC Nürnberg, der Gertjan Verbeek sehr schätzt und nicht die geringsten Zweifel an den fachlichen Qualitäten des Fußballlehrers hegt, im Gegenteil. Dass die Mannschaft durch die zahlreichen wiederholten Ausfälle massiv an Qualität eingebüßt hat, sei aber leider nicht zu ändern, sagt Bader auch, man müsse sich jetzt „den Gegebenheiten anpassen“ – das ist der besondere Auftrag für den Trainer. Für Gertjan Verbeek.

Oder zunächst für Gertjan Verbeek. „Wie fühlt die Mannschaft sich am sichersten“, das, sagt Bader, sei die Kernfrage, das müsse „in den nächsten Tagen erarbeitet werden“ – gemeinsam von Mannschaft und Trainer, moderiert vom Sportvorstand, alle miteinander müssten es jetzt herausfinden: „Was tun wir?“ Gehen die Meinungen zu weit auseinander, könnte die noch kurze, vielversprechende, wiederholt von unglücklichen Zufalls-Launen geprägte und momentan triste Ära Verbeek zu Ende gehen – und zwar schon vor dem Spiel in Mainz am kommenden Samstag. Das sagt Bader nicht so, nur: „Wir haben zu oft verloren, wir haben nicht mehr viel Zeit, aber wir müssen alles tun, um unsere Chance auf den Klassenverbleib zu nutzen.“

Was Gertjan Verbeek über seine Mannschaft sagt, weiß man. Er hat nie, selbst nach einigen Enttäuschungen nicht, auch nur ein schlechtes Wort geäußert, er ist gewillt, seinen Spielern zu vertrauen – das ist eine der Grundlagen seiner Arbeit. Dass es umgekehrt genauso ist, darf man momentan bezweifeln. Dass die Mannschaft unsicher wirkt, ist unübersehbar, natürlich hat das viele Ursachen, natürlich passiert so etwas nicht selten im Profifußball, und natürlich wäre es fatal, die Personalie des Cheftrainers von jeder kleinen Stimmungsschwankung im Team abhängig zu machen.

Nur: „Der Trainer kann etwas wollen, der Verein kann etwas wollen – aber wenn die Spieler anderer Meinung sind, wird es schwierig.“ Das sagte, kurz nach seinem Amtsantritt, Verbeek selbst. Er fördert das: Eigenverantwortung, selbständiges Denken – alles deutet darauf hin, dass Verbeek dabei momentan an Grenzen stößt. Dieselben Profis, die noch vor vier Wochen schwärmten von der gemeinsamen Spielidee, sagen jetzt: nichts. Auffällig nichts.

Jedenfalls öffentlich nicht. Intern wird über den Cheftrainer debattiert, es gibt Fußballer, die Verbeeks Ideen nicht mehr verstehen, andere halten sie für mit dem verbliebenen Personal für nicht umsetzbar – für zu anspruchsvoll und deshalb zu riskant; der gestalterische Ansatz Verbeeks, der beinahe wie ein Erweckungserlebnis auf die Elf wirkte, greift wenigstens im Moment nicht mehr.

„Viele Spieler machen sich ernsthafte Gedanken und Sorgen um den Verein“, sagt Martin Bader, natürlich tut Gertjan Verbeek das auch – jeden Tag, von früh bis spät, sein Arbeitspensum war und ist beeindruckend, er lebt diesen Club; „ich will“, hat er jüngst nur halb im Spaß gesagt, „nicht gefeuert werden“. „Nicht zerfasern“, sagt Bader, dürften diese Anstrengungen, „Trainer und Mannschaft müssen ein gemeinsames Ziel haben und einen gemeinsamen Weg dahin finden“, es dürfe „nicht zu viel Luft dazwischen geraten“.

Gertjan Verbeek ist ein offener, kommunikativer Mensch, er werde, sagt Bader, auf die Mannschaft zugehen. Im Raum steht: nicht weniger als die Vertrauensfrage, deren Antwort die Autorität des Cheftrainers nicht beschädigen darf. Es wird ein Balanceakt werden, aber, sagt Bader, „wir können jetzt, da wir in den Keller gerauscht sind, ja nicht einfach weitermachen wie bisher“. Man muss etwas versuchen im Fußball. So oder so.

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