Der lange Anlauf zum fränkischen Bundesliga-Derby

22.8.2012, 19:00 Uhr
Der lange Anlauf zum fränkischen Bundesliga-Derby

© Schmidtpeter/Fengler

Deutschland brauchte lange im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn, erst 1871 war die verspätete Nation geboren, und wenn es stimmen sollte, dass sich im Fußball ein wenig auch das Land und die Mentalität seiner Bewohner widerspiegeln, dann wäre die Geschichte der Bundesliga ein schönes Beispiel dafür. Als der Sport, etwa ein Vierteljahrhundert nach der Reichsgründung, von England aus seinen Siegeszug durch Europa antrat, fasste man die Bewegung in die deutsche Kleinstaaterei. Selbst die ersten Nationalmannschaften wurden noch nach regionalem Proporz aufgestellt, der Ligenbetrieb blieb ein Flickenteppich, wie es das Römische Reich Deutscher Nation war. Dem hing man heimlich doch nach – das Ende der Freien Reichsstadt betrauert manch Nürnberger ja noch heute, mehr als zweihundert Jahre später.



Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der zunächst als undeutsch und wenig zivilisiert sogar mitunter heftig bekämpfte Fußball zum Massenphänomen, und schon nach dem Ersten Weltkrieg planten frühe Pioniere eine nationale Liga nach englischem Vorbild. In Spanien und Italien gelang es, auch in Österreich und Polen, bald spielten führende Nationen erste Vorläufer von Europapokalwettbewerben aus. In Deutschland siegte die Kleinstaaterei. Eine nationale Liga, womöglich eine professionelle? Der hehre Amateurgedanke und die romantische Neigung zum Provinzialismus siegten, die Pläne verschwanden in der Schublade.



Es ist alles hypothetisch, aber wäre es anders gekommen, hätten der 1.FC Nürnberg und die Spielvereinigung Fürth die großen Attraktionen einer deutschen Liga, wie sie vielleicht geheißen hätte, sein können. Vor achtundneunzig Jahren holten die Fürther die erste deutsche Meisterschaft nach Franken, das vom Wittelsbacher Ludwig III., dem letzten bayerischen König, regiert wurde; aus dem Marktflecken Fürth war damals, auch dank des hohen jüdischen Bevölkerungsanteils, eine blühende Handelsmetropole geworden, deren Fußballverein, das Kleeblatt, der mitgliederstärkste Klub Deutschlands war, der Ronhof war das modernste Stadion im Reich.

55 erste Ligen im Land

Die Rivalität spornte den Nachbarn an, der 1.FC Nürnberg überflügelte die Fürther bald, und den Fußball der jungen Republik prägten in den zwanziger Jahren die beiden ungleichen fränkischen Nachbarstädte – ihre Begegnungen prägten hierzulande erst den Begriff des Derbys, es ist die älteste Rivalität im deutschen Fußballs. Aber noch immer spielte man in Zwergenligen; lediglich im Sommer, zu den Endrunden um die Meisterschaften, ging es hinaus aus dem Frankenland. Die Mehrheit selbst der Fußballfreunde kannte die sagenhaften Qualitäten dieser Fußballer aus Nürnberg und Fürth eher vom Hörensagen – es gab ja kein Fernsehen; die erste richtige deutsche Fußballberühmtheit wurde Nürnbergs Torwart Heiner Stuhlfauth erst 1929, weil damals zum ersten Mal ein Länderspiel live im Radio zu verfolgen war. Der Mann am Mikrofon überschlug sich vor Begeisterung; Stuhlfauth muss beim 2:1-Sieg in Turin gegen Italien Meisterhaftes vollbracht haben.



Der junge Henry Kissinger war damals ein glühender Fußballfan, sein Herz schlug für die Spielvereinigung Fürth, er war sechs Jahre alt, als das Kleeblatt 1929 seinen dritten Meistertitel gewann. Fürth spielte, wie der Nürnberger Club, in der Bezirksliga Nordbayern, gemeinsam mit dem ASV Nürnberg und dem VfR Fürth – es war eine von 55 höchsten Ligen im Land. Der Weg in die nationale Endrunde erfolgte über Regionalmeisterschaften, aber der Vorstoß von Felix Linnemann, dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, endlich eine Reichsliga zu gründen, lief 1932 ins Leere, die Regionalverbände fürchteten um ihre Pfründe.

Erst der braune Terrorstaat gliederte den Betrieb neu – zunächst in 16 Gauligen, zu denen sechs weitere hinzukamen, die Gauligen Sudetenland und Ostmark, schließlich Elsass, Danzig-Westpreußen, Wartheland, Generalgouvernement (das besetzte Polen) und Böhmen-Mähren; ein Spiegelbild von Größenwahn und Kriegsverlauf. Noch als das Land schon in Trümmern lag, spielten der 1.FC Nürnberg und die Spielvereinigung Fürth miteinander Fußball, 1944 in der Staffel Mittelfranken der längst zergliederten Gauliga Bayern – im letzten Kriegsherbst wurde der Spielbetrieb eingestellt, wenig später legten die Bomber der Royal Air Force das alte Nürnberg in Schutt und Asche.



Es ist so befremdlich wie berührend, wenn Zeitzeugen vom Herbst des Jahres 1945 erzählen — davon, wie der Fußball die Menschen trösten und sogar glücklich machen konnte. Sie spielten wieder. Der Gedanke an eine nationale Liga war, ob des Zustands des Landes, sofort verworfen worden; es gründeten sich fünf Oberligen, erstmals 1948 sollten deren Sieger (sowie eigentlich die SG Planitz aus Zwickau für die sowjetische Besatzungszone) wieder einen deutschen Meister ermitteln.

Nürnberg, Meister der Oberliga Süd, gewann das Viertelfinale kampflos, den Fußballern aus Planitz war von den Sowjets die Reiseerlaubnis zum Spielort nach Stuttgart verweigert worden. Vier Wochen später war der Club deutscher Meister: Aus der Stadt wurde noch der Kriegsschutt gefahren, als hunderttausend Menschen die Fußballer, im Finale von Köln Sieger über Kaiserslautern, am Bahnhof empfingen.

Morlock und der Wundersturm

Die Oberliga bescherte Fürth und Nürnberg noch einmal eine kleine Blüte. Max Morlock wurde einer der populärsten Spieler im Land, wie der Fürther Karl Mai gehörte er zu den Helden von Bern, den deutschen Weltmeistern von 1954. Der Fürther Wundersturm wurde zum feststehenden Begriff: Nöthe-Appis-Schade-Brenzke-Hoffmann. Im Jahr 1950 gewann Fürth zum ersten und einzigen Mal die Oberliga-Meisterschaft, 1953 gelang mit Rang drei zum letzten Mal ein Spitzenplatz – es ist ein wenig ein historisches Datum, weil das Kleeblatt seither nie wieder in einer Liga-Abschlusstabelle vor dem Nürnberger Rivalen stand. Erstklassig traf man sich zum bisher letzten Mal zehn Jahre später, am 3. Februar 1963 im Ronhof, wo der Club mit 5:3 gewann.

Ob man sich wiedersehen würde, war ungewiss. Am 28. Juli 1962 in Dortmund hatten – aus Sorge um die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Fußballs – die Delegierten der Landesverbände ihren Segen für eine nationale Liga mit 16 Vereinen gegeben; fast ein halbes Jahrhundert nach den ersten Vorstößen war die verspätete Spielklasse gegründet. Für das Fürther Kleeblatt markiert die Bundesliga, in die es keine Aufnahme fand, den Beginn eines langen, tiefen Abstiegs bis hinunter in die viertklassige Landesliga Mitte; für den 1.FC Nürnberg, der 1968 als Bundesliga-Meister seinen letzten Höhenflug erlebte, erwies sie sich bald als eine Nummer zu groß. Der Club stieg 1969 ab und war in jenem Jahrzehnt, als auch der deutsche Fußball die entscheidenden Schritte in die Professionalisierung tat, zweitklassig.

Die Nachbarn trafen sich fortan hin und wieder in der zweiten Liga, einmal, 1996/97, sogar in der dritten, der Regionalliga Süd, und während Nürnberg ansonsten zwischen Erst- und Zweitklassigkeit pendelte, scheiterte das als Spielvereinigung Greuther Fürth in den Profifußball zurückgekehrte Kleeblatt mehr als ein Jahrzehnt lang und oft genug knapp an der Rückkehr nach ganz oben. Lange trauerte man der alten Oberliga Süd noch nach.

Jetzt beginnt die Bundesliga-Jubiläumssaison, die fünfzigste Spielzeit – und nach fast einem halben Jahrhundert findet das älteste deutsche Fußball-Derby, das zwischen dem 1.FC Nürnberg und der Spielvereinigung (Greuther) Fürth, das 1920 das Endspiel um die deutsche Meisterschaft war, wieder erstklassig statt. Der 1.FC Nürnberg ist seit Beginn des neuen Jahrhunderts auf dem Weg, sich endlich im Oberhaus zu etablieren – der DFB-Pokalsieg 2007, der erste Titel seit neununddreißig Jahren, könnte eines Tages für den Beginn einer neuen Ära stehen. Der Fürther Aufstieg: ein Halbjahrhundertereignis im Wortsinn; und Henry Kissinger, dessen Familie 1938 vor den Nazi-Bluthunden aus dem geliebten Fürth fließen musste, will es sich ansehen: das Kleeblatt in der Bundesliga.

Der frühere US-Außenminister musste 89 Jahre alt werden dafür. Und es ist auch ein wenig berührend, dass man selbst nach so langen Zeitreisen durch die Geschichte dieses Spiels immer wieder an besondere Wegmarken stößt.
 

Verwandte Themen


7 Kommentare