FCN-Aufsichtsrat Pagenburg: "Wollte nicht mit 40 im Rollstuhl sitzen"

4.11.2020, 05:42 Uhr
Der größte Moment einer zu kurzen Karriere: Mit Tomas Galasek und Andreas Wolf durfte Chhunly Pagenburg (v. l.) 2007 in Berlin den Pokalsieg feiern.

© Sportfoto Zink / WoZi Der größte Moment einer zu kurzen Karriere: Mit Tomas Galasek und Andreas Wolf durfte Chhunly Pagenburg (v. l.) 2007 in Berlin den Pokalsieg feiern.

Die konstituierende Sitzung am vergangenen Dienstag war Ihre Premiere als frischgebackener Aufsichtsrat. Wie ist es denn so, als Jüngster in dieses Gremium zu kommen? Muss man da den älteren Kollegen die Aktenkoffer tragen?

Chhunly Pagenburg (lacht): Ich bin ja gar nicht der Jüngste. Tatsächlich haben das viele gedacht, aber der Max Müller ist 1987 geboren und damit noch ein Jahr jünger. Generell wurde ich sehr nett aufgenommen, alle waren sehr freundlich. Es gab eine kleine Vorstellungsrunde, das gegenseitige Kennenlernen wird man dann sicher bei den Spielen noch vertiefen.

Was war es denn für ein Gefühl, als Sie während der virtuellen Mitgliederversammlung zu Hause vor dem Bildschirm saßen und dann die Wahlergebnisse verkündet wurden? Ungefähr so schön wie einst das Tor zum 4:0 im Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt?

Pagenburg: Ich muss ehrlich sagen, dieses 4:0 gegen Frankfurt, das würde ich für nichts eintauschen wollen. Kurz zuvor hatte ich ja auch in der Liga gegen Aachen mein erstes Tor erzielt, das war schon eine aufregende Woche. Bei der Mitgliederversammlung waren ein paar Freunde da und wir haben uns einen netten Abend – oder besser eine nette Nacht – gemacht. Nebenbei haben wir euren Live-Ticker bei nordbayern.de gelesen, der übrigens sehr amüsant war. Wir hatten den Laptop am Fernseher angeschlossen. Als plötzlich die Ergebnisse eingeblendet wurden, hat man die Liste erst mal mit den Augen sortiert. Und dann sind alle in Jubel ausgebrochen.

Sie haben mit Martin Driller und Marc Oechler zwei auch nicht ganz unbekannte Nürnberger Ex-Profis hinter sich gelassen. Waren Sie überrascht?

Pagenburg: Mit meiner Wahl gerechnet habe ich nicht, es gab ja auch extrem viele andere gute Bewerber. Es freut mich natürlich, dass ich mich durchsetzen konnte und das Vertrauen der Mitglieder bekommen habe. Aber es hätte auch anders ausgehen können, Martin etwa lag ja nur zwölf Stimmen hinter mir.

Am 20. Oktober wurde Pagenburg beim Club in den Aufsichtsrat gewählt.

Am 20. Oktober wurde Pagenburg beim Club in den Aufsichtsrat gewählt.

War er sauer?

Pagenburg: Nein, wir kennen uns ja alle gut. Martin sehe ich öfter irgendwo beim Kicken. Und Marc war im Pokalsiegerjahr im Aufsichtsrat. Als Nürnberger läuft man sich natürlich immer wieder über den Weg. Martin hat mir telefonisch gratuliert, und ich habe ihn ermutigt, sich nächstes Jahr nochmal zur Wahl zu stellen. Sportliche Expertise im Rat ist nur zu begrüßen.

Bei Ihrem dreiminütigen Bewerbungsvideo haben Sie etwas nervös gewirkt. Hätten Sie lieber vor einem leibhaftigen Publikum gesprochen?

Pagenburg: Das war schon Neuland für mich. Es fällt mir auf jeden Fall leichter, wenn ich mit den Leuten interagieren und Augenkontakt aufbauen kann. Es war mir auch wichtig, dass ich frei spreche, und ich wollte das Fränkische ein bisschen rausnehmen. Ich hatte meine Rede in drei Blöcke unterteilt und bewusst Pausen eingebaut, weil ich doch relativ schnell spreche. Dann ist man am Valznerweiher in diesem dunklen Presseraum, plötzlich gehen die Scheinwerfer an, und es heißt: Auf geht’s, drei Versuche. Den ersten habe ich gleich versemmelt, dann war ich etwas nervös. Man muss ja auch schauen, dass man seine Punkte gut rüberbringt. Mimik, Gestik, alles soll passen. Seitdem bewundere ich Nachrichtensprecher.

Sie sind jetzt 33, also in einem Alter, in dem man auch noch als Profi auf dem Platz stehen könnte. Wollen Sie mit dem Job im Aufsichtsrat diese Sehnsucht vielleicht etwas kompensieren?

Pagenburg: Ich musste wegen zwei schwerwiegender Verletzungen die Karriere beenden, sonst würde ich wahrscheinlich jetzt noch irgendwo kicken. Der Sprung ins echte Leben – oder ins neue Berufsleben – ist mir dann ganz gut geglückt. Ich bin in Nürnberg aufgewachsen und mit sieben Jahren als kleiner Junge zum Club gekommen. Der Verein liegt mir sehr am Herzen, jeder weiß, welches Potenzial in ihm steckt. Allein diese vier Wochen vom Pokal-Halbfinale bis zum Finale – was da in dieser Stadt los war. Du wurdest als Spieler auf Händen getragen, alle waren eine große Einheit. Ich glaube, dass ich dem Verein viel zu verdanken habe. Und beruflich passt und läuft bei mir alles, so dass ich jetzt auch dem Club Zeit widmen kann. Ich möchte Themen vorantreiben, bei denen meine Expertise dem Gremium nicht so schlecht zu Gesicht stehen würde. Das NLZ liegt mir sehr am Herzen, ich habe es selbst durchlaufen und würde es begrüßen, wenn mehr Talente nach oben kämen. Mit Enni (Enrico Valentini, Anm. d. Red.) etwa habe ich seit der F-Jugend zusammengespielt. Aus der Immobilienbranche weiß ich aber auch, dass man Entscheidungen treffen muss – und zwar langfristige.

Braucht ein Aufsichtsrat als reines Kontrollgremium überhaupt sportliche Kompetenz? Der Vorsitzende Thomas Grethlein hat bei der Mitgliederversammlung ja betont: Wir stellen nicht die Mannschaft auf.

Pagenburg: Das stimmt, mit dem operativen Geschäft haben wir nichts zu tun. Aber es schadet sicher nicht, wenn man gewisse Dinge anders bewerten kann. Durch meine Zeit als Profi und auch in der Jugend-Nationalmannschaft bin ich gut vernetzt, ich schaue mir immer noch sehr viele Fußballspiele an und kann schon beurteilen, wer wo gute Arbeit leistet.

Sie mussten Ihre Karriere bereits mit 26 Jahren beenden. Wie lange hat es gedauert, bis Sie auch mental diesen Sprung vom Fußballprofi zum Geschäftsmann geschafft haben?

Pagenburg: Ich habe mich in Erfurt das erste Mal schwer verletzt und war ein Jahr komplett raus, ohne zu wissen, was ich eigentlich habe. Es war wirklich eine Tortur, ein Marathon von Arzt zu Arzt. Und das Geschäft ist brutal. Da heißt es dann: Du hast nicht gespielt, du bist verletzt, jetzt schau, dass du einen neuen Verein findest. In der Regionalliga habe ich für Trier nochmal viele Tore gemacht, und es ging weiter zum FSV Frankfurt, allerdings schon mit einem Knorpelschaden vierten Grades. Unter Trainer Benno Möhlmann lief es anfangs ganz gut. Als dann aber wieder Probleme mit dem Rücken auftraten, habe ich in der Reha den Entschluss gefasst, aufzuhören. Ich habe das mit meinen Eltern besprochen und den Schritt forciert. Der ganze Prozess, bis tatsächlich die Berufsunfähigkeit durchgegangen ist, dauerte rund ein Jahr. Klar war es schwierig. Aber ich hatte so extreme Schmerzen und bin ohne Tabletten kaum mehr aus dem Bett gekommen. Da muss man sich dann eben auch ehrlich eingestehen: Es macht keinen Sinn, sich jetzt nochmal durchzubeißen und dann mit 40 vielleicht im Rollstuhl zu sitzen. Dann lieber die Karriere beenden, im jungen Alter nach vorne schauen und was anderes machen.

Hadern Sie manchmal damit, wie Ihre Karriere verlaufen ist? Wäre vielleicht mehr drin gewesen?

Pagenburg: Grundsätzlich hege ich keinen Groll. Vielleicht habe ich im jugendlichen Leichtsinn ein, zwei falsche Entscheidungen getroffen, vielleicht hätte ich damals nicht zu Sechzig gehen dürfen. Andererseits bin ich DFB-Pokalsieger geworden, habe im UEFA-Cup gespielt und in der Jugend-Nationalmannschaft an der Seite von Manuel Neuer oder Kevin-Prince Boateng gekickt. Deren Karrieren sind natürlich etwas anders verlaufen. Ja, vielleicht wäre auch bei mir ein bisschen mehr drin gewesen. Aber wenn der Körper nicht will, dann muss man das akzeptieren. Ich wurde von der Familie und Freunden so gut aufgefangen, dass es sofort weiterging. In der Reha-Phase habe ich den Nürnberger Immobilienmarkt intensiv kennengelernt und mir jeden Tag Wohnungen angeschaut. Learning by doing sozusagen. Ich habe dann begonnen, ein paar Immobilien zu kaufen, irgendwann wurde das ganze größer. Deshalb gab es eigentlich gar keine große Verschnaufpause oder Zeit zum Nachdenken.

Warum ist es nach Ihrem guten Start damals beim Club eigentlich nicht weitergegangen? Haben es Eigengewächse generell schwerer?

Pagenburg: Da ist schon was dran. Ich bin in meinem zweiten Jahr im Herrenbereich Pokalsieger geworden und hatte auch ganz gute Einsätze. Mit dem Pokalsieg ist dann nochmal viel Geld in die Kassen geflossen, 2007/08 hatten wir wirklich eine Bombenmannschaft. Da war klar, dass es für mich etwas schwieriger wird. Trainer Hans Meyer meinte damals aber, dass ich eine gute Vorbereitung gespielt hätte und der erste Ansprechpartner auf den Außenpositionen bin. Das war für mich als junger Spieler absolut in Ordnung. Aber leider konnte sich Meyer nicht um jeden Spieler kümmern, der hatte vor allem seine ersten 13 im Blick. Und sein Co-Trainer hat dann eben jemand anders bevorzugt. Ich war unzufrieden und als 21-jähriger wohl auch etwas dickköpfig und habe im Winter einen Wechsel forciert. Mir lagen drei Angebote vor. Fürth wollte und konnte ich als Nürnberger nicht machen. Freiburg wäre es rückblickend betrachtet vielleicht gewesen, Trainer Robin Dutt hatte sich sehr um mich bemüht. Ich bin dann nach München, wo ich aus Nürnberg schon Torhüter Philipp Tschauner kannte. Vielleicht war es ein Fehler, dass ich auf den Manager Stefan Reuter gehört habe, der mich unbedingt holen wollte und nicht auf den Trainer. Marco Kurz war nämlich nicht so angetan von mir.

"Für Zahlen habe ich mich schon immer interessiert"

Bereuen Sie, dass Sie damals zu Gunsten des Fußballs Ihre Banklehre abgebrochen haben?

Pagenburg: Auf jeden Fall. Ich hatte der Sparkasse Nürnberg mehrere Optionen vorgeschlagen, wie man Ausbildung und Fußball unter einen Hut bringen könnte. Die wollten das aber nicht. Und wenn man als 18-Jähriger die Chance hat, Profi zu werden. . . In den Vereinen wurde damals auch noch nicht so darauf geachtet, dass junge Spieler Schule oder Ausbildung abschließen. Ich konnte aus meiner Lehre trotzdem viel mitnehmen. Für Zahlen habe ich mich schon immer interessiert.

Sie sind nach Marek Mintal, Tomas Galasek und Andreas Wolf der nächste Pokalsieger, der in irgendeiner Funktion zum Club zurückkehrt. Eigentlich könntet ihr einen Stammtisch aufmachen.

Pagenburg: Stimmt. Wolfi habe ich vorher schon regelmäßig gesehen, wir haben einen Freundeskreis auch außerhalb des Fußballs und gehen öfter essen. Mit Thomas Paulus etwa habe ich auch noch Kontakt. Wenn dann noch Dominik Reinhardt oder Stefan Kießling dazukommen, wird das immer sehr nett.

Und Hans Meyer?

Pagenburg: Dem läuft man in Nürnberg natürlich auch immer wieder über den Weg. Als ich mit Freunden in einem Restaurant war, ist er an unseren Tisch gekommen und hat ganz stolz erzählt, dass ich sein Spieler war. Dabei haben das alle natürlich längst gewusst.

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