Neuzugang Jessica Campbell

Warum Tom Rowe die Ice Tigers einer Trainerin überlassen hat

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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29.3.2022, 15:54 Uhr
Der beste Platz in der Arena: Jessica Campbell versucht, Lukas Ribarik ein bisschen besser zu machen. 

© Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa Der beste Platz in der Arena: Jessica Campbell versucht, Lukas Ribarik ein bisschen besser zu machen. 

„Und ich erzähle Euch was: Nach dem ersten Drittel ist Patrick Reimer zu ihr gegangen und hat sie gefragt, hey, Jessica, wie hast Du das Power-Play gesehen? Das sagt doch alles aus, was man zu ihr wissen muss.“

Mit diesen Sätzen hat Tom Rowe am Montagabend einen leidenschaftlichen Vortrag beendet. Sechs Minuten lang hat er erzählt, wie es dazu kam, dass im Rücken der Ice Tigers diesmal nicht nur er und Manuel Kofler standen oder einer der gerade verletzten Spieler, die er gerne mit hinter die Bande nimmt, sondern eben auch Jessica Campbell. Rowe hatte also zunächst von langen Telefonaten erzählt, von „unglaublichen Gesprächen“ über Systeme und Spielsituationen, vom Glück, dass ihm Sportdirektor Stefan Ustorf erst vor einer Woche vorgeschlagen hatte, die 29 Jahre alte Kanadierin nach Nürnberg zu holen, zunächst einmal nur für ein paar Tage. Und dabei hat der 36 Jahre ältere US-Amerikaner gelächelt.

Kreativer, schneller, erfolgreicher

Im Oktober hatte Ustorf einen Trainer für die Ice Tigers Nürnberg verpflichtet, der bereits in Texas, Jaroslawl, Florida und Linz gearbeitet hatte, der Erfolg feierte und aufgrund von Erfolglosigkeit gefeuert wurde, dem vor allem aber der Ruf vorauseilte, hart zu sein, konservativ, alte Eishockey-Schule eben. Am Montag hat dieser Tom Rowe Jessica Campbell dabei zugesehen, wie sie seine Mannschaft hat einzelne Übungen durchführen lassen, er hat ihre Art der Ansprache goutiert und ihr dann den Textmarker in die Hand gedrückt. Und so kam es, dass Jessica Campbell der Nürnberger Profimannschaft ein paar Stunden vor dem Spiel gegen Iserlohn, knapp eine Woche vor Beginn der Playoffs beigebracht hat, wie sie in der Offensive kreativer spielt, wie sie effektiver Schlittschuh laufen kann und im besten Fall mehr Tore schießt.

Ein Glücksfall, offenbar für alle: Vor dem Spiel hatten sich Manuel Kofler, Tom Rowe und Jessica Campbell (von links) stundenlang unterhalten - natürlich über Eishockey. 

Ein Glücksfall, offenbar für alle: Vor dem Spiel hatten sich Manuel Kofler, Tom Rowe und Jessica Campbell (von links) stundenlang unterhalten - natürlich über Eishockey.  © Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / ThHa

Dass es am Abend genau so kam, mag auch am Gegner gelegen haben. Beim 6:2 der Ice Tigers hinterließen die Iserlohn Roosters nicht den Eindruck einer Mannschaft, die sich mit letztem Einsatz der eher theoretischen Gefahr widersetzt, doch noch in die DEL2 absteigen zu müssen. Und weil zumindest der einstige Nürnberger Trainer Kurt Kleinendorst Kampfgeist vermittelte und den einstigen Nürnberger Torhüter Andreas Jenike vom Eis nahmen, kamen zudem Daniel Schmölz und Tim Fleischer zu vergleichsweise leichten Treffern. Rowe aber hatte zuvor schon zufrieden beobachtet, wie erfahrene Profis im Ernstfall Campbells Verbesserungsvorschläge adaptiert hatten.

Kerl? Frau? Egal!

Campbell hat es als Spielerin in eine der besten Nationalmannschaften der Welt geschafft, mit Kanada wurde sie Vizeweltmeisterin. Bei der in ihrem Heimatland sehr populären Fernsehshow „Battle of the Blades“ ("Let`s dance" auf Schlittschuhen) belegte sie den zweiten Rang. Sie arbeitet als selbstständiger Power-Skating-Coach mit NHL-Profis und für die USHL-Mannschaft Chicago Steel. Darüber redete Rowe aber nur nebenbei, dass Campbell nach der Ingolstädter Fitnesstrainerin Maritta Becker die erste Frau im Trainerstab eines DEL-Klubs ist, erwähnte er gar nicht.

„Es ist mir völlig egal, ob das ein Kerl oder eine Frau ist“, stellte Rowe fest. „Deshalb habe ich sie auch gefragt, ob sie während des Spiel an der Bande stehen will. Der beste Platz in der Arena! Ich mag es einfach, neue Dinge auszuprobieren. Und ich bin mir dabei nicht mehr sicher, ob ich überhaupt noch ein Ego habe. Ich will gute Leute um mich herum haben, weil dadurch meine Spieler und ich besser aussehen.“

Wiedersehen im Sommer?

Noch auf der Bank hat er deshalb nach dem Sieg zu ihr gesagt, dass er sie nicht wird gehen lassen können. Doch war das so nicht vereinbart. „Jessica hat eine große Zukunft“, aber erst einmal nicht in Nürnberg. Am Mittwoch (19.30 Uhr) in München wird sie den Ice Tigers noch einmal helfen. Dann kehrt sie zu ihren eigentlichen Jobs in Nordamerika zurück. Im Sommer soll es ein Wiedersehen in Nürnberg geben.

Aber, noch einmal ganz ehrlich: Tom Rowes Spieler haben sich wirklich nicht anders verhalten? "Diese Jungs sind allem völlig offen gegenüber, so lange es sie besser macht. Aber, ja, sie haben weniger geflucht als sonst. Ich auch, fast den ganzen Tag. Erst im Spiel konnte ich mich dann nicht mehr ganz zurückhalten."

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