Kiezklub verlässt Komfortzone: Club-Gegner Pauli im Check

4.10.2019, 05:55 Uhr
Kiezklub verlässt Komfortzone: Club-Gegner Pauli im Check

© Sportfoto Zink

So ist die Lage: Man musste das Schlimmste befürchten für
diesen FC St. Pauli, am Sonntag (13.30 Uhr, Live-Ticker auf nordbayern.de) zu Gast beim 1. FC Nürnberg. Immerhin hatte Jos Luhukay kurz vor dem Saisonstart angesichts des ausgedünnten Kaders öffentlich Alarm geschlagen und in einer denkwürdigen Wutrede sogar die Mentalität beim Kiezklub angeprangert. "Zu viel Bequemlichkeit, zu viel Komfortzone, zu viel Freunde-miteinander-sein", hatte der mürrische Niederländer am Millerntor ausgemacht, "das sollte man in die Mülltonne werfen." Für St. Pauli sei es "unmöglich, unter die ersten Vier zu stoßen. Alles über Platz neun wäre ein großer Erfolg", orakelte Luhukay, es könne aber durchaus auch sein, dass es gegen den Abstieg gehe. Nur ein Punkt aus den ersten drei Spielen schienen Luhukays düstere Ahnungen zu bestätigen, ein 2:1 gegen Kiel läutete dann aber die Trendwende ein. Seit fünf Spielen ist St. Pauli nun ungeschlagen, wobei vor allem der Derby-
triumph gegen den HSV die Euphorie schürte. Das 2:0 gegen Sandhausen ließ die Hamburger nun sogar bis auf Rang sechs klettern. Nicht schlecht für einen potenziellen Absteiger.

Top & Flop: Als "Beleg für einen echten Reifeprozess" wertete der kicker den auch spielerisch ansehnlichen Auftritt gegen den SVS. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten scheint sich das von Luhukay umgekrempelte Team nun gefunden zu haben, an guten Tagen kann es mit technisch feinem, leidenschaftlich vorgetragenem Tempofußball begeistern. "Wir haben im Moment alle Spaß und spielen einfach guten Fußball", befand Kapitän Daniel Buballa, ließ dabei aber die uninspirierte Leistung zuvor beim 1:1 in Osnabrück unerwähnt. Da hatte Luhukay noch die mangelnde "mentale Konzentration und Fokussierung auf das Spiel" beklagt.

Im Fokus: Weil Torjäger Dimitrios Diamantakos (vier Treffer) wegen einer Adduktorenverletzung pausieren muss, rückte gegen Sandhausen erstmals der 21-jährige Schwede Viktor Gyökeres in die Startelf - und erzielte kurz vor der Pause prompt das 2:0. "Es fühlt sich großartig an, besser hätte es nicht laufen können", schwärmte der für ein Jahr vom englischen Premier-League-Klub Brighton & Hove Albion ausgeliehene Nationalspieler, der auch am Sonntag in Nürnberg das Vertrauen erhalten dürfte. Gleiches gilt für das 20-jährige Top-Talent Finn Ole Becker, das gegen Sandhausen ebenfalls seine Torpremiere feierte.

Die Bilanz: In insgesamt 35 Begegnungen stehen 15 Nürnberger und zehn Hamburger Siege zu Buche, zehnmal trennte man sich unentschieden. In der Zweitliga-Bilanz hat hingegen St. Pauli die Nase vorn (acht Siege, sieben Unentschieden, fünf Niederlagen). Der bislang letzte Sieg gelang dem Club am 29. November 2015, Niclas Füllkrug (2), Tim Leibold und Patrick Erras schossen am Millerntor ein souveränes 4:0 heraus.

Man kennt sich: Nach seiner Demission als Sportvorstand des 1. FCN im Februar fand Andreas Bornemann ab 1. Juli am Kiez ein neues Betätigungsfeld als Geschäftsleiter Sport. Nürnbergs Co-Trainer Fabian Gerber lief zwischen 2000 und 2003 für St. Pauli 37 Mal in der 2. Liga auf.

 

Und sonst so? Zum Abschied durfte Andreas Rettig sogar einen Derbysieg bejubeln. "Das war noch mal ein echter emotionaler Höhepunkt zum Abschluss von vier bewegten Jahren", gestand der 56-Jährige, der seit September 2015 als kaufmännischer Geschäftsführer die Geschicke der Hanseaten geleitet hatte und sich am 23. September vorerst aus dem Fußballgeschäft zurückzog - "aus 50+1 privaten und persönlichen Gründen", wie Rettig in Anspielung auf die "50+1-Regel" augenzwinkernd anmerkte. Die Übernahme der Stimmenmehrheit durch Investoren in Fußball-Kapitalgesellschaften zu verhindern, war dem früheren Geschäftsführer der DFL stets eine Herzensangelegenheit. Als kritischen Geist, moralische Instanz und oft unbequemen Mahner wird man Rettig nicht nur am Millerntor vermissen.

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