Missbrauchsvorwurf im Schwimmen: "Man muss die Augen offenhalten"

15.3.2021, 08:30 Uhr
Missbrauchsvorwurf im Schwimmen:

© Foto: Sina Schuldt/dpa

Der Schock sitzt tief. Seit fünf Schwimmerinnen kürzlich im Magazin Spiegel dem Freiwasser-Bundestrainer Stefan Lurz sexuelle Übergriffe vorwarfen, herrscht Unruhe in der deutschen Schwimmszene. Der 43-jährige Lurz bestreitet die Vorwürfe zwar, trat aber wenig später von seinem Amt zurück, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. In den vergangenen 15 Jahren trainierte Lurz am Bundesstützpunkt in Würzburg zahlreiche erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler – auch Leistungsschwimmerin Katrin Gottwald (22) aus Zirndorf hat schon an Kader-Lehrgängen bei ihm teilgenommen.

"Ich war bestürzt, als ich das gehört habe", sagt ihre Mutter Sabine Gottwald. Sie selbst habe ihn aus der Ferne bei Wettkämpfen in Würzburg erlebt, niemand habe damals ein schlechtes Wort über ihn verloren. Erst als der Verdacht im Raum stand, habe Katrin von Gerüchten berichtet – über Lurz und Schwimmerinnen, die wegen ihm aufgehört hätten.

"Wir hatte immer Vertrauen"

Handfeste Beweise sind das nicht, das weiß auch Sabine Gottwald. Doch dahinter könne ihrer Meinung nach auch Angst der Opfer stecken: "Sich zu outen und Anschuldigungen in die Welt zu setzen, birgt die Gefahr, alle gegen sich zu haben. Man will den Sport aber ja weiter betreiben."

Sie und ihr Mann hatten nie Angst um ihre Kinder. "Wir hatten immer Vertrauen zu unseren Trainern." Zum einen glaubt sie, dass ihre Töchter mit ihnen über Auffälligkeiten geredet hätten. Zum anderen hätten sie die Trainer ihrer Töchter immer kennengelernt und in der Schwimmhalle erlebt. Ihr Rat an andere Eltern ist: "Augen und Ohren offen halten. Mit Trainern und Kindern reden, nichts verschweigen oder gar vertuschen, alles offenlegen."

Als Anwalt vor Gericht

Christian Brandner hat selbst schon erfahren, was passieren kann. Er ist Schwimmtrainer beim TSV Katzwang, der mit dem 1. FCN Schwimmen, TSV Altenfurt, TSV Katzwang sowie TB Erlangen in der SG Mittelfranken zusammenarbeitet. In Altenfurt ist er auch "Leiter Leistungssport", 2004 gewann die von ihm trainierte Daniela Götz bei den Olympischen Spielen in Athen Bronze mit der 4 x 100-m-Lagenstaffel.

Die Erfolge und die Medaillen sind die strahlende Seite des Sports – Brandner hat aber auch die andere, dunkle erlebt. 2005 war er als Anwalt dabei, als ein Schwimmtrainer und Physiotherapeut aus Kempten wegen sexualisierter Gewalt in 22 Fällen schuldig gesprochen und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Den Angeklagten hatte Brandner bei einigen Wettkämpfen sogar erlebt, "da ist mir nie etwas aufgefallen", sagt er, "deshalb muss man die Augen echt offenhalten".

"Das ist oft ein Warnsignal"

Natürlich dürfe man niemanden unter Generalverdacht stellen, trotzdem müsse man "den leisesten Warnzeichen nachgehen", so Brandner. Denn oft fängt es vermeintlich harmlos mit einigen warmen Worten an, es folgen zarte Berührungen, "irgendwann wird die Grenze immer stärker überschritten und der strafrechtliche Bereich erreicht". Aufmerksam wird er beispielsweise, wenn er bei einem Trainer "über Jahre hinweg keine private Beziehung feststellen" kann, "das ist oftmals ein Warnsignal, und die Praxiserfahrung gibt mir Recht".


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Im Alltag schaut er jedenfalls genau hin, nicht nur, weil er selbst drei Söhne hat. Wenn beispielsweise eine Gruppe ins Trainingslager fährt, darf niemals nur ein Mann dabei sein, auch bei den Übungsleitern ist es für Brandner wichtig, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen gibt. Zudem plant er, die Stelle einer Präventionsbeauftragten für sexualisierte Gewalt zu schaffen, die jeden Anfangsverdacht untersucht.

"Prävention ist wichtig"

Frank Reißmann arbeitet ebenfalls schon lange mit Kindern und Jugendlichen. Seit den 90er-Jahren ist er Übungsleiter in der Schwimmabteilung des TSV Stein, die er seit 2004 führt. Und er ist Geschäftsführer des Fürther Kreisjugendrings.

Auch er sagt: "Das Thema Prävention ist sehr wichtig, denn das Schwimmen bietet theoretisch ein ideales Umfeld für Täter." Komplett verhindern lasse sich nichts, beim TSV sind sie aber "alle sehr sensibel" und versuchen, "gewisse Situationen erst gar nicht vorkommen zu lassen", berichtet Reißmann. So sollen möglichst immer mehrere Trainerinnen und Trainer am Beckenrand stehen und beispielsweise die Frauen bei den Mädchen Hilfestellung geben, Männer bei Jungen.

Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Wachsamkeit und Vorurteilen, nicht nur in Stein. Derzeit dürfen sie ohnehin nicht im Palm Beach trainieren, es droht die Gefahr ganzer Jahrgänge, die nicht schwimmen können. Wenn es aber wieder losgeht, hat Frank Reißmann "vollstes Vertrauen in meine Übungsleiter. Sobald aber auch nur ansatzweise etwas bekannt wird, gibt es eine Null-Toleranz-Politik im Verein".

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