Sorge um zweite Corona-Welle überlagert Olympiafieber in Tokio

21.7.2020, 11:24 Uhr
"Tokyo 2020" soll weiterhin der Titel der Spiele im Jahr 2021 sein - wenn sie denn wirklich stattfinden können.

© Foto: Eugene Hoshiko/dpa "Tokyo 2020" soll weiterhin der Titel der Spiele im Jahr 2021 sein - wenn sie denn wirklich stattfinden können.

Eigentlich sollte die riesige Countdown-Uhr zwischen dem Kaiserpalast und dem größten Fernbahnhof jetzt eine einstellige Zahl anzeigen. Auf dem großen Platz, auf dem sie über Jahre und Monate zuverlässig die Sekunden heruntergezählt hat, stünden nun uniformierte Helfer bereit. In ganz Tokio würde das Olympiafieber grassieren. Denn in Japans Hauptstadt wäre an diesem Freitag im eigens dafür umgebauten Olympiastadion nach 1964 zum zweiten Mal die größte Sportveranstaltung der Welt eröffnet worden.

Die Realität sieht anders aus. Spätestens seit die Spiele am 24. März nach großem internationalen Druck seitens Athleten und Öffentlichkeit um ein Jahr verschoben wurden, hat sich auch in Japan ein deutliches Krisenbewusstsein ausgebreitet. Die anfängliche Unterschätzung der Corona-Pandemie durch die Regierung ist großer Vorsicht gewichen. Vom Olympiafieber, das auch der Politik gut gefiel und dessen Temperatur sie bis zum Entschluss zur Verschiebung so hoch wie möglich halten wollte, ist nichts zu spüren.


Olympia ohne Zuschauer? "Unvorstellbar"


Sorgen macht man sich über die nächste Welle des Virus. Am vergangenen Samstag wurden mehr als 660 Neuinfektionen gemeldet, ein Höchstwert seit drei Monaten, als angesichts der damals vielen Ansteckungen der nationale Ausnahmezustand über das Land verhängt war. Knapp die Hälfte der bisher rund 25.000 Infektionsfälle kommen aus Tokio, wo nun eigentlich die internationalste Party des Weltsports steigen sollte.

Ungleichbehandlungen statt Weltoffenheit

Stattdessen hat die Regierung diese Tage ihre Hauptstadt von einer Liste genommen, mit der sie japanische Orte inmitten der Pandemie durch inlandstouristische Aktionen unterstützen will. Doch das Reisen aus und nach Tokio, den größten Infektionsherd des Landes, scheint derzeit zu gefährlich. Ausländer aus den meisten Ländern der Welt dürfen schon seit Monaten nicht mehr nach Japan reisen.

Die Pandemie hat im Land an mehreren Stellen zu einer Ungleichbehandlung geführt, die durch die Olympischen Spiele eigentlich überwunden werden sollte. Mit Olympia wollte sich das bisher eher verschlossene Japan als weltoffenes Land präsentieren, der Slogan "Unity in Diversity" ("Einheit in Vielfalt") sollte symbolisieren, dass im ostasiatischen Land alle Farben der Welt willkommen sind. Von dieser Idee eines weltoffenen Japans ist aber nicht mehr viel zu spüren, seit die olympischen Slogans der Parolen der Krisenbekämpfung gewichen sind.

So bleibt in der Krise die Einreise in der Regel auch solchen Ausländern verwehrt, die zwar ein japanisches Arbeitsvisum besitzen, das Land aber einmal verlassen haben. Japaner, die sich im Ausland aufgehalten haben, können dagegen wieder einreisen. Und für Studenten aufgelegte Liquiditätshilfen gelten derzeit für alle Inländer, aber für ausländische Studenten nur dann, wenn diese besonders gute Noten haben. International könnte all dies zu einem Imageschaden führen.

Die Frage der Zusatzkosten

Trotzdem: die Olympiaorganisatoren beteuern, dass in einem Jahr, wenn dann am 23. Juli 2021 die offiziell weiterhin als "Tokyo 2020" bezeichneten Spiele starten sollen, alles wieder gut sein werde. So betonte Yoshiro Mori, ehemaliger japanischer Premierminister und heute Präsident des Organisationskomitees, dass der Wettkampfplan grundsätzlich unverändert bleiben werde – eben nur um ein Jahr verschoben.

Dies ist nicht selbstverständlich, da durch die Verschiebung Zusatzkosten in Milliardenhöhe entstehen. So hatten Betreiber von Messegeländen und Stadien entweder bereits alternative Pläne für das kommende Jahr oder kämpfen nun mit entgangenen Einnahmen, sodass sie angesichts der Verschiebung zusätzliche Zahlungen erwarten.


23. Juli 2021: Olympia hat seinen neuen Start-Termin


Vor einem großen Problem stehen die Veranstalter bei der Frage, wer all die Zusatzkosten tragen soll. Es ist auch diese Frage, die in der öffentlichen Diskussion an die Stelle der Vorfreude getreten ist. Zwar sehen olympische Ausrichterverträge vor, dass die Gastgeberstadt alle jenseits des Budgetplans anfallenden Kosten verantwortet. Doch eine pandemiebedingte Verschiebung ist eine völlig neue Situation, die für viel Unklarheit sorgt. So ist auch noch strittig, wie die Käufer der Wohnungen, die nach dem Sportevent im olympischen Dorf entstehen sollen, entschädigt werden. Diese können nun erst ein Jahr später bezogen werden.

Vermeintlich gute Nachrichten und steigende Infektionszahlen

Angesichts der vielen unangenehmen Fragen bemühen sich die Organisatoren um gute Botschaften. So wurde schon vor einer Woche gerne bestätigt, was eigentlich selbstverständlich ist: Wer bereits Tickets für 2020 gekauft hat und diese im Sommer 2021 nicht wahrnehmen kann, soll sein Geld erstattet bekommen.

Eine weitere vermeintlich gute Nachricht wiederholte Chef-Organisator Yoshiro Mori: "Wir werden diese Spiele völlig anders machen als in der Vergangenheit, sie werden sicher und vereinfacht sein." Es sollen Kosten gespart und Zuschauerzahlen reduziert werden. Details werden bisher allerdings nicht genannt.

Weiterhin wird aber betont, dass ein Olympia völlig ohne Zuschauer keine Option sei. Einen Plan B zum jetzigen Vorhaben gebe es grundsätzlich nicht. Dabei ist offensichtlich, dass solche Aussagen nicht in Stein gemeißelt sind. Bis zum Entschluss zur Olympiaverschiebung hatten Organisatoren und Regierung hartnäckig behauptet, die Spiele würden "wie geplant" stattfinden. So fragen Japans Medien zuletzt auch kaum noch danach, was wäre, sollte die Pandemie eine neue Wendung nehmen. Derzeit sind ohnehin die wieder steigenden Infektionszahlen die größte Sorge.

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