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Sport ist Mord? Was der Fall Eriksen lehrt

15.6.2021, 15:32 Uhr
Der dänische Nationalspieler Christian Eriksen brach während eines Spiels in der EM-Vorrunde leblos zusammen. Er wurde wiederbelebt, mittlerweile soll es ihm besser gehen. 

© Martin Meissner, dpa Der dänische Nationalspieler Christian Eriksen brach während eines Spiels in der EM-Vorrunde leblos zusammen. Er wurde wiederbelebt, mittlerweile soll es ihm besser gehen. 

Herr Dr. Pohle, manch bewegungsfauler Mensch bemüht gerne den flapsigen Satz "Sport ist Mord". Wie riskant ist Sport tatsächlich?

Es ist Fakt, dass Leistungssport unter bestimmten Voraussetzungen gefährlich sein kann. Aber eben nur unter bestimmten Voraussetzungen. Was genau bei dem dänischen Nationalspieler Eriksen die Ursache war, müssen erst die Untersuchungen zeigen. Allgemein kann man aber sagen, dass Sportler, die während körperlicher Höchstleistung einen Herzstillstand erleiden, in der Regel eine unerkannte Vorerkrankung haben. Zum Beispiel am Herzmuskel, den Herzklappen oder auch den Herzkranzgefäßen. In Kombination mit der hohen Herzfrequenz sowie dem erhöhten Sauerstoffbedarf während des Sports können dann im Einzelfall lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen auftreten. Man kann wohl sagen, dass der 29-Jährige trotz seines jungen Alters und seiner Fitness verstorben wäre, wenn ihm nicht so schnell geholfen worden wäre.


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Fälle wie die Eriksens, des Schwimmweltmeisters Alexander Dale Oen oder des Fußballprofis Piermario Morosini erfahren besondere mediale Aufmerksamkeit, scheinen aber doch spektakuläre Einzelfälle zu sein. Wie häufig sind derartige Fälle tatsächlich?

Es gibt Studien, die sprechen von einer Häufigkeit des plötzlichen Herztods beim Sport von 0,7 bis 3,0 Todesfällen pro 100000 Sporttreibenden pro Jahr. Das halte ich für durchaus realistisch.

Also lieber in Maßen trainieren, statt an die Grenzen der Belastbarkeit zu gehen?

Klar ist: Sport zu treiben dient der Herzgesundheit. Zwar gibt es besagtes, kleines Risiko bei Extrembelastung. Aber wer sich schlecht ernährt und sich außerdem wenig bewegt, hat ein ungleich höheres Risiko, später an Erkrankungen des Herz-Kreislaufs-Systems zu leiden oder gar daran zu sterben. In Deutschland sterben jährlich 100.000 Menschen am plötzlichen Herztod. Sport kann dem vorbeugen. Allerdings sollte jeder – ob Spitzen- oder Hobbysportler – auf seinen Körper achten.

Heißt konkret?

Beim Sport sollte man etwa auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Ich kann auch nicht empfehlen, als Untrainierter quasi von 0 auf 100 durchzustarten. Wer etwaige Corona-Pfunde loswerden will, sollte langsam beginnen. Mit einer Ernährungsumstellung und kleineren sportlichen Einheiten, die er allmählich steigert. Als Faustregel gilt: Die Anstrengung sollte nur so stark sein, dass man sich nebenbei unterhalten kann.

Das sollte "uns alle sensibilisieren"

Sie erwähnten eingangs, dass der junge Fußballer Eriksen vermutlich verstorben wäre, wenn nicht erst sein Teamkollege und dann die Ärzte so schnell geholfen hätten. Was kann der normale Bürger tun, wenn er Zeuge einer solchen Szene wird, sei es auf dem Fußballplatz, im Büro oder in der Fußgängerzone?

Ein Vorfall wie der jetzige sollte zum Anlass genommen werden, uns alle zu sensibilisieren. Angefangen bei Sportvereinen, die sich die Wichtigkeit von Erste-Hilfe-Seminaren bewusst machen, bis hin zu Arbeitgebern, die etwa offensiv kommunizieren, wo sich der Defibrillator befindet, wie man diesen bedient und wo man sich zu Ersthelfer-Schulungen anmelden kann.

Helfen Sie uns auf die Sprünge. Wie war das doch gleich mit dem Wechsel zwischen Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzdruckmassage?

Mittlerweile ist man in den Empfehlungen von einem Wechsel zwischen Beatmung und Massage abgekommen. Viele potentielle Ersthelfer scheuen sich davor, Fremden eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben. Das begann mit der HIV-Hysterie, hat aber auch etwas mit einem individuellen Widerwillen zu tun oder jetzt mit der Sorge, sich etwa mit dem Coronavirus anzustecken. Wichtig ist: Rufen Sie zuerst den Rettungsdienst, teilen Sie mit, dass Sie einen Bewusstlosen gefunden haben und wo Sie sind. Dann beginnen Sie mit der Herzdruckmassage. Setzen Sie, um die Kraft zu verstärken, die übereinander verschränkten Hände am Rippenbogen an und beginnen Sie regelmäßig und kräftig zu pumpen. Der Sauerstoffgehalt des Blutes kann etwa das Gehirn einige Zeit lang versorgen, daher hat es Priorität, den Kreislauf in Bewegung zu halten. Auch einen Defibrillator, wie er etwa in Büros oder öffentlichen Einrichtungen hängt, kann jeder benutzen, er ist selbsterklärend und gibt per Sprache Anweisungen.

"Alles ist besser, als nichts zu tun"

Nicht selten treten viele aber einen Schritt zurück, wenn es ernst wird.

Umso wichtiger ist es, derartige Situationen hin und wieder innerlich durchzuspielen. Das senkt die Hemmschwelle. Und sich klar zu machen: Alles ist besser, als nichts zu tun.

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