Polit-Talk in der ARD

Energie-Expertin bei "Anne Will": Mietern droht Vervierfachung der Nebenkosten

Stefanie Banner

Politik und Wirtschaft

E-Mail zur Autorenseite

27.6.2022, 11:03 Uhr
Claudia Kempfert ist Abteilungsleiterin Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

© IMAGO/Jürgen Heinrich, IMAGO/Jürgen Heinrich Claudia Kempfert ist Abteilungsleiterin Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

Verkürzen Sie auch schon Ihre Duschzeit, erhitzen Wasser mit dem Wasserkocher und lassen Ihre Heizung energiesparend einstellen, um Gas zu sparen? Die Aufforderungen der Bundesregierung sind eindeutig. Doch wie schlimm wird es wirklich? Bei "Anne Will" wurde am Sonntagabend über die Gaskrise diskutiert.

Denn die Lage scheint ernst zu sein: Wegen Wartungsarbeiten hat der russische Staatskonzern Gazprom nach eigenen Angaben die Menge an Gas gesenkt, die normalerweise durch die Leitung "Nord Stream 1" fließt. Im Juli soll die Pipeline sogar für zehn Tage komplett dicht gemacht werden. Dass die Leitung jährlich gewartet wird, ist nichts Besonderes. Doch angesichts des Angriffskrieges gegen die Ukraine und der darauffolgenden Sanktionen gegen Russland besteht die Gefahr, dass Präsident Wladimir Putin die Leitung nach den Arbeiten nicht mehr öffnet.

Deutschland kommt damit klar

Ein Szenario, das viele Ängste schürt, mit dem Deutschland jedoch klar komme, so die Meinung der Gäste des Polit-Talks. Doch der Preis dafür sei hoch: Deutschland müsse so schnell wie möglich von fossilen Energien wegkommen. Sonst drohe in den nächsten anderthalb Jahren ein Anstieg der Mietnebenkosten um das Vierfache, sagt Energie-Expertin Claudia Kempfert. "Das könnte im nächsten Winter so brutal kommen. Es gibt sonst keine Möglichkeit, dass die Energiepreise wieder sinken."

CDU-Politiker Jens Spahn kritisiert vor allem, dass die Bundesregierung in den letzten Monaten zu planlos gehandelt habe. Er will wissen, warum erst jetzt über Kohleverstromung geredet werde. Weiter fragt er: "Warum hat die Ampelkoalition nicht schon längst finanzielle Anreize für die Menschen auf den Weg gebracht, die Energie sparen?" Spahn wirft der Bundesregierung vor: "Fakt ist: Wir sind nicht gut vorbereitet auf all das, was wir tun. Wir haben keine Ahnung, wie wir aus eigenem Tun unabhängig werden von Russland."

Realistische Chance, Gasspeicher zu füllen

Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert setzt kämpferisch entgegen, dass diese Regierung keine sei, die sich "in Schreckensszenarien ergeht. Wir sorgen dafür, dass Deutschland eine starke ökonomische Verhandlungsposition hat, um von anderen Stellen Gas zu bekommen, wenn Putin aus einer Drosselung von Nord Stream 1 eine Schließung machen würde."

Energie-Ökonomin Kempfert sieht die Situation nicht so schwarz. Sie sagt: "Die Gasspeicher sollen zum 1. Oktober bis zu 80 Prozent gefüllt sein, und das ist zu schaffen." Deutschland bekomme Gas aus Ländern wie Norwegen und den Niederlanden. Außerdem: "Wir können hohe Preise zahlen und kaufen im Moment den Asiaten das Flüssiggas weg." Trotzdem sei es sinnvoll, so Kempfert, Gas zu sparen.

Sie kritisiert aber, dass der Bund immer noch Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen fördert. "Das gehört sofort abgeschafft", sagt sie. Für private Haushalte müsse dringend ein Wärmepumpen-Booster-Programm aufgelegt und der Einbau von Gasheizungen gestoppt werden. "Wir haben wertvolle Zeit verloren. Wir hätten uns seit Kriegsanfang besser vorbereiten müssen."

Verwandte Themen