So trotzt der bayerische Ausbildungsmarkt der Krise

30.10.2020, 05:55 Uhr
Auch Siemens stellte in diesem Jahr wieder zahlreiche Azubis ein, die dann unter anderem im Siemens Ausbildungszentrum ihren neuen Beruf erlernen können. 

© Siemens, NN Auch Siemens stellte in diesem Jahr wieder zahlreiche Azubis ein, die dann unter anderem im Siemens Ausbildungszentrum ihren neuen Beruf erlernen können. 

Es ist eine Nachricht, die überrascht: Die Corona-Krise hat den bayerischen Arbeitsmarkt weniger getroffen als Anfang des Jahres angenommen. Nach wie vor gibt es wesentlich mehr Ausbildungsstellen als Bewerber – trotz Rückgängen. So lag die Zahl der gemeldeten Stellen für das vergangene Ausbildungsjahr bei über 103.221 und damit bei 7421 Stellen weniger als im Jahr zuvor. Das entspreche dem Niveau des Ausbildungsjahres 2015/16, erklärte die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Dass die Zahl der gemeldeten Stellen zurückgeht, führt der Geschäftsführer der Regionaldirektion, Ralf Holtzwart, nicht auf die Krise zurück. "Der rückläufige Trend war bereits seit Oktober 2019 festzustellen." Im März 2020, also noch vor den ersten erheblichen Einschränkungen, wurden 6202 Stellen weniger gemeldet als im Jahr davor. Gleichzeitig fiel für das Ausbildungsjahr 2019/20 die Zahl der Bewerber um 4804 auf knapp 70.000 – die niedrigste Bewerberzahl seit 1992. Doch der Trend ist nicht neu. Bereits seit Jahren sinkt die Zahl der Schulabgänger, zudem entscheiden sich immer mehr von ihnen für weiterführende Schulen oder Universitäten.

Eigentlich eine gute Lage für potenzielle Azubis. "Dennoch blieben im September 1269 junge Menschen unversorgt, 25,6 Prozent mehr als vor einem Jahr", so Holtzwart. Trotzdem gab es sich optimistisch. Einige Einstellungsprozesse seien heuer verzögert. "Deswegen bin ich mir sicher, dass wir für eine gewisse Zahl noch etwas finden." Dafür sei man im Gespräch mit über 1500 Betrieben, die noch offene Stellen hätten. Die meisten gebe es noch im Verkauf, im Lebensmittelbereich, in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen, in Gesundheitsberufen sowie in Gebäude- und versorgungstechnischen Berufen.


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Ein ähnliches Bild ergibt sich auch, betrachtet man die bundesweiten Zahlen zum Ausbildungsmarkt. So wurden der BA heuer 530.300 Berufsausbildungsstellen gemeldet, 41.700 weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Bewerber ging um rund 7,6 Prozent zurück. Von ihnen sind, Stand September, 29.300 ohne Stelle, doch auch bei der BA hatte man wegen der Corona-Krise mit deutlich mehr gerechnet, sagt Behördenchef Detlef Scheele. Sein Fazit: "Es hat keinen ,Jahrgang Corona‘ gegeben."

Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Handwerkskammer, Frank Hüpers, will nicht gänzlich zustimmen. "Wir verzeichnen schon einen Rückgang. Aber wir hatten im Frühjahr die Befürchtung, es könne ein verheerendes Jahr werden. Doch wir haben sehr viel aufgeholt, und jetzt ist die Bilanz ganz ordentlich." Zuwachsraten habe man vor allem bei den Stellen in der Baubranche gehabt. "Sie konnten in der Krise ja auch überwiegend durcharbeiten."

Doch so überraschend positiv die Bilanz für 2020 ausfällt, so sehr warnen die Experten vor dem nächsten Jahr: Viele Schüler hätten nicht die gleiche Ausbildung erhalten wie sonst. Auch die meisten berufsorientierenden Praktika konnten nicht stattfinden. "Insofern fehlt ein wesentlicher Baustein im Prozess der Entscheidungsfindung, in dem die Jugendlichen normalerweise schauen können, wo ihre Stärken liegen und ob der Beruf überhaupt zu ihnen passt", betonte Holtzwart.


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Und es gibt eine weitere Unsicherheit: Stellten heuer viele Betriebe trotz Corona Azubis ein, könnte sich das auf Grund der wirtschaftlichen Lage 2021 ändern. Scheele sprach sich deswegen für eine Verlängerung der Ausbildungsprämie und erleichterten Zugang für Betriebe aus. Laut dem bildungspolitischen Sprecher der Bayerischen Industrie- und Handelskammer, Hubert Schöffmann, planen laut Umfrage aktuell noch über 70 Prozent der bayerischen Betriebe, im kommenden Jahr Azubis einzustellen. Darauf pocht auch Scheele: "Das Thema ist der Fachkräftebedarf, die Pandemie wird vorübergehen. Aber wer jetzt nicht ausbildet, guckt irgendwann in die Röhre."

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