Kommentar zur Wahl: Sturmflut im Merkel-Land

5.9.2016, 09:39 Uhr
Frauke Petrys AfD hat erstmals bei einer Landtagswahl die CDU überholt. Die Konkurrenz von rechts setzt der CDU arg zu.

© dpa Frauke Petrys AfD hat erstmals bei einer Landtagswahl die CDU überholt. Die Konkurrenz von rechts setzt der CDU arg zu.

Im Merkel-Land schneidet die CDU schlechter ab als die AfD. Das ist ein heftiges Signal, das die Kritiker der Kanzlerin bestärken wird.

Denn es ging bei dieser Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern keineswegs um Landespolitik. Die interessierte die meisten Wählerinnen und Wähler kaum — auch deshalb, weil es den Menschen zwischen Schwerin und Stralsund insgesamt besser geht als noch vor einigen Jahren: Die Arbeitslosigkeit ist wie in ganz Deutschland wegen des anhaltenden Booms gesunken — und nicht zuletzt auch wegen des Themas, um das sich im Wahlkampf alles drehte, die Flüchtlingskrise: Es entstanden im strukturschwachen, zusehends menschenleeren Nordosten neue Stellen etwa im Sektor Sicherheitsdienste, weil auch dort Flüchtlinge ankamen — in einem Bundesland, in dem sonst kaum Ausländer leben.

Diese Abstimmung war deshalb wohl die eindeutigste Denkzettel-Wahl, die es bisher gab: Mehr als ein Fünftel derer, die ihre Stimme abgaben, tat dies vor allem bis ausschließlich deshalb, um Angela Merkel und ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik abzustrafen.

Emotionen, Ängste, Wut

Auf den ersten Blick ist das paradox: Ausgerechnet in einem stark ländlich geprägten Flächenstaat, der, anders als vor allem Großstädte, von der Flüchtlingskrise kaum etwas zu spüren bekommt, trieben Ängste, Sorgen, teils Wut und Frust mehr Menschen als sonst zur Wahl; sie machten ihrem Unmut Luft. Ausschlaggebend für ihr Votum sind vor allem Emotionen, Gefühle — mit Fakten und Argumenten drangen die Wahlkämpfer der erneut geschrumpften Noch-Volksparteien kaum durch.

Nun war es nicht Angela Merkel allein, die all diese Ängste mit ihrer Entscheidung zur vorübergehenden Grenzöffnung ausgelöst hat; Flüchtlinge kamen auch schon vorher, das Vorgehen vor genau einem Jahr war zumindest mit der SPD abgestimmt. Aber, und das muss sich die Kanzlerin ankreiden lassen: Sie hat mit ihrem „Wir schaffen das“ die Messlatte für das, was dieser Absichtserklärung hätte folgen müssen, hoch gelegt — und hat sie dann nicht übersprungen.

Ihre humanitäre Geste war gut gemeint, aber sie wurde nicht gut gemeistert, zu zaghaft angepackt, viel zu schlecht kommuniziert und erklärt. Ein schlüssiges, ehrgeiziges Konzept für die Integration derer, die bleiben können, fehlt nach wie vor. Und rund um den Jahrestag der Grenzöffnung hat Merkel mit teils widersprüchlichen Äußerungen — mal das Eingeständnis von Fehlern, dann wieder das trotzige Festhalten an ihrem zusehends einsamen Kurs — selbst wohlmeinende Wähler irritiert.

Es ist deshalb vor allem ihre Niederlage. Ihr Umfrage-Tief spiegelt sich im Ergebnis wider, die Debatte um Merkel wird sich zuspitzen, Absetzbewegungen sind längst im Gange.

Die CSU wird gar nicht so insgeheim triumphieren: sie sieht sich in ihrer Rolle als Mahner bestätigt. Auch die SPD geht auf Distanz zur Kanzlerin. Beide Parteien machen es sich da zu leicht: Sie sitzen mit im Kabinett, sie sind mitverantwortlich für Fehler und Leistungen der Regierung Merkel.

Noch wagt niemand den Aufstand

Kann sein, dass ihre CDU bei der nächsten Wahl in zwei Wochen in Berlin nur noch auf Platz vier kommt — dann verschärft sich die Debatte um den Kurs der Union weiter. Dabei ist nach wie vor niemand in Sicht, der an Angela Merkels Stelle in den Wahlkampf 2017 ziehen könnte und wollte. So desolat ist die Lage (noch?) nicht, dass sich da jemand aus der Deckung wagte.

Was lässt sich außer der geballten Unzufriedenheit vieler Bürger über Merkels Asylkurs sonst herauslesen aus der Wahl im Nordosten? Nicht sehr viel. Dafür ist das Land zu klein und zu speziell: Es wählten gestern lediglich zwei Prozent der bundesweit Stimmberechtigten. Immerhin stimmte eine (schrumpfende) Mehrheit von ihnen für die demokratischen Parteien. Und es bestätigt sich der Trend, dass Parteien von beliebten Spitzenpolitikern profitieren — dass die SPD trotz Verlusten stark blieb, hat mehr mit ihrem Ministerpräsidenten Sellering zu tun als mit Sigmar Gabriels Schlingerkurs.

Ob das Phänomen AfD ein dauerhaftes sein wird, dürfte sich 2017 zeigen. Im Osten sind die Protestparteien (dazu zählt teils auch die Linke) traditionell stärker als im Westen, wo im nächsten Jahr die gewichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ansteht, bevor im Herbst der Bundestag bestimmt wird. Ob die AfD auch im Westen im Aufwind bleibt oder ob ihr dieser Wind durch eine mutigere, klügere, entschlossenere Politik aus den Segeln genommen werden kann: Das hängt zu einem Gutteil davon ab, wie Angela Merkel, wie die Unionsparteien, wie die Regierung auf den eisigen Sturm von der Ostseeküste reagiert. Die Zeit dafür wird knapp, der Handlungsdruck von Tag zu Tag größer.

33 Kommentare